Finanzen

Anhörung zum Aktivrentengesetz

Zeit: Montag, 1. Dezember 2025, 16 bis 17.30 Uhr

Die von der Bundesregierung geplante Aktivrente, mit der ältere Menschen länger im Arbeitsmarkt gehalten werden und dafür einen steuerlichen Freibetrag erhalten sollen, ist von den Sachverständigen in einer Anhörung des Finanzausschusses am Montag, 1. Dezember 2025, unterschiedlich beurteilt worden. Zum Teil wurden massive Bedenken laut.

„Gesamtwirkung schwer abzuschätzen“

Die Gesamtwirkung sei schwer abzuschätzen, sagte Prof. Dr. Tabea Bucher-Koenen (Universität Mannheim). Eine Signalwirkung sei möglich, dass es wichtig sei, lange am Arbeitsmarkt beteiligt zu sein, erklärte sie zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur steuerlichen Förderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rentenalter“ (Aktivrentengesetz, 21/2673). Danach sollen Rentner bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen. Das soll aber nicht für Selbstständige oder Beamte gelten. Gegenstand der Anhörung war auch ein Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Steuerfreier Hinzuverdienst für Senioren – Neuen 12.000-Euro-Freibetrag zusätzlich zum bestehenden Grundfreibetrag einführen“ (21/1620), der Steuerfreibeträge für alle arbeitenden Rentner fordert.

Laut Bucher-Koenen sind die Erhöhung des Rentenalters und Abschaffung von Frühverrentungsregelungen Möglichkeiten, das Erwerbspotenzial besser zu nutzen. Bei Fördermaßnahmen wie der Aktivrente sei das aber viel schwerer abzuschätzen. Es könne zu Mitnahmeeffekten kommen. Grundsätzlich sei die steuerliche Möglichkeit aber positiv zu sehen. Insgesamt könne die Aktivrente einen positiven Impuls setzen.

„Große Chancen auf höheres Erwerbspotenzial“

Dr. Rainer Kambeck von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bewertete die Aktivrente positiv. Es gebe große Chancen, das Erwerbspotenzial zu erhöhen. Aus Sicht der Wirtschaft sei das richtig. Die Unternehmen würden händeringend Fachkräfte suchen. Er empfahl, die Arbeitgeber von der Zahlung von Sozialbeiträgen zu entlasten, denen keine Leistungen für Arbeitnehmer gegenüberstehen.

Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärte, für die fiskalischen Auswirkungen sei entscheidend, wie viele Menschen zusätzlich arbeiten würden und wie groß das Arbeitsvolumen sei. Das sei schwer abschätzbar. Eine Befragung habe ein Potenzial von 25.000 bis 33.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten ermittelt.

Andererseits seien 410.000 Personen bereits heute ab der Regelaltersgrenze sozialversicherungspflichtig beschäftigt, von denen knapp die Hälfte mehr als 2.000 Euro im Monat verdiene. Dadurch entstünden Mitnahmeeffekte, deren Umfang Weber auf 2,2 Milliarden Euro im Jahr bezifferte. Um die Mitnahmekosten auszugleichen, seien insgesamt deutlich über 100.000 zusätzliche Beschäftigte notwendig.

„Größere Vorteile für Höherverdienende“

Höherverdienende hätten durch den geplanten Freibetrag erhebliche größere Vorteile als Geringerverdienende, kritisierte Prof. Dr. Simon Kempny (Universität Bielefeld), der dies als „grob sozialstaatswidrig“ und als nicht verfassungsgemäß bezeichnete. Wenn Subventionen verteilt würden, dürften diese nicht mit dem Einkommen steigen.

Kempny erklärte zur unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Arbeitnehmern und Selbstständigen, das könne beim Bundesverfassungsgericht ein „großes Prozessrisiko“ werden. Er kritisierte auch die steuerliche Ungleichbehandlung von Personen unterhalb und oberhalb der Regelarbeitszeitgrenze.

„Sonderausgaben müssen abziehbar bleiben“

Jana Bauer vom Bundesverband Lohnsteuerhilfevereine lehnte den Vorschlag des Bundesrates ab, den Abzug von Werbungskosten erst oberhalb des neuen Steuerfreibetrages zuzulassen. Damit käme der Werbungskostenfreibetrag faktisch nicht mehr zur Anwendung. Auch Sonderausgaben müssten abziehbar bleiben.

In der Stellungnahme der Lohnsteuerhilfevereine heißt es, es sei von zentraler Bedeutung, dass die Aktivrente gleichmäßig für Arbeitnehmer sowie Selbstständige gelte. Eine einseitige Begünstigung abhängig Beschäftigter wäre nicht gerechtfertigt und würde dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwiderlaufen.

„Vorhaben ist in der Praxis umsetzbar“

Boris Kurczinski von der Bundessteuerberaterkammer sagte, das Abstellen auf die Regelaltersgrenze bei der Aktivrente sei in der Bearbeitung leicht nachzuvollziehen. Der Steuerfreibetrag sei leicht zu handhaben. Das Vorhaben der Koalition sei in der Praxis umsetzbar. Steuersystematisch wäre es aber richtiger, den Progressionsvorbehalt anzuwenden. Dieser Auffassung schloss sich der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine an.

Prof. Dr. Martin Brussig (Universität Duisburg-Essen) erklärte, die Alterserwerbstätigkeit sei in den letzten Jahren ohnehin stark gestiegen. Viele Menschen hätten aber die Anhebung der Altersgrenzen nicht mitgehen können, weil sie aus gesundheitlichen Gründen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien. Wer die Erwerbstätigkeit im Alter steigern wolle, müsse erst für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. So lasse sich ein Potenzial von Hunderttausenden erschließen und nicht nur von einigen Zehntausend, wie das bei der Aktivrente erwartet werde.

s gebe auch erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen. So gebe es im öffentlichen Dienst viele ältere Beschäftigten, aber eine Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus sei wegen der Tarifverträge schwer möglich.

„Teure Maßnahme für ein begrenztes Volumen“

Ingo Schäfer vom Deutschen Gewerkschaftsbund sagte, es würden nur sehr wenige Arbeitnehmer Angebote von Arbeitgebern bekommen, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten. Wer das ändern wolle, müsse ein sehr dickes Brett bohren.

Es gebe sehr viel größere Potenziale vor der Regelaltersgrenze wie Erwerbsgeminderte oder Arbeitslose. Dort könnten wesentlich mehr Fachkräfte für Jahrzehnte gewonnen werden. Die Aktivrente sei eine sehr teure Maßnahme für ein sehr begrenztes Volumen. (hle/02.12.2025)