3. Untersuchungsausschuss

Vertreter des Kanzler­amts sagt zum En­gage­ment für Wirecard in China aus

Ein Mann mit Regenschirm geht an einem Schild mit der Aufschrift Wirecard vorbei.

Der 3. Untersuchungsausschuss (Wirecard) wurde am 1. Oktober 2020 eingesetzt. (picture alliance/dpa | Peter Kneffel)

Der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts, Prof. Dr. Lars-Hendrik Röller, hat vor dem 3. Untersuchungsausschuss (Wirecard) die Abläufe zur Vorbereitung von Auslandsreisen der Bundeskanzlerin verteidigt. Es habe „keine bösgläubige“ Haltung gegenüber Wirecard gegeben – genauso wenig wie gegenüber anderen Dax-Firmen, für die die Kanzlerin sich auf der internationalen Bühne einsetzt. „Wir im Kanzleramt hatten keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten“, sagte Röller in der Sitzung des Ausschusses am Dienstag, 12. Januar 2021, unter der Leitung von Kay Gottschalk (AfD).

Die Bundeskanzlerin hatte sich auf einem Besuch in Peking im September 2019 bemüht, dem Finanztechnik-Unternehmen Wirecard den Weg für einen Markteintritt in China zu ebnen. Eine solche Erwähnung bei Gesprächen auf höchster Ebene ist so etwas wie ein staatliches Gütesiegel. Die britische Zeitung „Financial Times“ warnte da jedoch bereits vor Unstimmigkeiten bei Wirecard. Ein Dreivierteljahr später war das Unternehmen insolvent. Es stellte sich heraus, dass Umsatz und Gewinn des Zahlungsdienstleisters größtenteils durch ein Finanzkarussell zustande gekommen waren. Heute gilt Wirecard als größter Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Zwei Bedingungen für eine Empfehlung an die Kanzlerin

Röller legte auf eine Frage des Abgeordneten Matthias Hauer (CDU/CSU) dar, wie Wirecard auf die Liste der förderungswürdigen Anliegen der Kanzlerin gekommen ist und welche Prüfungen vorher erfolgt sind. Am Anfang stand ein Hinweis des Lobbyisten Karl-Theodor zu Guttenberg auf den geplanten Zukauf eines Dax-Unternehmen in China. Röller hatte daraufhin beim Bundeswirtschaftsministerium und beim Bundesfinanzministerium abgefragt, ob Bedenken gegen ein Engagement für Wirecard vorliegen. Es seien ihm keine Informationen über schwerwiegende Probleme zugegangen.

Dann erfolgte die politische Prüfung im Kanzleramt. Es gebe zwei Bedingungen für eine Empfehlung an die Kanzlerin: Das Anliegen in dem betreffenden Land müsse berechtigt sein – und das Profil des Engagements müsse zu den deutschen Interessen passen. „Wirecard war ein Dax-Unternehmen und passte hier hundertprozentig hinein“, sagte Röller.

Regel oder Ausnahme?

Es sei schon seit Jahren ein Ziel der deutschen China-Politik, mehr Investitionen in der dortigen Finanzwelt möglich zu machen. Eine „forensische Prüfung“ von Dax-Konzernen erfolge vorher nicht. Die Befragung wandte sich dann der Frage zu, wie viel Einfluss Lobbyisten wie zu Guttenberg auf das Kanzleramt haben. Ihm sei nicht klar gewesen, wie viel Geld Guttenberg mit seinem Hinweis auf Wirecard verdient habe, sagte Röller auf eine Frage von Cansel Kiziltepe (SPD). „Die Kanzlerin ist nicht eingespannt worden“, insistierte Röller später.

„Der Kanzlerin ist empfohlen worden, bestimmte Themen anzusprechen.“ Die Abgeordnete Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass sich in dieser Zeit gleich drei hochkarätige Lobbyisten für Wirecard stark gemacht haben: Neben zu Guttenberg (CSU) haben auch der ehemalige Kanzleramt-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) und der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) im Namen von Wirecard kommuniziert. Röller wusste nicht zu sagen, ob ein solch geballtes Engagement von Beratern im Kanzleramt die Regel oder die Ausnahme sind.

Im Rückblick: Anlass zu Misstrauen 

Röller gab an, er als Leiter der Wirtschaftsabteilung lese zwar regelmäßig eine Presseauswertung, kenne aber nicht immer die komplette Nachrichtenlage. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) da schon ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Pflicht zur Veröffentlichung korrekter Finanzberichte angestrengt hatte. „Ich hätte erwartet, von den Ressorts gewarnt zu werden.“

Zu Misstrauen habe es erst im Rückblick Anlass gegeben. Aus der damaligen Situation heraus gab es keinen Grund, am Funktionieren von Organen wie dem Aufsichtsrat und den Wirtschaftsprüfern zu zweifeln. „Wir müssen uns auf diese institutionellen Voraussetzungen verlassen können“, sagte Röller. „Wir haben die Kanzlerreise vorbereitet, wie wir sie immer vorbereiten.“

„Die Gattin von Herrn Dr. R.“

Der Abgeordnete Dr. Jens Zimmermann (SPD) interessierte sich vor allem für eine E-Mail, in der ein chinesisches Unternehmen sich an Röller wandte, um Kontakt zu Wirecard zu erhalten. Die Schnittstelle sei „die Gattin von Herrn Dr. R.“ – ganz offenbar sei Röller gemeint. Röller selbst gab an, seine Frau sei Hausfrau und erhalte keine finanziellen Leistungen für das Herstellen von Kontakten zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen. Der Kontakt sei aber tatsächlich über seine Frau zustande gekommen.

Auch wiederholte Nachfragen der Abgeordneten erbrachten keine Antwort auf die – zum Teil eben auch persönliche – Frage, in welcher Rolle eine Hausfrau den Kontakt zwischen internationalen Unternehmen herstellen wollte.

Die Linie der deutschen Wirtschaftsdiplomatie

Dr.  h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) wies darauf hin, dass schon der Kauf eines Zahlungsabwicklers wie Allscore in „einem totalitären Staat“ potenziell anrüchig sei. Schließlich sei diese Branche in China Teil der allgegenwärtigen Überwachung. Der Komplex aus Regierung und Wirtschaft erfasse jeden Bezahlvorgang und sammele so Daten zum Privatleben der Bürger.

Röller widersprach: Die Öffnung des chinesischen Finanzmarktes sei auch Teil eines Investitionsabkommens, das die EU aktuell mit China abgeschlossen hat. Ein Markteintritt von Wirecard hätte nach damaligem Verständnis ganz der Linie der deutschen Wirtschaftsdiplomatie entsprochen. Fabio De Masi (Die Linke) fragte noch einmal zur Rolle von Fritsche, der vor seiner Tätigkeit für Wirecard im Kanzleramt für die Nachrichtendienste zuständig war. Später beriet Fritsche die österreichische Partei FPÖ in Geheimdienstfragen. Wirecard soll mit Geheimdiensten weltweit zusammengearbeitet haben. Röller sagte aus, er habe sich seinerzeit nicht darüber gewundert, dass der ehemalige Kollege Kontakt aufgenommen habe. Es gebe viele Kontaktanfragen.

Von Beust schrieb Briefe im Auftrag von Wirecard

Der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust (CDU), sieht in seiner Arbeit für den inzwischen insolventen Wirecard-Konzern eine übliche Form der Politikberatung. „Ich bekenne mich dazu, dass ich Lobby-Arbeit mache“, sagte von Beust während der zweiten Hälfte der Sitzung: „Das finde ich nicht schlimm, wenn es anständig und transparent ist.“

Die Beratungsfirma, die von Beust nach Ende seiner politischen Karriere mitgegründet hat, war seit 2018 für Wirecard tätig. Die Hauptaufgabe von Von Beust & Coll. im Auftrag des Unternehmens betraf das Glücksspielrecht. „Wirecard wollte partizipieren an einer Änderung des Glücksspielstaatsvertrages dahingehend, dass einige Formen des Glücksspiels zugelassen werden“, sagte von Beust. Als Spezialist für Zahlungsströme habe Wirecard sich hier mit einer technischen Lösung einbringen wollen: Computerprogramme sollten an den Zahlungsmustern gefährdete Gruppen wie Kinder und Süchtige erkennen und von der Teilnahme am Online-Glücksspiel ausschließen. Das sollte die Liberalisierung sicherer und besser organisiert ermöglichen, so von Beust.

Von Beusts Firma hat dafür vor allem drei Aufträge ausgeführt. Auf der einen Seite hat sie die politischen Trends rund ums Glücksspiel beobachtet und an Wirecard berichtet. Außerdem hat sie Kontakte zu Entscheidern hergestellt, die sich für die Zulassung von mehr Formen des Glücksspiels stark machen können. Außerdem hat sie ihrerseits über die – realen oder vorgeblichen – Möglichkeiten von Wirecard informiert, mit seinen Algorithmen zu dem Projekt beizutragen. Die Erneuerung des Glücksspielstaatsvertrags hängt seit 2011 in der Schwebe.

Berichte über Unregelmäßigkeiten

Auf Frage des Abgeordneten Dr. Florian Toncar (FDP) berichtete von Beust über seine praktische Arbeit. Wirecard sei in der Beratungsfirma zunächst nicht als Problemthema wahrgenommen worden. Im Jahr 2019 habe es zwar Berichte über Unregelmäßigkeiten gegeben. Doch die Lage habe sich zwischenzeitlich wieder beruhigt. Als 2020 die schlechten Nachrichten zurückkehrten, versicherte der ehemalige Wirecard-Vorstand Burkhard Ley ihm, dass auch diesmal nichts Ernstes dahinterstecke und solche Schwankungen bei einem schnell wachsenden Unternehmen normal seien. Die neuen Vorwürfe „werden sich genauso auflösen wie 2019“, kündigte Ley an. „Bitte erwarten Sie nicht von einem Unternehmen wie dem meinen, dass es bessere Prüfmöglichkeiten hat als die BaFin oder die Wirtschaftsprüfer“, rechtfertigt von Beust heute seine Tätigkeit für ein Unternehmen, das inzwischen des Betrugs überführt ist.

Von Beust kannte Ley von gemeinsamer Arbeit im Beirat einer Personalberatung. Auch im Kanzleramt hatte von Beust mit dem Leiter der Wirtschaftsabteilung Professor Lars-Hendrik Röller einen entfernten Bekannten. Im Namen von Wirecard schrieb er noch 2020 einen Brief an Röller. „Die Sprachlosigkeit zwischen großen Unternehmen und Politik ist gewaltig“, sagt von Beust. Die Industrie kenne oft weder die Ansprechpartner noch finde sie die richtigen Worte. 

Auftrag des Untersuchungsausschusses

Der Bundestag hat am 1. Oktober 2020 auf Antrag der Fraktionen der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen beschlossen. Der neunköpfige Ausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen. (fmk/13.01.2021)

Liste der geladenen Zeugen

  • Prof. Dr. Lars-Hendrik Röller, Bundeskanzleramt
  • Joschka Langenbrinck, Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft
  • Ole von Beust, Von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft

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