Bildung

Kontroverse zu befristeter Beschäftigung in der Wissenschaft

Ein Personaler prüft in einem Büro Anstellungsvertrag einer zukünftigen Mitarbeiterin.

Die überwiegende Mehrheit der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an deutschen Hochschulen ist befristet beschäftigt. (© picture alliance / dpa Themendienst | Klaus-Dietmar Gabbert)

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bedarf einer weiteren Reform. Dieser Konsens zeichnete sich am Mittwoch, 9. November 2022, in einer Anhörung des Bildungsausschusses ab. Das 2007 in Kraft getretene Gesetz bildet seither die Rechtsgrundlage für befristete Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft und wurde 2016 novelliert. Seit Mai 2020 liegt eine Evaluierung des Gesetzes vor, mit dem das Bildungsministerium das HIS-Institut für Hochschulentwicklung beauftragt hatte.

Im Ausschuss stellten Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Dr. Andreas Keller, Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ihre unterschiedlichen Reformvorschläge vor. Dr. Georg Jongmanns von der Autorengruppe des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung erläuterte die Ergebnisse der Evaluierung.

Qualifizierungsweg in zwei Phasen

Es gebe im Wissenschaftsbetrieb unterschiedliche Interessen des Systems sowie der Individuen, die in diesem System Karriere machen wollen. Es sei „nicht immer möglich, diese divergierenden Interessen zu harmonisieren“, sagte HRK-Präsident Alt. Insofern habe das WissZeitVG eine wichtige Debatte um wissenschaftliche Karrierewege ausgelöst. Zwar gebe es einen sehr hohen Anteil befristeter Stellen an deutschen Hochschulen, aber „wir sind auch das Land mit den höchsten Promotionszahlen“ – 30.000 fertig gestellte Promotionen im Jahr –, betonte Alt. Dem gegenüber stünden jährlich nur etwa 1.000 offene Professorenstellen. Deswegen könnten nicht alle, die promovieren, wissenschaftliche Karrieren machen.

Alt schlug einen Qualifizierungsweg in zwei Phasen vor: Die Promotionszeit solle mindestens drei, maximal sechs Jahre dauern. Daran anschließen solle sich eine vierjährige Post-Doc-Phase, in der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler sich Kompetenzen in selbstständiger Forschung und Lehre, Führungsverantwortung in der Praxis und auf internationaler Ebene erwerben sollten. Diese Qualifizierung sollte möglichst einheitlich geregelt werden. Nach den vier Jahren solle für jene, die sich für eine Professur qualifiziert hätten, der Weg in eine Dauerstelle offen sein.

Drei Punkte aus der Evaluierung

Jongmanns vom HIS hob drei Punkte aus der Evaluierung hervor. Er wies zum einen auf den Anteil von Kurzbefristungen von unter einem Jahr hin. Solche projektgebundenen Arbeitsverhältnisse seien nicht immer zu vermeiden. Die Laufzeiten von Projekten und „individuelle Beschäftigungspfade“ seien nicht „eins zu eins“ aufeinander abzustimmen. Die Fristen für eine Promotion seien mit drei Jahren allerdings „knapp bemessen“. Dies habe einen „disziplinierenden Effekt“, wenn auch in der Praxis diese Frist für eine Promotion selten ausreiche.

Als problematisch bewertete Jongmanns, dass im heutigen Wissenschaftssystem die zu Qualifizierenden, sich gegenseitig qualifizierten: Post-Docs betreuten Promovierende und diese einander. Die Hochschulen ließen also solche Aufgaben von wissenschaftlichem Personal erledigen, das sich selbst noch in der Qualifizierung befinde.

Folgen für Qualität von Forschung und Lehre

Für die GEW wies ihr Stellvertretender Vorsitzender Keller darauf hin, dass an Universitäten 84 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und 78 Prozent an Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften befristet beschäftigt seien. Die Quote der Kurzzeitbefristungen liege im Wissenschaftsbetrieb bei über 40 Prozent. Zwei Drittel der Promovierenden brächen ihre Forschungsarbeit ab.

Die Befristungspraxis an den Unis sei mittlerweile „sehr weit entfernt“ vom Zweck des Gesetzes, die Qualifizierung zu fördern, kritisierte Keller. Dies habe dramatische Folgen für die Qualität von Forschung und Lehre und beeinträchtige die Attraktivität der Hochschule als Arbeitsort. Auch stelle er mit Bedauern fest, dass die Kritikbereitschaft des wissenschaftlichen Nachwuchses abgenommen habe, vermutlich als Sorge um den Arbeitsplatz.

„Wir brauchen einen Systemwechsel“

Die GEW, so Keller, wolle daher das WissZeitVG durch ein Wissenschaftsentfristungsgesetz ablösen. Befristungen sollten beschränkt bleiben auf die Qualifizierungsphase. Regelzeit für die Promotion sollten sechs, in Ausnahmefällen mindestens vier Jahre sein. 50 Prozent der Regelarbeitszeit müsse der Qualifizierung vorbehalten bleiben. Aus Sicht der GEW sei mit der Promotion auch die Qualifizierungsphase abgeschlossen. Im Anschluss sei eine verlässliche Perspektive auf Dauerstellen zu schaffen.

Die Regel müsse lauten: Dauerstellen für Daueraufgaben, „wir brauchen einen Systemwechsel“. Unbefristete Arbeitsverhältnisse seien in der EU die Norm. Im Hochschulbereich sei dieses Prinzip in Deutschland „auf den Kopf“ gestellt: „Wir müssen den Flaschenhals beim Übergang zur Professor vorziehen, wir erwarten zu einem frühen, viel früheren Zeitpunkt eine klare Ansage über Beschäftigungsperspektiven.“

Aus Gewerkschaftssicht solle außerdem die Tarifsperre aus dem Gesetz gestrichen werden, damit auch wissenschaftlich Beschäftigte die Möglichkeit haben, sich für ihre Interessen einzusetzen. (hari/09.11.2022)

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