Geschichte

Wanderausstellung über die Stasi und ihre Dokumente eröffnet

Hinter der Vitrine sind zwei Blätter vergilbtes Toilettenpapier zu sehen. Die Schrift auf dem kantig abgerissenen Stück Papier lässt sich auch hinter den Gläsern noch gut erkennen. Darauf steht: 1. Mai 1988. Sylke Glaser verbringt ihren zweiten Tag in Haft in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Rostock. Glaser hat es geschafft, einen Kugelschreiber in ihrer Zelle zu verstecken. Um die Isolation auszuhalten, macht sie sich Notizen über ihre Zeit im Gefängnis – jedenfalls so lange, bis sie entdeckt wird und die Wachen Stift und Papier beschlagnahmen. 

Eine Person steht vor einer Vitrine und schaut sich Schwarz-weiß-Fotografien an

21 Objekte werden in der Wanderausstellung „Alles Wissen Wollen. Die Stasi und ihre Dokumente“ des Bundesarchivs präsentiert. (DBT/Felix Zahn/Photothek)

Das Toilettenpapier ist eins von 21 Objekten, die derzeit in der Wanderausstellung „Alles Wissen Wollen. Die Stasi und ihre Dokumente“ des Bundesarchivs – Stasi-Unterlagen Archivs zu sehen sind. Ihren Auftakt hatte die Schau am Dienstag, 23. April 2024, im Mauer-Mahnmal des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin. Dort war sie bis zum 28. April 2024 zu sehen. Nun zieht die Ausstellung weiter, unter anderem nach Hannover, Kiel und Schwerin. 

Zeugnisse des Handelns der Stasi

Neben Notizen von politischen Gefangenen der Stasi gibt es Fotos von verwanzten Hotelzimmern, Dienstausweise von sogenannten inoffiziellen Mitarbeitern oder Dokumente über die offizielle Anordnung zur Aktenvernichtung im November 1989. Jedes einzelne Exponat ist Zeugnis des Handelns der Stasi und bringt den Besucherinnen und Besuchern neben historischen Hintergründen auch persönliche Schicksale näher. 

Evelyn Zupke steht an einem Rednerpult vor Mauersegmenten, auf denen die Anzahl der Toten in den jeweiligen Jahren der Teilung steht

Evelyn Zupke, die SED-Opferbeauftragte des Bundestages, eröffnete die Ausstellung im Mauer-Mahnmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit einer Rede. (DBT/Felix Zahn/Photothek)

Evelyn Zupke, die SED-Opferbeauftragte des Bundestages, eröffnete die Ausstellung und erinnerte daran, dass der Bundestag zwar in diesem Jahr den 75. Geburtstag des Grundgesetzes feiere, betonte aber, dass nicht alle Menschen in Deutschland gleich lange von den Rechten des Grundgesetzes geschützt waren. In der DDR herrschte 40 Jahre lang die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Ihr Nachrichtendienst, das Ministerium für Staatssicherheit (kurz Stasi), überwachte Bürgerinnen und Bürger, hörte sie ab, spionierte sie aus. Die Sicherung der Stasi-Akten nannte Zupke „ein Geschenk der friedlichen Revolution an die heutige demokratische Gesellschaft“. Ihr Erhalt und ihre Nutzung seien nun ein gesamtdeutscher Auftrag. 

„Totalitäre Tendenzen verhindern“

Einer, der von der Stasi bespitzelt und abgehört wurde, ist Mario Röllig. Er ist bei der Ausstellungseröffnung zu Gast und berichtet im Gespräch mit der Opferbeauftragten Zupke von seinen Erfahrungen. Die Stasi versuchte Röllig als inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben, weil er einen Freund aus West-Berlin hatte, der für die Stasi von Interesse war. Doch Röllig weigerte sich, seinen Freund auszuspionieren und wurde fortan von der Stasi massiv unter Druck gesetzt. Daraufhin versuchte er im Juni 1987, über Ungarn in das ehemalige Jugoslawien zu fliehen – doch der Versuch missglückte. 

Ein Mann und eine Frau sitzen einander zugewandt auf einem Podium und der Mann spricht in ein Mikrofon

Mario Röllig (links) berichtete bei der Ausstellungseröffnung zu Gast im Gespräch mit der Opferbeauftragten Evelyn Zupke von seinen Erfahrungen mit der Stasi. (DBT/Felix Zahn/Photothek)

Röllig kam in das zentrale Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit nach Berlin-Hohenschönhausen. 1988 wurde er in die Bundesrepublik ausgebürgert. Erst zehn Jahre später erfuhr er aus seinen Stasi-Akten, wo er in der DDR inhaftiert war. Röllig sagt: „Die Stasi-Akten helfen nicht nur im Rückblick, sondern auch dabei, wie wir heute totalitäre Tendenzen verhindern können.“ 

Ausstellung bis 28. April im Mauer-Mahnmal des Bundestages

Vier Personen ssitzen auf einem Podium und sprechen vor einem Publikum miteinander

In einer Diskussionsrunde sprachen Michael Hollmann (v.l.), Sarah Oswald, Katrin Budde und Sabine Fuhrmann über das Auseinandersetzen mit der Vergangenheit und wie das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden kann. (DBT/Felix Zahn/Photothek)

Im Anschluss an das Gespräch von Mario Röllig mit der SED-Opferbeauftragten fand eine Diskussionsrunde statt. Die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Katrin Budde (SPD), Prof. Dr. Michael Hollmann (Präsident des Bundesarchivs) und Sabine Fuhrmann (Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen und Vizepräsidentin der Bundesrechtsanwaltskammer) sprachen unter anderem darüber, welche Bedeutung die Beschäftigung mit der Stasi heute noch hat und ob das Auseinandersetzen mit der Vergangenheit das Vertrauen in die Demokratie stärken kann. Die Moderation übernahm Sarah Oswald  vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. (cha/29.04.2024)

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