Parlament

Organklagen der AfD-Fraktion zur Besetzung von Ausschussvorsitzen erfolglos

Männer und Frauen in roten Richterroben stehen nebeneinander, in seitlicher Perspektive aufgenommen.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit der Vorsitzenden Doris König (Mitte) vor der Urteilsverkündung (© picture alliance/dpa | Uwe Anspach)

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am Mittwoch, 18. September 2024, zwei Organklagen der AfD-Bundestagsfraktion zur Besetzung von Ausschussvorsitzen teilweise als unbegründet zurückgewiesen und im Übrigen als unzulässig verworfen.

Organklagen der AfD-Fraktion

Zum einen hatte sich die Fraktion gegen die Abwahl des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in der vergangenen Wahlperiode am 13. November 2019 gewandt (Aktenzeichen: 2 BvE 1 / 20). 

Zum anderen hatte sie die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden des Innenausschusses, des Gesundheitsausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der laufenden Wahlperiode gerügt, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils keine Mehrheit erreichten (Aktenzeichen: 2 BvE 10 / 21). Die Fraktion sah sich dadurch in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion verletzt. Anträge der Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte das Gericht im erstgenannten Verfahren am 4. Mai 2020 und im letztgenannten Verfahren am 25. Mai 2022 abgelehnt.

Geschäftsordnungsautonomie lässt Wahlen zu

Wie der Zweite Senat unter Vorsitz von Prof. Dr. Doris König mitteilt, erging die Entscheidung einstimmig. Eine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung als Fraktion aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages lieg nicht vor. 

Die Fraktion könne sich zwar auf das Recht auf Gleichbehandlung bei der Besetzung der Ausschussvorsitze stützen. Die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitze und die Abwahl vom Vorsitz des Rechtsausschusses bewegten sich jedoch im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie nach Artikel 40 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Alleiniger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei das Willkürverbot.

Die Zusammensetzung der Ausschüsse und die Regelung ihres Vorsitzes wird im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorgenommen. Dies regelt Paragraf 12 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bundestages. Die Fraktionen benennen die Ausschussmitglieder. Den Ausschussvorsitzenden obliegt die Vorbereitung, Einberufung und Leitung der Ausschusssitzungen sowie die Durchführung der Ausschussbeschlüsse. Die Vorsitzenden sind bei der Wahrnehmung ihrer amtlichen Aufgaben gehalten, parteipolitische Neutralität zu wahren, wie der Senat betont.

Verteilung der Ausschussvorsitze im Zugriffsverfahren

Paragraf 58 der Geschäftsordnung legt fest, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreterinnen und Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat „bestimmen“. Seit der ersten Wahlperiode ist es üblich, so das Gericht, dass sich die Fraktionen im Ältestenrat um eine Einigung bemühen, welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz erhalten soll. Gelingt eine solche Einigung nicht, werden die Ausschussvorsitze im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die Fraktionen wählen in einer anhand der Stärkeverhältnisse im Parlament bestimmten Zugriffsreihenfolge je einen noch freien Ausschussvorsitz, sodass nach und nach alle Ausschussvorsitze vergeben werden.

Die Ausschüsse bestimmen in ihren konstituierenden Sitzungen ihre Vorsitzenden. Dabei erklärt die vorschlagsberechtigte Fraktion, wen sie für das Amt des Ausschussvorsitzes vorsieht. Bis zum Ende der 18. Wahlperiode 2017 wurde so vorgegangen, dass der Vorschlag durch Akklamation bestätigt wurde, wenn sich dagegen kein Widerspruch erhob oder das Verhalten der Ausschussmitglieder auf allgemeine Zustimmung schließen ließ. Nur wenn Widerspruch geäußert wurde, fand vereinzelt eine Wahl statt.

Abwahl des Rechtsausschuss-Vorsitzenden 2019

Nach dem Einzug der AfD ins Parlament 2017 kam es in mehreren Ausschüssen nach Widersprüchen durch Ausschussmitglieder anderer Fraktionen zu Wahlen zum Ausschussvorsitz. Die von der AfD benannten Kandidaten erreichten damals die erforderlichen Mehrheiten, darunter der Abgeordnete Brandner im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. 

In den Jahren 2018 und 2019 beanstandeten dem Senat zufolge Mitglieder des Rechtsausschusses das Auftreten des Vorsitzenden bei Veranstaltungen des Deutschen Anwaltvereins am 28. Februar 2018 und 15. Januar 2019. Sie beklagten, Brandner habe nicht das erforderliche Maß an parteipolitischer Zurückhaltung walten lassen und dadurch seine Aufgabe, den Ausschuss als Ganzen zu repräsentieren, verfehlt. 

In der zweiten Hälfte des Jahres 2019 habe Brandner durch mehrere Beiträge auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ öffentliche Empörung hervorgerufen. Vor diesem Hintergrund hatte der Rechtsausschuss am 13. November 2019 auf Antrag der Obleute der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit 37 Ja- gegen sechs Nein-Stimmen Brandner vom Ausschussvorsitz abzuberufen. Fortan leitete der stellvertretende Ausschussvorsitzende den Rechtsausschuss.

Vorsitz-Kandidaten verfehlten erforderliche Mehrheit 

Auch zu Beginn der laufenden Wahlperiode kam das Zugriffsverfahren bei der Verteilung der Ausschussvorsitze zur Anwendung. Dabei fielen der AfD-Fraktion die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu. 

In den konstituierenden Ausschusssitzungen am 15. Dezember 2021 wurden auf Antrag der Regierungsfraktionen geheime Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden durchgeführt. Bei diesen Wahlen erhielt keiner der von der AfD-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten die erforderliche Mehrheit. Die Vorsitze sind seitdem vakant; die stellvertretenden Vorsitzenden leiten die Ausschüsse.

Die Fraktion machte in ihren Organklagen jeweils geltend, von den genannten Ausschüssen, dem Bundestag sowie der Präsidentin und dem Präsidium des Bundestages in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion, auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und auf effektive Opposition verletzt worden zu sein. (vom/18.09.2024)

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