Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben am Freitag, 23. Juni 2023, einen Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ (20/6500, 20/6946, 20/7293 Nr. 1.3) angenommen. Für den Entwurf votierten 388 Abgeordnete, 234 Parlamentarier stimmten dagegen, es gab 31 Enthaltungen. Gegen das Votum der Opposition wurde außerdem ein Entschließungsantrag angenommen, den die Koalitionsfraktionen zu dem Gesetzentwurf eingebracht hatten (20/7432). Zwei weitere Entschließungsanträge von den Fraktionen der CDU/CSU (20/7400) und Die Linke (20/7399) lehnte das Parlament mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen ab.
Ebenfalls keine Mehrheit erhielt ein AfD-Fraktion mit dem Titel „Technisierung statt Zuwanderung – Für einen Arbeitsmarkt der Zukunft“ (20/5225). Der Antrag wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurückgewiesen. Zu den Vorlagen hatteen der Innenausschuss Beschlussempfehlungen (20/7394) und der Haushaltsausschuss einen Bericht gemäß Paragraph 96 der Geschäftsordnung zur Finanzierbarkeit (20/7406) eingebracht.
Innenministerin: Ein Riesenschritt für die Zukunft
Deutschland bekomme „das modernste Einwanderungsrecht der Welt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Beginn der Debatte. „Das ist ein guter Tag für die Bundesrepublik Deutschland“, befand sie. Fast zwei Millionen offene Stellen habe es Ende 2020 gegeben. Der Mangel an Fachkräften, so Faeser weiter, gelte als eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft in Deutschland. Daher sei der Gesetzentwurf, der nach den Worten der Ministerin im parlamentarischen Verfahren „noch besser“ gemacht worden sei, „ein Riesenschritt für die Zukunft unseres Landes“. Es sichere hierzulande den Wohlstand.
Das Gesetz müsse nun aber auch in der Praxis umgesetzt werden, verlangte sie. Dazu müssten Verfahren gestrafft, Bürokratie abgebaut und eine Handhabbarkeit geschafft werden. Es sei schlicht nicht hinnehmbar, dass man 17 Anträge stellen müsse, wolle man eine Pflegekraft aus dem Ausland nach Deutschland holen, sagte Faeser.
Union nennt Regierungsentwurf „Mogelpackung“
Andrea Lindholz (CDU/CSU) teilte die Begeisterung der Innenministerin nicht. Zwar stehe auf dem Gesetz Fachkräfteeinwanderung. Es gehe aber vor allem um die „Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt und ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige“. Das Gesetz sei keine Weiterentwicklung der Regelung von 2020. „Es ist ein Risiko, es ist nicht modern, es ist eine Mogelpackung und es löst nicht das Fachkräfteproblem in Deutschland“, urteilte die Unionsabgeordnete.
Die Anforderungen an die Qualifikation der Zuwanderer würden massiv gesenkt, bemängelte Lindholz. Das Punktesystem schaffe zudem ein „Ampel-Bürokratiemonster“ zugunsten von Ausländern ohne Jobangebot und ohne ausreichende Qualifikation. Von dem von der Ampel vollendeten Spurwechsel profitierten mehr als 250.000 Asylbewerber. „Damit setzen Sie neue Anreize für illegalen Zuwanderung nach Deutschland“, sagte die Unionsabgeordnete.
Grüne: Das ist ein gesellschaftlicher Meilenstein
An den Haaren herbeigezogen sei diese Kritik, befand Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen). „Das ist ein gesellschaftlicher Meilenstein, zu dem Sie nicht in der Lage waren“, sagte er an seine Vorrednerin gewandt. Damit werde die größte Wirtschaftsbremse in Deutschland gelöst. Es werde umgesetzt, was Unternehmen seit Jahren von der Politik eingefordert hätten. So werde der Arbeitsmarkt in Deutschland gegenüber ebenfalls erfolgreichen Einwanderungsländern wie den USA konkurrenzfähig, sagte der Grünenabgeordnete.
Seine Fraktion freue sich besonders über den Spurwechsel. „Wer schon hier ist, egal aus welchem Grund, hat jetzt die Chance, als Fachkraft in unserem Land tätig zu werden.“ Menschen, die jahrzehntelang zum Nichtstun und Abwarten verdammt gewesen seien, erhielten nun eine Perspektive, langfristig in Deutschland beschäftigt zu werden, sagte von Notz.
AfD übt scharfe Kritik am „Spurwechsel“
Aus Sicht von Norbert Kleinwächter (AfD) sorgt das Gesetz dafür, „dass jeder reinkommt, aber keiner rausfliegt“. Die in der Tat benötigten Fachkräfte brauche Deutschland nicht aus dem Ausland, sagte Kleinwächter. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge seien rund 780.000 offene Stellen in Deutschland gemeldet. Dem stünden 5,5 Millionen Leistungsberechtigte im Bürgergeld gegenüber, von denen 3,9 Millionen erwerbsfähig seien. 2,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahre seien arbeitslos.
Zudem habe die Regierung seit 2014 2,5 Millionen „sogenannte Flüchtlinge ins Land geholt“, sagte der AfD-Abgeordnete. Es gebe nicht zu wenig Leute im Land. „Wir haben das Problem, dass wir viel zu viele Menschen im Land haben, die sich nicht sozialisieren, nicht qualifizieren und auch nicht integrieren – außer in unser Sozialsystem.“ Nun solle es auch noch den Spurwechsel für diejenigen geben, „die gar nicht da sein dürften“.
FDP: An Kanada, Australien und Neuseeland orientieren
Ordnung und Offenheit sind laut Johannes Vogel (FDP) keine Gegensätze. „Wir brauchen die klugen Köpfe und die fleißigen Hände“, sagte er. „Wir müssen endlich besser werden im globalen Wettbewerb um Talente.“ Dazu trage das Gesetz bei. An Kanada, Australien und Neuseeland gelte es sich zu orientieren, sagte Vogel. Das sei seit Jahren überfällig.
Mit dem Punktesystem, so der FDP-Abgeordnete, werde ein klares Signal an die Welt gesendet: „Wer nach klaren Kriterien wie Qualifikationen, Arbeitsmarktbedarf und Sprache herkommen will, ist herzlich eingeladen, das zu tun.“ Deutschland sei schon lange ein Einwanderungsland, sagte Vogel. Es zähle nicht, woher jemand kommt. „Für uns zählt alleine, wohin er oder sie mit uns will.“
Linke warnt vor „Zwei-Klassen-Migrationspolitik“
Gökay Akbulut (Die Linke) hält das Gesetz für „zu einseitig an den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitgeber ausgerichtet“. Eine Reform des Einwanderungsrechts müsse sich aber vor allem an menschenrechtlichen Gesichtspunkten orientieren. „Wir wollen, dass die Rechte der Migrantinnen und Migranten gestärkt werden“, sagte die Linken-Abgeordnete.
Zwar sei es erfreulich, dass die Ampel den Entwurf nachgebessert habe und den Familiennachzug erleichtern wolle. Davon würden aber nur Fachkräfte profitieren, die als leitenden Angestellte, als Führungskraft oder als „Unternehmensspezialist“ tätig seien. Das führe zu einer Zwei-Klassen-Migrationspolitik, beklagte sie.
Arbeitsminister: Irreguläre Migration reduzieren, legale Einwanderung stärken
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, es würden nicht nur „ein paar Akademiker“ gebraucht, sondern auch beruflich Qualifizierte. „Wir brauchen Arbeitskräfte und Fachkräfte im Handel, im Handwerk, im Bereich der sozialen Dienstleistungsberufe und im Bereich der industriellen Produktion“, sagte der Minister. Deshalb sei es wichtig, inländische Potenziale anzusprechen – ebenso wie die qualifizierte Einwanderung.
Mit dem Gesetz werde aber auch Migration besser gesteuert und sortiert. Es gelte, irreguläre Migration zu reduzieren und legale Einwanderung zu stärken. „Das ist in unserem Interesse“, sagte der Minister.
SPD wirbt für offene Kultur
Hakan Demir (SPD) kritisiert die Unionsfraktion „Wir müssen eine offene Gesellschaft sein, die neue Nachbarn akzeptiert“, sagte er. Das müsse auch in der Kommunikation deutlich werden. „Sonst kommen diese Menschen nicht und bleiben auch nicht.“
Wolle man, dass die neuen Nachbarn „mit uns zusammen den Wohlstand hier sichern, müssen wir eine offene Kultur und eine Freundlichkeit haben, die auch im Bundestag starten muss“, betonte Demir.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetzentwurf „zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ (20/6500) will die Bundesregierung den Herausforderungen für die Fachkräftesicherung und den Arbeitsmarkt in Deutschland begegnen. Zur Bedarfsdeckung gelte es weiterhin, in erster Linie inländische und innereuropäische Potenziale zu heben, heißt es in dem Entwurf. Dies reiche aber nicht aus, um den Fach- und Arbeitskräftebedarf zu sichern. „Zusätzlich müssen drittstaatsangehörige Fachkräfte für eine Erwerbsmigration nach Deutschland gewonnen werden und ihnen hierzu ein rechtmäßiger Aufenthalt gewährt werden“, schreibt die Bundesregierung.
Der Grundsatz des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes aus dem Jahr 2020 – eine qualifikations- und bedarfsorientierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt – habe sich bewährt, heißt es in dem Entwurf. Darauf aufbauend, solle die Fachkräfteeinwanderung künftig auf drei Säulen beruhen: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule und der Potenzialsäule. Zentrales Element der Einwanderung bleibe die Fachkräftesäule. Sie umfasse wie bisher die Blaue Karte EU für ausländische Hochschulabsolventen sowie die nationale Aufenthaltserlaubnis für ausländische Fachkräfte mit einem deutschen oder in Deutschland anerkannten Abschluss. Wer einen solchen Abschluss hat, soll künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können.
Mit dem Gesetzentwurf würden unter Ausnutzung des Spielraums, den die entsprechende EU-Richtlinie (2021 / 1883) biete, die bestehenden Gehaltsschwellen für Regel- und Engpassberufe spürbar abgesenkt. Zudem werde eine niedrige Mindestgehaltsschwelle für Berufsanfänger mit akademischem Abschluss geschaffen, was die Arbeitsaufnahme für Berufseinsteiger erleichtere. Künftig soll auch international Schutzberechtigten, die ihren Schutzstatus in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat erhalten haben, eine Blaue Karte EU ausgestellt werden. Für Inhaber einer solchen würden Arbeitgeberwechsel vereinfacht sowie Regelungen zur Ausübung von kurz- und langfristiger Intra-EU-Mobilität in Deutschland auch für Inhaber einer Blauen Karte EU geschaffen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellt wurde. Zudem werde der Familiennachzug zu Inhabern einer Blauen Karte EU sowie die Erlangung der Erlaubnis zum Daueraufenthalt erleichtert.
Blaue Karte EU für IT-Spezialisten
Neu ist laut Bundesregierung, dass IT-Spezialisten künftig eine Blaue Karte EU erhalten können, wenn sie zwar keinen Hochschulabschluss besitzen, „aber bestimmte non-formale Qualifikationen nachweisen können“. Mit diesen Regelungen soll die Attraktivität Deutschlands für besonders qualifizierte Drittstaatsangehörige gesteigert werden, heißt es in der Vorlage.
Indem die Aufnahme eines Studiums in Deutschland attraktiver gemacht wird, soll die Bildungsmigration gestärkt werden. Hierbei werde die Sicherung des Lebensunterhalts durch erweiterte Möglichkeiten zur Nebenbeschäftigung bei Studienaufenthalten erleichtert. Dazu werde die Möglichkeit geschaffen, die Höchstbeschäftigungszeiten nach den sozialrechtlichen Regelungen zu sogenannten Werkstudenten auch aufenthaltsrechtlich anzuwenden, um im erlaubten Rahmen zulässiger Nebentätigkeiten während des Studiums zu bleiben, schreibt die Bundesregierung.
Durch die Einführung einer neuen Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft soll für vorqualifizierte Drittstaatsangehörige das Erlangen eines in Deutschland anerkannten Abschlusses attraktiver werden, heißt es in dem Entwurf. Dazu könne das Anerkennungsverfahren - wie bisher nur im Rahmen von Vermittlungsabsprachen möglich - erst im Inland begonnen werden.
Für Personen mit einem ausländischen, mindestens zweijährigen Berufsabschluss oder einem Hochschulabschluss soll zur Arbeitssuche eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems eingeführt werden. Zu den Auswahlkriterien sollen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug gehören. Die Chancenkarte biete Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung. „Der Wechsel in Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Bildungszwecken wird gewährleistet“, schreibt die Regierung.
Änderungen im Ausschuss
Gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der AfD-Fraktion nahm der Ausschuss für Inneres und Heimat in seiner Sitzung am Mittwoch, 21. Juni 2023, einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen an, der eine Senkung der Mindestgehaltsschwelle für die Erteilung der Blauen Karte EU für Regelberufe auf 50 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung vorsieht. Diese neue Mindestgehaltsschwelle läge laut Begründung im laufenden Jahr bei 43.800 Euro brutto im Jahr.
Auch sollen Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind sowie unter anderem eine entsprechende Qualifikation und ein Arbeitsplatzangebot haben oder sich bereits in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis befinden, ihr Asylverfahren durch Antragsrücknahme beenden und eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können, ohne zuvor auszureisen und ein Visumverfahren durchlaufen zu haben.
Ferner soll in Zukunft auch den Eltern einer Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden können. Gleiches gilt für die Schwiegereltern der Fachkraft, wenn deren Ehepartner sich dauerhaft in Deutschland aufhält. Zudem ist unter anderem die Möglichkeit einer Verlängerung der Chancenkarte um bis zu zwei Jahre vorgesehen, wenn der Ausländer einen Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Arbeitsplatzangebot für eine inländische qualifizierte Beschäftigung hat und die Bundesagentur für Arbeit zustimmt.
Entschließung
Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen fasste der Ausschuss auf Antrag der Koalition eine Entschließung, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, die sogenannte Westbalkan-Regelung „zu einem Teil des Instrumentenkastens für Migrationsabkommen zu machen“.
Die genannte Regelung eröffnet Menschen vom Westbalkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Sie könne Bestandteil der jeweils zu verhandelnden Migrationsabkommen der Bundesregierung sein, heißt es in der Entschließung. Wenn mit einem Staat ein Migrationsabkommen mit der analogen Anwendung der Westbalkan-Regelung geschlossen wird, soll der Entschließung zufolge „das von der Bundesregierung verhandelte Kontingent nicht auf das bestehende Kontingent der Westbalkan-Staaten angerechnet und per Verordnung umgesetzt“ werden.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag (20/5225) einen zukunftsfähigen Arbeitsmarkt, der auf Technisierung statt auf Zuwanderung setzt. Darin heißt es: „Migranten haben die Fachkräftelücke in der Vergangenheit nicht geschlossen und werden sie auch in Zukunft nicht schließen. Statt verzweifelt an überkommenen Konzepten festzuhalten, muss die Arbeitsmarktpolitik komplett neu aufgestellt werden.“ Langfristig sei eine aktivierende Familienpolitik erforderlich, die eine ausgeglichene Geburtenbilanz zum Ziel habe. Für den Übergang sei zur Schließung der Arbeitskräftelücke in Deutschland eine „Zwei-Standbeine-Strategie erfolgversprechend: Vermehrte Nutzung des eigenen Arbeitskräftepotentials auf der einen Seite, verstärkte Technisierung auf der anderen Seite.“
Die Fraktion fordert von der Bundesregierung unter anderem, die Steuerlast für Erwerbstätige spürbar zu senken, die „unkontrollierte Massenmigration und dem daraus resultierenden Lohndumping ein Ende zu bereiten“ sowie ein am tatsächlichen Bedarf ausgerichtetes Einwanderungsrecht zu schaffen. Ferner verlangen die Abgeordneten, ältere Beschäftigte mit steuerlichen Anreizen für Arbeitnehmer und Unternehmen - freiwillig- länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten. Menschen müssten zudem für eine frühere Berufsausbildung und einen frühen Berufseintritt motiviert werden, sodass sich automatisch die Lebensarbeitszeit erhöht, was wiederum positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Finanzierung der Sozialversicherungen hätte, heißt es in dem Antrag. (hau/che/23.06.2023)