28.11.2021 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas anlässlich der Entzündung der Chanukka-Lichter am Brandenburger Tor

[Es gilt das gesprochene Wort.]

Sehr geehrter Herr Rabbiner Teichtal,
liebe Claudia Roth,
liebe Frau Berben,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

in diesem Jahr feiern wir ein besonderes Jubiläum: 1700 Jahre jüdisches Leben in unserem Land. Das heißt: Seit 1700 Jahren werden bei uns in den späten Herbsttagen an den Chanukka-Leuchtern die Lichter entzündet.

Eine jüdische Tradition, die viele Jahrhunderte älter ist als das Anzünden der Kerzen auf dem Adventskranz.

Eine jüdische Tradition, die an das Wunder im Tempel von Jerusalem erinnert: An ein kleines bisschen koscheres Öl, das zur Freude der Gläubigen legendäre acht Tage brannte. 

Eine jüdische Tradition, die in zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ausgelöscht werden sollte. Wie alles jüdische Leben.  

In feierlichen Momenten wie diesem sollten wir uns auch daran erinnern. Obwohl – oder gerade weil – viele Leute nichts mehr von den Verbrechen im Nationalsozialismus hören wollen.

Heute wird Chanukka in den Familien und in den Synagogen in Deutschland wieder selbstverständlich gefeiert. So selbstverständlich wie in christlichen Familien der Advent, der Weihnachten ankündigt.

Ich bin sehr froh, mit Ihnen gemeinsam in aller Öffentlichkeit hier in Berlin das Lichterfest feiern zu können! 

Das wiederum ist nicht selbstverständlich. Denn in den 1700 Jahren jüdisch-deutscher Geschichte gab es immer wieder Brüche. Ausbrüche von antisemitischem Hass, von Diffamierung und Entrechtung.  

Und auch heute sind Jüdinnen und Juden in Deutschland immer wieder Bedrohung und Antisemitismus ausgesetzt. Rabbiner Teichtal hat selbst schlimme Erfahrung gemacht, als er vor zwei Jahren hier in Berlin angegriffen wurde. 

In unserer Gesellschaft zeigt sich Judenfeindlichkeit in erschreckend vielen Formen. Aus Hass und aus Unwissenheit. Auf dem Schulhof und unter Migranten. Unter Kritikern der israelischen Politik wie unter Menschen, die für alles Übel in der Welt Schuldige suchen. Keine Form des Antisemitismus darf salonfähig werden, keine ist tolerabel oder zu entschuldigen.

Anfeindungen und Vorurteilen müssen wir entschieden entgegentreten. Gewalttätige Übergriffe müssen zur Anzeige gebracht und strafrechtlich verfolgt werden. Ich meine es sehr ernst, wenn ich sage: Wir müssen mehr tun gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit in unserem Land.

Glauben Sie mir: Ich schäme mich, Ihnen das bei einem so festlichen Anlass wie dem öffentlichen Entzünden des ersten Lichts auf dem Chanukka-Leuchter versichern zu müssen! 

Meine Damen und Herren,

das Judentum gehört seit 1700 Jahren zu uns, eine lange gemeinsame Geschichte verbindet uns – auch das Erreichte: Längst haben wir alle die Bürgerrechte, genießen Religionsfreiheit und können auf ein Diskriminierungsverbot vertrauen. Der Rechtsstaat macht es möglich, dass wir alle diese Grundsätze einklagen können. Unsere Demokratie gründet auf dem unübertroffen menschenfreundlichen Grundsatz, der jedem und jeder von uns eine unantastbare Würde zuspricht.

Und wir leben in einer aufgeklärten, vielfältigen Gesellschaft. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinden ist diese Vielfalt spürbar. Das Miteinander von Menschen mit verschiedenen Traditionen, Prägungen und Weltanschauungen in unserem Land ist ein Fortschritt – und nicht konfliktfrei, natürlich nicht. Aber wir sehen, dass es möglich ist. Und wir erleben, dass wechselseitige Toleranz allen das Leben leichter macht.  

Wir können in unserem Land Chanukka, Weihnachten und ja: auch das muslimische Zuckerfest feiern. Wir sind frei in der Frage, ob wir unsere Feste traditionell und religiös begehen – oder ob wir sie weltlich begreifen. Ob wir zu unseren Feiern auch Menschen anderen Glaubens oder Menschen ohne religiöse Bindung einladen. Ob wir miteinander oder nebeneinander feiern möchten.

Diese Freiheit hatten in den 1700 Jahren unserer gemeinsamen Geschichte nicht viele Generationen. Ich empfinde sie als großes Glück.

Und wünsche allen Jüdinnen und Juden in Deutschland von Herzen ein friedliches und leuchtendes Chanukka!     

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