17.03.2023 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung zur Würdigung von Antje Vollmer

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas:

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. Bitte nehmen Sie Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine herausragende Parlamentarierin verloren. Antje Vollmer ist tot. Sie starb vorgestern nach langer Krankheit.

1983 zog Antje Vollmer auf der Liste der Grünen in den Bundestag ein - zu ihrer eigenen Überraschung. Sie selbst war damals noch nicht mal Parteimitglied. Als sie 2005 aus dem Parlament ausschied, war sie weit über die Grünen hinaus bekannt und anerkannt als eine der profiliertesten Frauen in der deutschen Politik. Dazwischen lagen fünf Wahlperioden, in denen sie ihre Partei und den Deutschen Bundestag mitprägte.

Immer wieder gehörte sie zu den Ersten: zu den ersten grünen Abgeordneten im Parlament. Und zu den ersten Frauen der Bonner Republik, die selbstbewusst ihren Platz in der Politik einforderten. Sie war Teil des legendären grünen Feminats, des ersten rein weiblichen Fraktionsvorstands in der deutschen Parlamentsgeschichte. Das war eine feministische Machtdemonstration. Den Frauen ging es aber nicht um ihre Person, sondern um das Prinzip. Jahre später sagte Antje Vollmer einmal über sich: „Ich habe viel mitgestaltet. Die vorderen Plätze sind mir nicht so wichtig wie die Autorenschaft an Ideen.“

1994 war Antje Vollmer wieder einmal eine Pionierin. Sie wurde die erste grüne Vizepräsidentin dieses Hauses. Ihre Wahl war das Ergebnis einer schwarz-grünen Zusammenarbeit. Auch das eine Premiere! Antje Vollmer sah darin - ich zitiere - „das Akzeptieren der Grünen auf allen Ebenen des Parlaments“. Ihrer Partei gab sie zugleich zu bedenken, auch sie sei nun - Zitat - „Teil des zu reformierenden Apparats“. Sie formulierte damit ihren eigenen Anspruch. Sie machte sich immer wieder stark für eine Parlamentsreform.

Ihr Amt füllte sie mit Leidenschaft aus und mit einer Würde, die den einen oder anderen überraschte. Der „Spiegel“ nannte sie schon bald die „grüne Weizsäckerin“. Das entsprach ihrem Politikverständnis. Sie wollte über Lager- und Milieugrenzen hinweg wirken. Sie besuchte die Sudentendeutschen ebenso wie die Atomkraftgegner in Gorleben. Auch wenn ihr das Kritik einbrachte: Sie setzte auf Dialog - zwischen den Flügeln ihrer Partei ebenso wie zwischen den verhärteten Fronten der Gesellschaft. Sie glaubte an die Kraft des Dialogs auch zwischen Staaten.

Sie war eine überzeugte Pazifistin und blieb dies auch, über alle Zeitenwenden hinweg. Sie engagierte sich außenpolitisch und betrieb zum Teil eine unermüdliche Reisediplomatie. Besondere Verdienste erwarb sie sich um die deutsch-tschechische Aussöhnung. Dafür wurde sie 1997 mit der Gedenkmedaille der Prager Karls-Universität geehrt. Auch Tibet lag ihr sehr am Herzen. Immer wieder setzte sie sich bei der chinesischen Regierung für die Menschen in dieser Region ein. 1995 empfing sie den Dalai-Lama im Deutschen Bundestag.

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt blieb sie dem Parlament verbunden. Sie moderierte ehrenamtlich den Runden Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, den der Deutsche Bundestag angestoßen hatte. Sie schrieb Bücher und Artikel. Bis zum Schluss.

Antje Vollmer wird uns fehlen. Ich bitte Sie, sich nun für eine Schweigeminute von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

- Vielen Dank. Bitte nehmen Sie wieder Platz.

(Die Anwesenden nehmen wieder Platz)

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