Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Verleihung des Deutschen Afrika-Preises an Yvonne Aki-Sawyerr, Bürgermeisterin von Freetown, Sierra Leone
[Es gilt das gesprochene Wort]
Liebe Frau Eid,
liebe Frau Schmitz,
lieber Herr Stäcker,
Exzellenzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
verehrte Gäste,
und vor allem: liebe Frau Bürgermeisterin Yvonne Aki-Sawyerr!
Bei manchen Themen sind sich Sierra Leone und Deutschland recht ähnlich. Trotz aller Unterschiede:
64 Prozent der Bürgerinnen und Bürger von Sierra Leone sind der Meinung, dass die Regierung mehr für die Gleichberechtigung und die Chancengleichheit der Frauen tun sollte.
Fast 50 Prozent der Menschen in Deutschland sagen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht verwirklicht sei.
Die Zahlen zeigen: In Sachen Gleichberechtigung ist in Deutschland wie in Sierra Leone noch Luft nach oben.
Liebe Yvonne Aki-Sawyerr,
ich freue mich sehr, dass Sie heute den Deutschen Afrika-Preis erhalten.
Denn Sie engagieren sich besonders für mehr Gleichberechtigung.
Insbesondere für mehr Mitsprache von Frauen in der Politik.
Das ist dringend nötig!
Und auch mir ein großes Anliegen.
Liebe Frau Eid,
Sie hatten mich im persönlichen Gespräch gefragt, ob ich den Deutschen Afrika-Preis überreiche.
Hätte ich damals schon gewusst, dass Yvonne Aki-Sawyerr die Preisträgerin ist, hätte ich sofort zugesagt.
Ohne in meinen Kalender zu schauen.
Meine Damen und Herren,
weltweit sind Frauen überproportional von Armut betroffen.
Im globalen Durchschnitt verdienen Frauen nur 80 Prozent des Einkommens von Männern.
Das Weltwirtschaftsforum misst jährlich, wie es um die Gleichberechtigung bestellt ist.
Der aktuelle Bericht zeigt:
Läuft es weiter wie bisher, wird die Geschlechterdifferenz erst im Jahr 2158 behoben sein.
In 134 Jahren.
Das wird kein Mädchen erleben, das heute geboren wird!
Wir müssen also dringend handeln!
Liebe Frau Aki-Sawyerr,
Sie sagen, eine Sache habe Sie unangenehm überrascht:
Wie oft Sie gefragt wurden, ob Sie als Frau den Job als Bürgermeisterin überhaupt ausfüllen könnten.
Ich frage zurück: Welcher Mann muss sich eine solche Frage gefallen lassen?
Sie haben daher in Freetown eine Stiftung für Mädchen gegründet, um Bildung zu fördern und Selbstvertrauen zu stärken.
Sie wollen Mädchen und junge Frauen dazu anspornen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich zu engagieren.
Liebe Frau Aki-Sawyerr,
Sie sind eine große Inspiration für zukünftige Politikerinnen!
In den vergangenen Wochen haben Sie außerdem Demonstrationen gegen häusliche Gewalt angeführt.
Nachdem eine ihrer Mitarbeiterinnen, von ihrem Partner getötet wurde.
In Deutschland wurden 2023 über 130.000 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt.
Weltweit erleiden jedes Jahr
unfassbare 245 Millionen Frauen
Gewalt durch ihren Partner.
Wir müssen weltweit vereint gegen dieses Problem vorgehen!
Um die Interessen der Frauen wirksam durchzusetzen, braucht es auch mehr Frauen in den Parlamenten.
Die Sicht von Frauen, ihre Argumente und ihre Lösungsvorschläge müssen mit gleichberechtigtem Gewicht gehört und mitgedacht werden.
Sierra Leone hat seit vergangenem Jahr deutlich mehr weibliche Abgeordnete. Wegen einer neuen gesetzlichen Quote von 30 Prozent.
Das Verhältnis ist ähnlich wie im Deutschen Bundestag – knapp 36 Prozent der Abgeordneten sind Frauen.
Ich bin der Überzeugung: Das reicht nicht.
Ich bin an der Seite derjenigen, die Parität fordern.
Denn wo Frauen mitentscheiden, geht es allen besser.
Wenn Frauen an Friedensabkommen beteiligt sind, hält der Frieden eher und länger.
Zahlreiche Studien haben ergeben: Das Niveau von Korruption ist niedriger, je mehr Frauen im Parlament sitzen.
Wenn Frauen gleichberechtigt sind und die gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität.
Das gilt überall – in Deutschland, in Sierra Leone, in allen Ländern der Welt.
Die Bundesregierung verfolgt deshalb das Konzept einer feministischen Entwicklungs- und Außenpolitik.
Das ist nicht nur Politik von Frauen für Frauen. Sondern Politik für globale Gerechtigkeit!
Politik für Gerechtigkeit – das geht am besten im Dialog und mit Beteiligung.
Frau Aki-Sawyerr,
Sie haben in Freetown viele Initiativen zur Partizipation gestartet.
Runde Tische mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Vor Ort in Stadtteilen und Schulen.
Auf Instagram, TikTok und Facebook.
Sie nehmen die Menschen mit auf Ihre Vision von „TransformFreetown“.
Und wissen: Um Menschen für Demokratie zu begeistern, müssen sie Beteiligung erleben. Gerade auf der so wichtigen kommunalen Ebene. In Deutschland haben wir gute Erfahrungen mit Bürgerräten gemacht.
Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, Berufen und Generationen treffen aufeinander, mit vielen Ideen und Wünschen.
Sie finden Kompromisse und bringen ihre Perspektiven in demokratische Entscheidungsprozesse ein.
Ich bin mir sicher: Nicht nur auf dem Weg zu echter Gleichstellung, sondern auch auf dem Weg zu mehr demokratischer Partizipation können wir weltweit voneinander lernen!
Gleichberechtigung und Beteiligung sind zwei Schlüssel, um unsere Demokratien zu stärken.
Denn wir müssen alle Menschen mitnehmen, um die Demokratie zum Erfolg zu machen.
Demokratien brauchen überzeugte Demokratinnen und Demokraten. Menschen, die die Demokratie zu ihrer Sache machen.
Die Zustimmung zur Demokratie ist in Sierra Leone wie in Deutschland hoch. Auch hier gibt es eine Gemeinsamkeit.
84 Prozent der Menschen in Sierra Leone sagen, dass sie die Demokratie jeder anderen Staatsform vorziehen.
In Deutschland halten 85 Prozent die Demokratie für eine gute Staatsform.
Es ist die Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern, diese grundsätzliche Begeisterung für die Demokratie mit Leben zu füllen.
Durch gute Politik, durch Beteiligung, durch faire Wahlen und Verfahren.
Liebe Yvonne Aki-Sawyerr,
Sie sind eine Frau, die auf der Welt zu Hause ist.
Sie wirken überall authentisch: Bei Podiumsdiskussionen der Vereinten Nationen genauso wie bei Gesprächen in den Straßen von Freetown.
Sie bringen Ihre Heimat mit viel Lebensfreude und Leidenschaft voran und engagieren sich in vielfältigen Bereichen.
Dass durch Ihren Einsatz bald eine Million Bäume in Freetown neu gepflanzt sind, beeindruckt mich besonders.
Claus Stäcker wird sicher noch auf Ihre vielen weiteren Initiativen zum Klimaschutz eingehen.
Auf Ihren Einsatz für Bildung und Arbeit und Zugang zu sauberem Wasser.
Ich möchte Ihnen aber schon jetzt meinen Respekt aussprechen.
Mit einem Song einer Band aus Sierra Leone, den „Refugee All Stars“.
In ihrem Song „Remake the World Again“ heißt es:
„Gib ihnen deine positiven Vibes,
damit die Welt ein besserer Ort wird.“
Liebe Yvonne Aki-Sawyerr,
genau das tun Sie.
Sie arbeiten mit beeindruckender Leidenschaft und mitreißender Motivation daran, die Welt und besonders Freetown zu einem besseren Ort zu machen.
Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Afrika-Preis 2024!