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„Alle bis 65 werden bei der Bundeswehr gebraucht“ – Interview, 27.04.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten auf T-online.de vom 27. April 2022

„Alle bis 65 werden bei der Bundeswehr gebraucht“

t-online: Frau Högl, die Zahl der neuen Rekrutinnen und Rekruten bei der Bundeswehr ist stark eingebrochen. 2021 gab es 16.000 Rekrutinnen und Rekruten, 2020 16.430, 2019 waren es noch 20.170. Hat die Jugend keine Lust mehr, für dieses oder ein verbündetes Land die Haut zu riskieren?

Eva Högl: Doch, die Jugend hat grundsätzlich eine hohe Motivation, sich für unser Land zu engagieren Der Krieg in der Ukraine hat das noch einmal verstärkt. Seitdem wollen viel mehr Menschen in die Bundeswehr gehen und mithelfen, Frieden und Freiheit zu verteidigen.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben noch keine konkreten Zahlen dazu, ich bekomme aber in vielen Gesprächen die Rückmeldung, dass das Interesse gestiegen ist.

Was muss die Bundeswehr grundsätzlich tun, um attraktiver zu werden?

Es geht nicht nur darum, junge Menschen zu gewinnen. Wir müssen auch die mittleren und älteren Jahrgänge ansprechen und um sie werben. Alle bis 65 werden bei der Bundeswehr gebraucht. Es geht ja nicht nur um den Kern der Truppe, sondern auch um die Reserve und die vielen zivilen Tätigkeiten in der Bundeswehr. Gut qualifizierte Frauen und Männer sind überall gefragt.

Fast jede siebte Stelle ist unbesetzt, vor allem in den höheren Rängen. Woran liegt das?

Nicht alle davon sind unbesetzt, sondern die Anwärter und Anwärterinnen schließen gerade noch ihre Ausbildungen oder Lehrgänge ab. Immerhin ist es trotz der Pandemie gelungen, den Personalbestand zu halten. Allerdings bleibt richtig, dass die Bundeswehr beim Thema Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung eine riesige Aufgabe vor sich hat. Ziel muss eine Besetzung zu 100 Prozent sein, plus eine Reserve.

Wie erreicht man dieses Ziel? Mit Werbekampagnen mit martialischen Slogans wie „Krisenherde löscht man nicht mit Abwarten und Teetrinken“? Oder mit dem Versprechen einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Flachbild-Fernsehern in den Stuben, wie es Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einst versuchte?

Mit der ersten Ansprache muss die jeweilige Zielgruppe erreicht werden. Für die Jun-gen braucht es eine peppige Jugendsprache, bei den Mittelalten muss man eher auf die Fähigkeiten abzielen. Jenseits dessen müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn die neuen Rekrutinnen und Rekruten nicht mal Schutzwesten vorfinden oder in verschimmelten Unterkünften mit nicht funktionierenden Toiletten über-nachten müssen, dann sind sie auch schnell wieder weg. Da hilft die beste Werbekampagne nichts.

Braucht die Bundeswehr auch insgesamt mehr Respekt in der Gesellschaft?

Das Problem in den vergangenen Jahren war nicht der mangelnde Respekt, sondern Desinteresse. Das hat sich aber schon in der Corona-Pandemie und beim Hochwasser im vergangenen Sommer geändert, weil die Menschen gesehen haben, wie die Bundeswehr dort Amtshilfe leistete. Und jetzt verändert es sich noch mal massiv durch den Ukraine-Krieg. Die Themen Militär, Verteidigung und Sicherheitspolitik haben eine hohe Aufmerksamkeit.

Die Bundeswehr hat auch ein Frauenproblem. 2021 lag der Anteil der Soldatinnen in der Bundeswehr gerade mal bei knapp 13 Prozent und ist damit seit fünf Jahren fast unverändert. Was muss hier geschehen?

Die Bundeswehr braucht mehr Frauen. Gemischte Teams sind immer besser. Soldatinnen wollen keine Sonderbehandlung, sondern Gleichberechtigung. Dafür braucht es gute Rahmenbedingungen, Respekt und Anerkennung.

Noch düsterer sieht es in den höheren Ebenen aus: Im Generalsrang gibt es gerade mal zwei Frauen – im Sanitätsdienst.

Ja, die Bundeswehr braucht mehr Frauen in Führungspositionen. Frauen müssen als Vorgesetzte sichtbar sein. Seit 20 Jahren können Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr ihren Dienst leisten. Bis man zum General aufsteigt, braucht es eine Zeit. Des-halb haben wir erst zwei weibliche Generale im Sanitätsdienst. Im Heer, in der Marine oder in der Luftwaffe wird es noch dauern, bis Frauen dort in den Generalsrang kommen.

Ist die Bundeswehr noch zu patriarchalisch orientiert?

Die Bundeswehr ist natürlich immer noch eine Männerdomäne. Das verändert sich aber. Die jungen Soldaten freuen sich, dass es auch Frauen in der Truppe gibt.

Die Kritik an Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht, die wie Sie Mitglied der SPD ist, reißt nicht ab. Ist sie eine Fehlbesetzung?

Christine Lambrecht ist eine starke Verteidigungsministerin. Sie hat für die Truppe viel erreicht: 100 Milliarden Euro Sondervermögen, eine schnelle Entscheidung über die Nachfolge für die Tornado-Flugzeuge. Sie hat das Vergabeverfahren beschleunigt und den Bundestag davon überzeugt, dass bis 2025 rund 2,4 Milliarden Euro für die persönliche Ausstattung zur Verfügung gestellt werden.

Aber es ist doch nicht nur ein Kommunikationsproblem: Viele finden es nicht unbedingt das richtige Zeichen, wenn eine Verteidigungsministerin am Morgen nach Kriegsbeginn in der Ukraine als Erstes zur Maniküre geht.

Ich messe die Verteidigungsministerin an dem, was sie für die Truppe erreicht.

Im Bundestag wird am Mittwoch erstmals über das Vorhaben der Ampel beraten, ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro zu beschließen. Wo wird das Geld am meisten gebraucht?

Ich kann nur an alle appellieren, dass das Sondervermögen im Bundestag beschlossen und im Grundgesetz verankert wird. Die Bundeswehr braucht die 100 Milliarden dringend. Außerdem muss das Geld zügig bei der Bundeswehr ankommen. Es geht darum, dass sie wieder einsatzbereit wird. Das fängt bei Funkgeräten und Nachtsichtgeräten an und endet bei großem Gerät wie schweren Transporthubschraubern.

Die Union hat angekündigt, dem Gesetz nur zuzustimmen, wenn das Vermögen komplett in die Bundeswehr investiert und mit der Garantie verbunden wird, dass Deutschland dauerhaft zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung investiert. Ist das der richtige Ansatz?

Ja, die Bundeswehr muss gut ausgestattet werden. Deshalb ist der Ansatz von Bundeskanzler Olaf Scholz, die 100 Milliarden ausschließlich für die Bundeswehr und dabei vorrangig für Material vorzusehen, absolut richtig. Genauso wichtig ist aber auch, dass die Bundeswehr dauerhaft solide finanziert wird. Das ist nicht nur eine Aufgabe für diesen Bundestag, sondern auch für den nächsten.

Die Grünen möchten das Sondervermögen allerdings an die zivile Krisenprävention koppeln.

Das Gute ist: Das Sondervermögen wird es zusätzlich zu dem laufenden Haushalt geben. So ergeben sich andere Möglichkeiten, Aufgaben wie die zivile Krisenprävention aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren. Das eine schließt das andere also nicht aus. Das Sondervermögen muss aber für die Bundeswehr reserviert sein.

Es gibt die Sorge, die 100 Milliarden könnten versickern. Was muss sich beim Beschaffungsamt der Bundeswehr und am Vergabegesetz ändern?

Verteidigungsministerin Lambrecht hat bereits dafür gesorgt, dass im europäischen Vergaberecht die Ausnahme für den militärischen Bereich genutzt wird. So kann fest-gelegt werden, dass man einen Auftrag nicht europaweit ausschreiben muss, sondern an ein deutsches Unternehmen vergeben werden kann. Das kann Verfahren beschleunigen. Außerdem hat die Ministerin dafür gesorgt, dass der Schwellenwert für eine freihändige Auftragsvergabe von 1.000 auf 5.000 Euro hochgesetzt wird.

Und das reicht?

Nein. Damit es noch schneller geht, müssen künftig die Beschaffungsprozesse noch weiter gestrafft werden, etwa indem man die Zuständigkeiten reduziert und für einen Auftrag weniger Unterschriften erforderlich macht. Außerdem muss mehr in die Truppe hineingehört werden, wenn Entscheidungen getroffen werden.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg hat Olaf Scholz die Sorge, dass die Lieferung schwerer Waffen dazu führen könnte, dass Deutschland von Russland als Kriegsteilnehmer wahrgenommen wird. Übernimmt man damit nicht das Narrativ von Wladimir Putin?

Entscheidend ist das Völkerrecht.

Das sehen Völkerrechtler anders. Die einen sagen: Die Lieferung schwerer Waffen würde Deutschland zum Kriegsteilnehmer machen. Die anderen bezweifeln das.

Es gibt auch zum Völkerrecht mehrere Meinungen. Und zunächst ist es eine politische Entscheidung.

Und was denken Sie?

Dass wir alles dafür tun sollten, um die Ukraine zu unterstützen. Auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass die Bundeswehr ausreichend Gerät hat, um einsatzbereit zu sein.

Verspielt Deutschland mit seiner Zurückhaltung nicht gerade seinen Ruf?

Ich bin mir sicher, dass in der Bundesregierung alles getan wird, um die Ukraine zu unterstützen. Und zwar zusammen mit unseren internationalen Partnern. Manchmal gibt es da eine Diskrepanz zwischen dem, was öffentlich kommuniziert wird und der öffentlichen Meinung einerseits, und dem, was tatsächlich passiert, andererseits.

Die deutsche Friedensbewegung vertritt die Position, die Ukraine solle sich ergeben, um den Verlust von Menschenleben zu verringern. Sie waren früher einmal selbst pazifistisch bewegt. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Eine pazifistische Haltung, die in der Forderung besteht, dass die Ukraine kapituliert und von Russland annektiert wird, kann ich nicht nachvollziehen. Ich halte sie für falsch. Mein Verständnis von Pazifismus war schon immer, sich im Ernstfall auch verteidigen zu können. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Deshalb müssen wir sie auch mit Waffen unterstützen.

Ihre Partei hat weiterhin viel Ärger mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der gerade in einem Gespräch mit der „New York Times“ seinen Freund Putin noch einmal verteidigt hat. Wie sollte die SPD damit umgehen?

Der Parteivorstand hat Schröder aufgefordert, die SPD zu verlassen. Das finde ich richtig. Mit seinen Positionen gehört er nicht mehr in die Partei.

Sie selbst und andere haben 1990 mit dem Slogan „Gerd aufs Pferd“ persönlich Wahlkampf für Schröder in Niedersachsen gemacht. Wie groß ist die persönliche Enttäuschung über sein heutiges Verhalten?

Die persönliche Enttäuschung ist sehr groß und damit bin ich nicht allein in der SPD. Gerhard Schröder war in Niedersachsen ein guter Ministerpräsident. Ich habe gern und aus Überzeugung dreimal – 1990, 1994 und 1998 – für ihn Wahlkampf gemacht. Er war auch ein guter Kanzler, der zwar nicht alles, aber vieles richtig gemacht hat. Was er jetzt macht, ist nicht mehr nachvollziehbar. Das ist traurig.

Frau Högl, vielen Dank für das Gespräch.


Interview: Miriam Hollstein

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