22.02.2021 Ernährung und Landwirtschaft — Anhörung — hib 216/2021

Experten bewerten geplante Stärkung der Agrar-Lieferketten

Berlin: (hib/EIS) Die Mehrheit der Sachverständigen befürwortet die von der Bundesregierung geplante Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes (19/26102). Ob die in der Neuregelung vorgesehenen Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten können, wurde von den Experten am Montag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft indes kritisch beurteilt. Grundlage der Anhörung bildete zusammen mit dem Regierungsentwurf ein von der FDP-Fraktion vorgelegter Antrag (19/25794).

Die Sachverständige Birgit Buth befürwortete die geplante Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/633 (UTP-Richtlinie) in deutsches Recht. In der Vergangenheit habe es sich gezeigt, dass eine Regulierung erforderlich ist, um mehr Fairness zu garantieren. Doch der faire Handel dürfe nicht an Umsatzgrenzen gekoppelt sein, sondern müsse für alle Unternehmen auf jeder Stufe gelten. Derzeit sehe der Gesetzgeber eine Umsatzgrenze von rund 350 Millionen Euro vor. Für Expertin Buth hängt fehlendes Gleichgewicht nicht von Umsatzstaffeln ab, sondern vom individuellen Verhältnis der betroffenen Marktpartner. Die Sachverständige plädierte für eine Aufhebung der Umsatzgrenzen.

Der Sachverständige Hans Foldenauer begrüßte mit Blick auf die Landwirte die geplante Umsetzung der UTP-Richtlinie. Zu kritisieren sei allerdings, dass der Blick zu stark auf den Handel gelegt werde. Mit der Richtlinie könne keine Verbesserung der Marktstellung der Primärerzeuger erreicht werden, sagte der Experte. 99 Prozent der Primärerzeuger hätten keinen direkten Zugang oder direkte Beziehungen zum Einzelhandel. Die wirtschaftliche Situation der Primärerzeuger könne nicht verbessert werden, wenn kaum neue Abnehmer gefunden werden, die andere Bedingungen anbieten. Die Standards würden durch die Abnehmer diktiert. Foldenauer sah unter anderem die Ursache der Problematik darin, dass die Agrarpolitik darauf ausgerichtet sei, die Verarbeitungsebene mit billigen Rohstoffen zu versorgen.

Peter Feller von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE) bezeichnete den Lebensmittelhandel als den wichtigsten Absatzkanal von rund 6.000 Herstellern, denen wenige Händler gegenüber überstehen würden. Dies gehe in der Praxis oft über harte Verhandlungen hinaus, die die Produzenten durch den übermächtigen Handel überbeanspruchen würden. Ein Problem sei, dass die Unternehmen Angst vor Abstrafung hätten, ihre Listungen entfallen und daraus folgende wirtschaftliche Ausfälle nicht mehr kompensiert werden können. Insofern könnten in Zukunft verbotene Handelspraktiken geeignet sein, mehr Fairness zu bewirken. Feller mahnte, dass der Lieferkettenschutz für alle Lieferanten gelten sollte. Er wandte sich gegen den Plan, den Geltungsbereich auf einen Schwellenwert von 350 Millionen Euro Umsatz festzulegen.

Erzeuger könnten oft nur zeitverzögert auf veränderte Nachfrage reagieren, stellte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, fest. In den vergangenen Jahren sei dies besonders bei Fleisch und Milch zu beobachten gewesen. Ob die mit der UTP-Richtlinie vorgesehenen Verbote bestimmter unfairer Handelspraktiken die Situation der Erzeuger verbessern und inwiefern diese Maßnahmen wirksam sein werden, sei aus Sicht des Bundeskartellamts schwer einzuschätzen. Um eine Verbesserung der Verhandlungen auf Augenhöhe zu erreichen, schlug Mundt mehr Kooperationen auf Erzeugerseite vor. Die Erzeuger könnten ihr Angebot bündeln, um ihr Gewicht zu stärken. Das deutsche und auch das europäische Kartellrecht würden solchen Kooperationen nur in seltensten Fällen entgegenstehen.

Auch Bernhard Krüsken begrüßte die geplante nationale Umsetzung der EU-Richtlinie. Aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) müsse aber der Schutz vor unlauteren Handelspraktiken unabhängig von der Größe der jeweiligen Akteure für alle gelten. Es sei problematisch, dass die geplanten Regelungen nur für Unternehmen bis zu einer Umsatzgröße von 350 Millionen Euro gelten sollen. Viele von Landwirten getragene Vermarktungs- und Verarbeitungsbetriebe würden oberhalb dieser Schwelle liegen und seien dennoch mit unlauteren Handelspraktiken konfrontiert. Der steigende Preis- und Kostendruck in der Lebensmittellieferkette und der viel zu geringe Anteil der Landwirte an der Wertschöpfung verdeutliche die Notwendigkeit der Erweiterung des Schutzes.

In seiner Stellungnahmen betonte Kim Manuel Künstner, dass eine Verbesserung des Tier-, Gesundheits- und Umweltschutzes für die Landwirte unter den aktuellen Bedingungen nicht zu finanzieren sei. Insofern bedürfe es einer Mindestumsetzung der UTP-Richtlinie. Allerdings würde selbst eine konsequente Durchsetzung der Richtlinie die Erlössituation im Agrarsektor nicht verbessern. Die Verbote würden nichts an der Verteilung der Erlöse entlang der Lieferkette ändern und auch nicht direkt zur Erhöhung der Gesamteinnahmen der Lieferkette beitragen. Es würden besondere Risikoverlagerungen zulasten der Lieferanten reguliert. Letztlich bleibe es verhandlungsmächtigen Käufern möglich, der Lieferantenebene durch entsprechende Preisverhandlungen die vermeintlichen Vorteile zu entziehen.

Dezidiert gegen die Umsetzung der Richtlinie sprach sich der sachverständige Peter Schröder aus, weil die Regeln in die Vertragsfreiheit eingreifen würden. Damit sei die Gefahr von Effizienzverlusten verbunden und es würde die Gefahr schwerer Marktstörungen steigen. Im Ergebnis könnten am Ende auch Nachteile für die Verbraucher entstehen. Schröder plädierte für die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf kleinere Lieferanten, weil dies der Empfehlung des Bundeskartellamts entspreche. Eine Erweiterung könnte dagegen zu einer Ertragsverbesserung multinationaler Unternehmen der Lebensmittelindustrie führen und Konzentrationstendenzen verschärfen. Internationale Großkonzerne seien auch nicht schutzbedürftig, weil diese Margen erzielen könnten, die um ein Vielfaches über denen des Lebensmitteleinzelhandels liegen würden.

Für die Sachverständige Marita Wiggerthale ist eine Beschränkung des Machtungleichgewichts eine wichtige Voraussetzung für faire Preise, um die strukturellen Überschüsse in der landwirtschaftlichen Produktion zu vermeiden. Dies müsse mit Blick auf das daraus resultierende Agrardumping der EU beendet werden. Andernfalls würden die Bemühungen zur Hungerbekämpfung in den Ländern des globalen Südens konterkariert.

Mit dem Gesetzentwurf (19/26102) will die Bundesregierung die EU-Richtlinie gegen unfaire Praktiken des Lebensmitteleinzelhandels (UTP-Richtlinie) in deutsches Recht umsetzen. Laut Regierung wird damit zum 1. Mai 2021 innerhalb der Europäischen Union ein einheitlicher Mindestschutzstandard zur Bekämpfung von unlauteren Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittellieferkette geschaffen. Somit sollen künftig unter anderem etwa kurzfristige Stornierungen von Bestellungen nicht mehr erlaubt sein. Auch einseitige Änderungen von Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen sowie der Bedingungen für Listung, Lagerung und Vermarktung sollen der Vergangenheit angehören. Um zu vermeiden, dass über unlautere Handelspraktiken an anderen Stellen der Lieferkette ein zu starker Druck auf Landwirte ausgeübt wird, sollen die beschlossenen Schutzmaßnahmen für alle Unternehmen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung bis zu einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro gegenüber jeweils größeren Unternehmen der Lebensmittelverarbeitung beziehungsweise des Lebensmittelhandels greifen. Vorgesehen ist, das bestehende Agrarmarktstrukturgesetz um die Regelungen zu unlauteren Handelspraktiken zu erweitern. Darüber hinaus soll es in „Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz)“ umbenannt werden.

Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/25794), „land- und forstwirtschaftliche Betriebe vor zusätzlichen Bewirtschaftungsauflagen und Verboten“ zu schützen. Als Beispiel nennen die Liberalen das Insektenschutzgesetz, das den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Nähe von Gewässern künftig vollständig untersage. Es sei daher an der Zeit, das im April 2020 „vereinbarte Belastungsmoratorium endlich ernst zu nehmen“, schreiben die Abgeordneten.

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