24.02.2021 Wirtschaft und Energie — Anhörung — hib 236/2021

Sanktionen gegen Russland umstritten

Berlin: (hib/FLA) Pro und Contra zu Sanktionen haben eine öffentliche Experten-Anhörung zur Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen im Ausschuss für Wirtschaft und Energie unter Leitung von Klaus Ernst (Die Linke) geprägt.

Michael Harms vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft berichtete, der deutsch-russische Handel sei im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 45 Milliarden Euro und damit auf den niedrigsten Stand seit 2005 gefallen. Dabei seien die Exporte nach Russland mit minus 13,2 Prozent weniger stark als die Importe zurückgegangen. Nach seiner Einschätzung haben allerdings Wirtschafts-Sanktionen keine oder nur sehr geringe Wirkung auf Verhaltensänderungen im politischen Bereich. Harms begrüßte, dass die Bundesregierung für Nord Stream 2 eintritt. Er sehe die Chance für einen Kompromiss mit der neuen US-Regierung. So könne die Ukraine als Ersatz für entgangene Transiteinnahmen stärker in den europäischen „Green Deal“ integriert und zu einem Produzenten erneuerbarer Energien werden.

Thomas Kunze (Konrad-Adenauer-Stiftung) machte klar, dass spätestens seit der Ukraine-Krise die Beziehungen von Russland zum Westen und umgekehrt stark belastet seien. Interessenpolitisch solle aber auch in der aktuellen Krise alles dafür getan werden, Gesprächskanäle offen zu halten. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Gegensatz zwischen Peking und Washington immer deutlicher zu Tage trete, befinde sich Russland derzeit an einem Scheideweg. Die im Osten mit China eingegangene Zusammenarbeit eröffne deutlich mehr Vorteile als Nachteile. Die langfristige Tragweite dürfe nicht unterschätzt werden. Sanktionen seien anfänglich wirksam gewesen. Jetzt produziere Russland Produkte vermehrt selbst.

Alexander Blumhardt (Knauf international) bezeichnete die Zusammenarbeit seines Unternehmens mit russischen Behörden als positiv. Er rief dazu auf, das Instrument personenbezogener Sanktionen nochmals zu überdenken. Das Thema Spiegelbildlichkeit zeige sich in der russischen Politik tagtäglich. Noch sei es nicht so weit, dass europäische Unternehmer in Russland für bestimmte Dinge belangt würden. Es funktioniere nicht, die Wirtschaft als Instrument zu nutzen, um politische Anliegen durchzusetzen.

Peer Teschendorf (Friedrich-Ebert-Stiftung) machte weiter sehr breite Beziehungen zwischen Russland und Deutschland im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich aus. Politisch habe Deutschland für die russische Elite den Status als Hauptansprechpartner in der EU eingebüßt. Russland sei dabei, sich stärker zu isolieren. Sanktionen seien nicht unbedingt ein stumpfes Schwert und hätten Auswirkungen gehabt. Es sei aber mehr Dialog nötig.

Katharina Blum vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin plädierte für eine langfristige europäische Strategie bei den Beziehungen zu Russland. Dabei müsse unter anderem bedacht werden, dass Russland der geographische Nachbar bleibe. Dies solle bei allen Entscheidungen im Blick bleiben. Weder ökonomisch noch geostrategisch liege ein neuer Eiserner Vorhang im europäischen Interesse. Diese helfe bei keinem der ungelösten Konflikte. Man müsse sich von der Idee lösen, dass mit Sanktionen ein Regimewechsel bewirkt werden könne.

Der Politologe Alexander Rahr stellte fest, China und nicht Deutschland sei jetzt Russlands wichtigster Handelspartner. Die Umorientierung Russlands von Europa nach Asien sei sichtbar. Das müsse nicht immer so bleiben. Die bilateralen Beziehungen könnten wieder repariert werden, wenn der politische Wille auf beiden Seiten dafür vorhanden sei. Die eigentlichen Risiken für die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen seien nicht ein Stopp von Nord Stream 2 oder der Fall des Oppositionellen Alexej Nawalny, sondern eine neue schwere Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine, bei der die Bundesregierung aus Solidaritätsgründen die Seite der Ukraine ergreifen würde.

Karl-Heinz Piqué (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit) vertrat die Ansicht, die derzeit wirksamen Sanktionen gegen Russland seien gerechtfertigt und sollten fortgesetzt werden. Für die Zukunft sei es sinnvoll, die Mechanismen für personenbezogene Sanktionen weiterzuentwickeln und konsequent auf Akteure anzuwenden, die an Verletzungen von Völkerrecht und Menschenrechten beteiligt seien und von diesen profitierten. Das EU-Sanktionsinstrument solle auch um den Tatbestand von Korruption erweitert werden.

Eckhard Cordes (Aufsichtsratsvorsitzender Bilfinger SE) vertrat die Auffassung, dass EU-Europa eine tragfähige Zukunft nur mit Russland und nicht gegen Russland haben werde. Er sprach sich für eine partnerschaftliche Beziehung aus. Bei Sanktionen stelle sich die Frage, wie man davon wieder herunterkomme. Mit weiteren Sanktionen würden politische Ziele nicht erreicht werden können. Nord Stream 2 liege im deutschen und europäischen Interesse. Auf Gas und Öl werde man noch Jahrzehnte für die Energieversorgung angewiesen sein.

Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik verwies auf den Rückgang des bilateralen Handels und eine nur teilweise Erholung. Es liege nahe, diese Entwicklung mit den zunehmenden außenpolitischen Konfrontationen und Sanktionen in Verbindung zu bringen. Tatsächlich seien aber vor allem wirtschaftliche Faktoren die Ursache. Das Auf und Ab der deutschen Exportzahlen lasse sich zum größten Teil mit der Entwicklung des Ölpreises erklären. Durch Nord Stream 2 werde die Ukraine wirtschaftlich geschwächt, dies sei ein außenpolitisches Kerninteresse Moskaus. Das Projekt unterlaufe die politische Wirkung der EU-Sanktionen.

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