Erinnerung an Reichstagseröffnung vor 150 Jahren
Berlin: (hib/AHE) Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat an die Konstituierung des ersten gesamtdeutschen Reichstags vor 150 Jahren erinnert. „Die Reichsgründung 1871 brachte zwar den von vielen ersehnten Nationalstaat, die Einheit“, sagte Schäuble am Donnerstag im Bundestag vor Eintritt in die Tagesordnung. „Aber die freiheitlichen Träume, für die über Jahrzehnte gekämpft worden war, blieben unerfüllt.“
Der Einfluss des Reichstags sei im Kaiserreich beschränkt geblieben. Aber der Leistung der Abgeordneten im Kräftemessen mit dem Reichskanzler und dem Kaiser werde man mit den Maßstäben, die man heute an ein Parlament anlege, nicht gerecht. „Die Parlamentarier hatten ihren Anteil am Zusammenwachsen der Nation in einem einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsraum, an den Anfängen des Sozialstaates. Gesetzgeberisch - und als das zentrale Forum der neu formierten Nation“, sagte Schäuble.
„Ein - im Wortsinne - selbst-bewusstes Parlament weiß um seine Geschichte, und es hält das Bewusstsein dafür wach, dass das, was uns heute so selbstverständlich scheint, erst durchgesetzt werden musste.“ Das Grundgesetz stelle den Bundestag als einziges vom Volk direkt legitimiertes Verfassungsorgan ins Zentrum unserer politischen Ordnung. Die Stärke des Parlaments müsse sich in der Praxis beweisen, im selbstbewussten Handeln - auch und gerade in Zeiten, die als Stunde der Exekutive gelten. „Das Parlament bestimmt den Rahmen, in dem die Regierungen handeln - und nicht die Exekutive die Bedingungen, unter denen das Parlament debattiert“, betonte der Bundestagspräsident.
Je maßloser in der Öffentlichkeit diskutiert werde, desto wichtiger werde die Funktion des Parlaments als der Ort, um politisches Handeln zu erklären, um in Rede und Gegenrede Alternativen aufzuzeigen und um den Bürgern Orientierung zu geben, sagte Schäuble. Gelinge das, wachse das Vertrauen in das repräsentative Prinzip - ein Vertrauen, dem allerdings jeder einzelne Abgeordnete mit seinem Handeln immer wieder neu gerecht werden müsse. „Tut er es nicht, beschädigt er alle. Und das sollte der letzte verstanden haben.“