Experten uneins über Aufhebung des Vermögensteuergesetzes
Berlin: (hib/PST) Die derzeit ausgesetzte Vermögensteuer soll ganz abgeschafft und stattdessen der Aufbau von Vermögen gefördert werden. So wollen es ein Gesetzentwurf (19/25789) und ein Antrag (19/25792) der FDP-Fraktion, die am Montag, 19. April 2021, Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss unter Leitung von Katja Hessel (FDP) waren. Dabei gingen die Ansichten der Sachverständigen weit auseinander.
Der Gesetzentwurf sieht rückwirkend zum 1. Januar 2021 die „Aufhebung des Vermögensteuergesetzes“ vor. Das Gesetz ist seit 1997 außer Kraft, nachdem das Bundesverfassungsgericht Ungleichbehandlungen bei der Bewertung verschiedener Vermögensarten bemängelt hatte. In dem Antrag fordert die FDP-Fraktion die Bundesregierung auf, stattdessen mit einer Reihe von Maßnahmen den Aufbau von Vermögen zu fördern. Die Abgeordneten verlangen einen wiederauffüllbaren Grunderwerbsteuerfreibetrag für den Kauf von selbstgenutztem Wohneigentum, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Anleger, einen höheren steuerlichen Sparerpauschbetrag, die Freistellung von mindestens fünf Jahre lang gehaltenen Wertpapieren von der Kapitalertragsteuer, den Verzicht auf eine Finanztransaktionsteuer auf Aktien und die vollständige steuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus Wertpapiergeschäften.
Eine wesentliche Rolle in der Anhörung spielte die Frage, ob eine Aufhebung des derzeit nur ruhenden Vermögensteuergesetzes zur Folge haben könnte, dass die Länder eigene Vermögensteuern erheben. Denn die Vermögensteuer ist eine Ländersteuer, deren Erträge den Ländern zukam, die aber der Bund im Wege der konkurrierenden Gesetzgeber bundeseinheitlich geregelt hatte.
Die Kölner Steuerrechtlerin Johanna Hey vertrat die Ansicht, dass die Länder schon jetzt nicht an der Einführung eigener Vermögensteuern gehindert wären, da das Bundesgesetz derzeit unwirksam sei. Sie meinte aber, dass erst dessen formale Aufhebung eine Diskussion über solche Landessteuern auslösen würde. Interessant sei die Frage, ob ein Aufhebungsgesetz solche Ländergesetze ausdrücklich sperren könnte. Sie habe da ihre Zweifel. Der Bund könne Länder nicht von einer Gesetzgebungskompetenz ausschließen.
Hey wies im übrigen auf die hohen Hürden vor einer Wiedereinführung der Vermögensteuer hin, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung gesetzt habe. Es werde ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand für die geforderte gerechte Vermögensbewertung erforderlich sein. Durch ein Missverhältnis zwischen Erhebungskosten und Steueraufkommen aber könne die Steuer erneut verfassungswidrig werden, denn ein Grundrechtseingriff, wie ihn eine Vermögensteuer unter anderem in den Eigentumsschutz darstelle, müsse verhältnismäßig sein.
Der Augsburger Steuerrechtler Gregor Kirchhof ging anders als Hey davon aus, dass auch das ausgesetzte Vermögensteuergesetz für die Länder eine „Sperrwirkung entfaltet“. Diese begrüßte er, da eine unterschiedliche Besteuerung in den Ländern die Wirtschaftseinheit in Deutschland gefährden könne. Vor einer Wiedereinführung warnte Kirchhof gleichwohl. Die von Karlsruhe geforderte „gleichheitsrechtliche Bewertung“ sei noch schwieriger als bei der Erbschaft- oder Schenkungsteuer. Denn man müsse „die Ertragsfähigkeit bewerten“. Was aber, so fragte er, sei die Ertragsfähigkeit eines Kunstwerks, eines selbst bewohnten Hauses oder eines verlustmachenden Unternehmens? Solche Bewertungsfragen seien nicht nur schwierig, sondern auch „extrem streitanfällig“. International würden denn auch immer weniger Vermögensteuern erhoben.
Der Speyerer Verwaltungswissenschaftler Joachim Wieland wies darauf hin, dass die Vermögensteuer im Grundgesetz ausdrücklich genannt werde. Auch aus dem Urteil des Bundesverfassungsgericht ergebe sich, dass sie erhoben werden kann. Dies sei über Jahrzehnte auch unbeanstandet geschehen. Sie korrekt auszugestalten sei möglich, dazu kenne das Steuerrecht vielfältige Bewertungsmethoden. Wieland nannte die Wiedereinführung der Vermögensteuer „ein Gebot der Steuergerechtigkeit“. Der eigentliche Skandal sei, dass sich der Gesetzgeber „seit 25 Jahren hinter dem Grundgesetz versteckt“ habe.
Katja Rietzler von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hob hervor, dass das reichste Tausendstel der deutschen Bevölkerung ein Fünftel aller Vermögen besitze. Steuerrechtsänderungen der letzten Jahrzehnte hätten zudem zu einer Entlastung der obersten Einkommen geführt. Dadurch sei eine „ziemliche Schieflage“ entstanden. Rietzler sprach sich deshalb ausdrücklich für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer aus, plädierte aber für hohe Freibeträge. Dies vermindere den Aufwand der Erhebung und erhöhe zudem die Akzeptanz.
In diesem Punkt stimmte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ausdrücklich zu. Auch er betonte die ungleiche Vermögensverteilung, die wegen der Niedrigzinspolitik tendenziell noch zunehme. Während die Mittelschicht sehr hoch mit Steuern und Sozialabgaben belastet sei, würden sehr Vermögende im internationalen Vergleich niedrig besteuert. Die meist sehr hohen Erträge ihres Vermögens würden oft im Unternehmen thesauriert und deshalb wenig zum Einkommensteueraufkommen beitragen. Eine Vermögensteuer könnte diese Personen daher stärker zum Steueraufkommen heranziehen. Bach warnte aber auch davor, dass dies bei Betriebsvermögen die Erträge implizit belasten würde. Hier müsse man aufpassen, da diese im internationalen Wettbewerb stünden. Bach plädierte daher für eine Ausweitung der Erbschaftsteuer als „effizienteste Besteuerung“ von Vermögen.
Auch die Sozioökonomin Miriam Rehm von der Universität Duisburg-Essen betonte, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland extrem hoch sei und sich ganz wesentlich aus Erbschaften speise. Für sie folgte daraus aber ein Plädoyer für die Vermögensteuer. Untersuchungen zeigten, dass Hochvermögen, auch im jetzigen Niedrigzinsumfeld, hohe, oft zweistellige Erträge erwirtschafteten. Dort, am „oberen Ende“, müsse man ansetzen, wenn auch mit niedrigen Prozentsätzen, um keine Verzerrungen zu bewirken. Es gehe nicht darum, umzuverteilen, sondern den Anstieg der Ungleichheit zu dämpfen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Jan Schnellenbach von der TU Cottbus-Senftenberg markierte eine „relativ klare Grenze“ für die Zulässigkeit einer Vermögensteuer: Sie dürfe nicht an die Substanz gehen, sondern müsse aus den normalen Erträgen von Vermögen erwirtschaftet werden können. Der Vermögensbesitzer dürfe auch nicht in riskante Anlageformen gedrängt werden. Deshalb müsse der Steuersatz, vor allem im derzeitigen Zinsumfeld, sehr niedrig liegen. Einem relativ niedrigen Steueraufkommen stünden dann aber hohe Fixkosten für den Staat wie den Steuerzahler gegenüber. Das spreche aus ökonomischer Sicht eher gegen eine Vermögensteuer.
Eine Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werfe schwierige Fragen auf, betonte Schnellenbach. Wie etwas solle man Kunstwerke oder Oldtimer sinnvollerweise bewerten? Wie erst recht Sachvermögen im Ausland? Es müssten dann zudem detaillierte Vermögensregister erstellt und regelmäßig aktualisiert werden. Die Besteuerung von Betriebsvermögen wiederum greife in Verlustphasen in die Substanz ein und erschwere Investitionen. Schnellenbach plädierte daher dafür, zur Lösung des Problems ungleicher Vermögensverteilung zu überlegen, wie „am unteren Rand“ Vermögensbildung erleichtert werden kann.
Der Heidelberger Steuerrechtler Hanno Kube sieht darin, dass das Vermögensteuergesetz weiter besteht, aber nicht angewendet wird, eine „überaus unbefriedigende Rechtslage“. Er begrüßte daher den Gesetzentwurf zur Aufhebung. Nach seiner Auffassung würde ein solches Bundesgesetz auch die Länder an der Einführung eigener Vermögensteuern hindern.
Gleichzeitig befürwortete Kube die FDP-Vorschläge zum Vermögensaufbau, und zwar auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. So sei ein wiederauffüllbarer Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer „leistungsfähigkeitsgerecht“. Denn auch diese Steuer unterliege dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Diese sei bei jungen Familien, die Wohneigentum erwerben möchten, nicht unbedingt gegeben. Ein Freibetrag erleichtere diesen den Vermögensaufbau. Gleichzeitig erhöhe es die Arbeitsmobilität, wenn ein Wechsel in ein anderes Wohneigentum mit weniger Fixkosten verbunden ist. Kube wies aber darauf hin, dass die Grunderwerbsteuer den Ländern zufließt. Bei der bundesgesetzlichen Einführung eines Freibetrags müsse man daher über eine Kompensation für die Länder nachdenken.
Nicht alle Sachverständigen unterstützten diesen Vorschlag uneingeschränkt. So fragte Katja Rietzler, ob die Begünstigung nicht eher bei den Anbietern einer Immobilie ankommen werde, da sie dann höhere Preise verlangen könnten. Joachim Wieland machte eine Ungerechtigkeit darin aus, dass jemand, der ein großes Haus erwerbe, mehr spare. Auch zu den anderen Vorschlägen des FDP-Antrags gingen die Einschätzungen weit auseinander, insbesondere zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Rietzler zog das Fazit, dass die Vorschläge der FDP-Fraktion „die verteilungspolitische Schieflage im deutschen Steuersystem weiter verschärfen“ würden.