22.04.2021 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 537/2021

Experten für Insolvenzsicherung durch Reisesicherungsfonds

Berlin: (hib/MWO) Einen Systemwechsel bei der Insolvenzsicherung von Reiseunternehmen sieht ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/28172) vor, der Thema einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz war. Die sieben eingeladenen Sachverständigen stimmten der Änderung grundsätzlich zu, sahen jedoch zum Teil erheblichen Nachbesserungsbedarf. Der Entwurf eines „Gesetzes über die Insolvenzsicherung durch Reisesicherungsfonds und zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften“ sieht vor, dass die Insolvenzsicherung künftig über einen Reisesicherungsfonds erfolgt, der in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert ist und ein Fondsvermögen verwaltet, in das die Reiseveranstalter einzahlen.

Nils Hellberg vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft begrüßte die beabsichtigte Reform als längst überfälligen Schritt. Zu begrüßen sei auch, dass kleine Reiseanbieter, die weniger als drei Millionen Euro Umsatz mit Pauschalreisen erzielen, sich weiter ausschließlich über eine Versicherung oder ein Kreditinstitut absichern können. Sachgerechter dürfte hier allerdings eine höhere Umsatzgrenze von zehn Millionen Euro sein. Als zentrales Problem des Regierungsentwurfs bezeichnete Hellberg den fehlenden Gleichlauf zwischen dem grundsätzlichen Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Juli 2021 und der Haftungsübernahme durch den Fonds, die erst für einen noch offenen Zeitpunkt vorgesehen ist.

Dirk Inger vom Deutschen Reiseverband DRV präsentierte eine gemeinsame Stellungnahme von potenziellen Gründungsgesellschaftern des Reisesicherungsfonds, zu denen neben dem DRV die Allianz selbstständiger Reiseunternehmen (ASR), der Internationale Bustouristik Verband (RDA) und der Verband Internet Reisevertrieb (VIR) gehören. Die vier Verbände wollen die Erlaubnis als Reisesicherungsfonds beim Bundesjustizministerium beantragen, sobald das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist. Laut Inger unterstützen die vier Verbände eine Neuausrichtung der Insolvenzsicherung. Dies gehe jedoch mit erheblichen Mehrkosten und Mehraufwand für Reiseveranstalter einher und stelle gerade in der gegenwärtigen Corona-Krise eine extreme Belastung dar. Inger sprach sich dafür aus, das Entgelt pro Reise auf 0,6 Prozent festzusetzen und die Aufbauphase auf mindestens sieben Jahre zu verlängern.

Auch Michael Buller vom VIR sprach sich für die Verlängerung der Aufbauphase von bisher fünf Jahren aus, da man nicht wisse, wie lang die Krise noch dauere. Da viele Unternehmen bis zum Start des Sicherungsfonds Insolvenz anmelden könnten, brauche man mindestens sieben Jahre. Buller sagte, dass die Umstellung zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt überhaupt komme. Es sei nicht abzusehen, wann das Reisegeschäft wieder ordentlich aufgenommen werden könne. Deshalb müsse auch die Hochlaufphase des Fonds angepasst werden. Dazu komme, dass viele Veranstalter nur mit Krediten durchhalten konnten. Deshalb werde es für diese Unternehmen schwierig, neue Bürgschaften für den Reisesicherungsfonds zu bekommen.

Christiane Leonard vom Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer erklärte, das gesetzgeberische Ziel, Verbraucher und Verbraucherinnen vor Insolvenzen in der Reisebranche zu schützen, sei berechtigt. Gerade die durch familiengeführte Unternehmen geprägte Busbranche lebe von zufriedenen Verbrauchern. Jedoch überforderten die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Neuregelungen den Mittelstand. Weder die Sicherheitsleistungen noch die Entgelte seien für diese Unternehmen darstellbar und auch nicht erforderlich. Ohne deutliche Nachbesserungen würden unzählige Unternehmen vom Markt verschwinden.

Felix Methmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) betonte in seiner Stellungnahme, dass der vzbv bereits seit vielen Jahren darauf hinweise, dass die Insolvenzabsicherung im deutschen Pauschalreiserecht - insbesondere die Haftungsbegrenzung auf 110 Millionen Euro pro Versicherer und Geschäftsjahr - nicht europarechtskonform ausgestaltet sei. Das jetzt geplante brancheninterne Solidaritätsprinzip sei weitaus vorzugswürdiger, als das Schadensrisiko wie bislang den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufzubürden.

Ansgar Staudinger, Lehrstuhlinhaber an der Universität Bielefeld, erklärte, das bisherige Absicherungsmodell sei zweifellos europarechtswidrig. Das habe sich bei der Krise von Thomas Cook gezeigt. Die Fondslösung sei der richtige Weg. Die vorliegenden Kennziffern eines solchen Fonds seien überzeugend und sollten den Risiken ausreichend Rechnung tragen, die es abzusichern gelte. Zur Diskussion über die Zugangsschwellen für Unternehmen von drei, fünf oder zehn Millionen Euro sagte Staudinger, ein Fonds könne dann effektiv arbeiten, wenn möglichst viele mitmachten. Deswegen sollte eine Anhebung der Drei-Millionen Grenze nur mit Vorsicht erfolgen, damit so viele Unternehmen wie möglich von dem Fondsmodell erreicht werden.

Klaus Tonner von der Universität Rostock, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Europäisches Recht, sprach sich angesichts der COVID-19-Pandemie für ein zeitlich gestrecktes Hochfahren des Reisesicherungsfonds aus, um die finanzielle Belastung der Reiseveranstalter in Grenzen zu halten. Eine Erstreckung auf zehn Jahre sei mit dem fiskalischen Interesse des Bundes, die staatliche Garantie zeitlich zu begrenzen, vereinbar. Die Grenze für Reiseveranstalter, die sich nicht über den Reisesicherungsfonds absichern müssen, sollte von drei auf zehn Millionen Euro angehoben werden.

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