06.05.2021 Kultur und Medien — Ausschuss — hib 614/2021

Viel Zustimmung für Stiftung zur Demokratiegeschichte

Berlin: (hib/AW) Die von der Bundesregierung geplante „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ trifft bei Historikern, Vertretern von Museen sowie Gedenk- und Erinnerungsstätten auf viel Zustimmung. Kritik und Nachbesserungswünsche gibt es aber auch. Dies zeigte sich in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am Mittwoch über den entsprechenden Gesetzentwurf (19/28648) und das ebenfalls von der Bundesregierung vorgelegte Rahmenkonzept zur Stiftung (19/28535).

Der Historiker Bernd Faulenbach verwies darauf, dass die deutsche Demokratiegeschichte unterschätzt werde. Viele Menschen glaubten, dass die Demokratie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland gekommen sei und dass es in Deutschland an historischen Traditionen fehle. Im Zentrum der deutschen Erinnerungskultur stehe noch immer vorwiegend die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust.

Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, Walter Hütter von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Susanne Kitschun vom Ausstellungs- und Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen in Berlin argumentierten, dass die geplante Stiftung geeignet sei, um die Arbeit der bereits bestehenden Museen und Gedenkorte besser zu vernetzen und stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Schwerpunkt der Stiftung sollte die Entwicklung neuer interaktiver und partizipatorischer Vermittlungsformate sein, forderte Lutum-Lenger. Nachholbedarf bestehe vor allem im Bereich digitaler Formate, sagte Hütter. Dies zeigten vor allem die Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Er erhoffe sich von der Stiftung einen „Entwicklungsschub“ für die Entwicklung neuer zielgruppenorientierter Formate für museale Ausstellungen.

Die Geschichtsdidaktikerin Charlotte Bühl-Gramer von der Universität Erlangen-Nürnberg warnte davor, bei der Auswahl von Orten, Personen und Ereignisse die Demokratiegeschichte auf ihre „Sternstunden“ zu reduzieren. Gerade auf Jugendliche wirke eine solche Vermittlung sehr schnell ermüdend. Es sollten vermehrt historische Situationen der Gefährdungen der Demokratie und die langen Kämpfe und Rückschläge thematisiert werden. Dies verdeutliche auch den Wert von Demokratie. Es dürfe nicht das Bild eines „abgeschlossenen Begriffscontainers“ vermittelt werden. Demokratie sei ein Prozess. So sei ein Demokrat aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nach heutigen Maßstäben eventuell eben gar kein so guter Demokrat mehr, argumentierte Bühl-Gramer.

Der Historiker Stefan Scheil mahnte, die Auswahl der Orte der Demokratiegeschichte dürfte nicht auf das Gebiet des heutigen Deutschlands begrenzt werden. So seien etwa das Grab von Ferdinand Lasalle im polnischen Breslau oder Immanuel Kants in Königsberg, das heutige russische Kaliningrad, ebenfalls Ort der deutschen Demokratiegeschichte. Auch zeitlich sei das Rahmenkonzept für die Stiftung, das mit dem Hambacher Fest von 1832 beginne, zu begrenzt. Die Wurzeln der Demokratiegeschichte reichten bis in die frühe Neuzeit zurück, argumentierte Scheil.

Übereinstimmend attestierten der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, und Gesine Oltmanns von der Stiftung Friedliche Revolution bei ansonsten großer Zustimmung zu dem Stiftungskonzept, dass die Friedliche Revolution in der DDR bislang im Konzept unterbelichtet sei. Leipzig sei als Ort der deutschen Demokratiegeschichte eben genauso wichtig wie Frankfurt mit seiner Paulskirche. In diesem Sinne argumentierte auch Roland Jahn. Von einem französischen Historiker sei ihm gesagt worden, die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin sei „eure Bastille“. Die Bedeutung solcher „Orte der Macht“, die vom Volk erstürmt worden seien, müssten stärker herausgestellt werden. Auch Faulenbach attestierte, dass im vorliegenden Rahmenkonzept die Entwicklungen in der ehemaligen DDR unterbelichtet seien. Das Rahmenkonzept dürfe nicht eine geschlossene, sondern müsse eine offene Liste von Orten seien.

Scharfe Kritik am Rahmenkonzept der Stiftung wurde von Sebastian Garbe als Vertreter des Bündnisses „Decolonize“, einem Zusammenschluss post- und dekolonialer Gruppen und Initiativen, geübt. Dieses blende die koloniale Vergangenheit und den Kampf von Protagonisten in den ehemals kolonisierten Ländern gegen den Imperialismus weitgehend aus. Diese hätten mit ihrem Kampf maßgeblich zur Demokratieentwicklung des imperialen Deutschlands beigetragen, argumentierte Garbe. Kritisch bewerte er auch die zentrale Rolle der Paulskirche in Frankfurt im Konzept. Sie sei ohne Zweifel ein wichtiger Ort der Demokratiegschichte. Allerdings habe sich die dort tagende Nationalversammlung in großer Mehrheit für die Errichtung einer deutschen Flotte als auch für die Förderung deutscher Auswanderung in zu errichtende überseeische Kolonien ausgesprochen.

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