BND-Zeuge „Dynamik nicht gesehen“
Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat vergangene Woche seine Arbeit mit der Befragung zwei weiterer Zeugen fortgeführt. Der erste Zeuge, der ehemalige Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt (AA), Christophe Eick, erklärte den Unterschied von zwei Gesetzesparagrafen, die beim Ortskräfteverfahren (OKV) infrage kommen.
Das klassische Verfahren sehe Einzelprüfungen der Ortskräfte vor, was zu langen Bearbeitungsdauern führe. Anfang 2020 habe man begonnen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man das Verfahren verschlanken könne. Der Grund: Nach dem Abschluss des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban, das den Rückzug der internationalen Truppen regelte, sei jedem klar gewesen, dass das nicht ohne Folgen für die Ortskräfte bleiben würde. Die Visastellen seien nicht ausreichend besetzt gewesen, um eine große Anzahl von Anträgen zu bearbeiten. Bei der Terminvergabe sei es zu Wartezeiten gekommen.
Daher habe sich das Auswärtige Amt frühzeitig dafür eingesetzt, beim OKV auf das Verfahren „Visa on Arrival“ überzugehen, so der Zeuge. Das Bundesinnenministerium (BMI) sei jedoch zurückhaltend gewesen. Ein Punkt seien Sicherheitsbedenken gewesen. Dabei sei es um Gefahren gegangen, die von den aufzunehmenden Personen ausgehen könnten. Ein anderer Punkt sei gewesen, dass die Bundespolizei personell nicht angemessen aufgestellt war, um so viele Personen mit Visa zu versehen. Mit dem Beginn der Evakuierungsoperation sei das BMI dann sehr schnell umgeschwenkt.
Eick erwähnte, dass sein Gesprächspartner beim BMI immer betont habe, sich erst bei weiteren Lageverschärfungen über das „Saigon-Szenario“ Gedanken zu machen. Mit dem Begriff gemeint ist der überhastete Abzug der USA in der Endphase des Vietnamkrieges im Jahr 1975.
Der Zeuge führte weiter aus, dass sich Innen- und Außenressort im September 2021, also einen Monat nach dem Fall Kabuls und dem Ende der Evakuierungsoperation am Kabuler Flughafen, auf Staatssekretärsebene über Kriterien verständigt hätten, nach denen das AA eine Liste für Gruppenaufnahmen erstellen sollte. So sollten bestimmte Gruppen von Personen wie Journalisten oder Abgeordnete definiert werden, die aufgrund ihrer Tätigkeiten einer Gefahr ausgesetzt gewesen sind. „Es ging damals, Ende August, Anfang September um migrationspolitische Fragen“, erinnerte sich der ehemalige Abteilungsleiter.
Das Interesse des AA sei gewesen, eine Zusage für die Aufnahme einer möglichst hohen Zahl von Menschen zu bekommen. Doch das BMI habe die Zahl auf 8.000 beschränkt. So hätte man beim AA in sogenannten Bereinigungssitzungen die Listen aus verschiedenen Referaten auf diese Zahl reduzieren müssen, berichtete Eick.
Der nächste Zeuge war Werner Ader vom Bundesnachrichtendienst (BND). Ader ist Leiter der Abteilung LB, die für die Erstellung von Lageberichten verantwortlich ist. Die Abteilung ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb des BND in Kritik geraten, weil sie nicht auf dem Radar hatten, dass Kabul am 15.8. den Taliban in die Hände fallen könnte.
Ader sagte dazu, dass er nicht abschließend beantworten kann, wie es dazu kam. „Ich finde, meine Mitarbeiter haben nichts falsch gemacht“, sagte er. Die Informationsgewinnung sei sichergestellt gewesen. „Wir haben auch keinen grundsätzlichen, methodischen Fehler gemacht. Wir haben aber diese Dynamik nicht gesehen.“ Bis heute sei es ihm nicht klar, woran es gelegen haben könnte, so der Zeuge.
In seiner Abteilung hätten sie über diese Frage intensiv diskutiert und seien zu dem Schluss gekommen, dass der Fehler teilweise an der Kommunikation gelegen haben muss. Der BND habe seit Langem immer wieder betont, dass in Afghanistan eine langsame Erosion stattfinde. Deswegen seien sie von anderen Ressorts sogar zu Schwarzsehern erklärt worden, sagte der Jurist.
In ihren internen Diskussionen hätten einige Mitarbeiter gemeint, „dass wir in den Formulierungen deutlicher hätten werden müssen, andere hingegen sagten, man hätte den 'worst case' in den Vordergrund stellen müssen“.
Mit den Befunden der internen Revision, die die BND-Leitung nach dem Fall der afghanischen Hauptstadt umgehend in Auftrag gegeben hatte, sei er nicht zufrieden, betonte Eick. Verärgert äußerte er sich jedoch während der Sitzung über die Kritik des ehemaligen Bundesaußenministers Heiko Maas, der gesagt habe, die Entscheidungen, die aufgrund der Lageberichte des BND getroffen worden seien, hätten zu katastrophalen Ergebnissen geführt. Aus seiner eigenen Berufserfahrung könne er sagen, unterstrich der Zeuge, die Lageberichte des BND seien eine unter vielen anderen Lageberichten aus anderen Ressorts und er sei sehr skeptisch, ob ein Ressort allein aufgrund des BND-Lageberichts Entscheidungen treffen würde. „Zumal wenn es eine eigene Quelle gibt“, fügte er hinzu.