24.09.2024 Ernährung und Landwirtschaft — Anhörung — hib 619/2024

Caritative Lebensmittel-Unternehmer schaffen

 

Berlin: (hib/NKI) Eine Mehrheit von Experten hat in einem Fachgespräch die Forderung des Bürgerrates für Ernährung im Wandel (20/10300), die Weitergabe noch genießbarer Lebensmittel gesetzlich zu regeln, unterstützt. Dazu soll die Rechtsfigur des caritativen Lebensmittel-Unternehmers geschaffen werden.

 

In dem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montag, 23. September 2024, sprach sich Markus Grube, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, für eine Korrektur des Lebensmittelrechts und „der Schaffung einer rechtlichen Vorgabe“ zur Weitergabe noch genießbarer Lebensmittel aus. Zudem brachte er steuerliche Erleichterungen für Lebensmitteleinzelhändler ins Gespräch, die Waren zugunsten von Tafeln und anderen gemeinnützigen Ausgabestellen bereitstellen.

 

Dem schloss sich Marcus Girnau, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Lebensmittelverband Deutschland, an. Auch er ist gegen eine gesetzliche Verpflichtung des Einzelhandels und der Lebensmittelhersteller, Waren abzugeben, besser sei es, „die bestehenden Kooperationen mit den Tafeln zu verstärken“. Die Zusammenarbeit zwischen Händlern und Spendenstellern habe sich seit Jahrzehnten entwickelt und diesen Weg gelte es weiterzugehen. Zudem verwies Girnau auf das Gutachten des BMEL, das Lebensmittelrecht zu reformieren, einfache Weitergaberegelungen zu schaffen und andere Spender wie beispielsweise die Außer-Haus-Verpflegestellen einzubeziehen.

 

„Das Thema ist ökologisch und ökonomisch sehr wichtig“, sagte Philipp Hennerkes, Geschäftsführer für den Bereich Public Affairs und Media Relations beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH). Die Unternehmen, die Spenden abgeben, hätten ihre Prozesse weiter spezialisiert, und somit gäben in Deutschland fast 90 Prozent der Lebensmittelmärkte mittlerweile Spenden ab, in Frankreich seien es 60 Prozent. Zudem finde das Thema mit Aktionen wie „Zu gut für die Tonne“ Aufmerksamkeit, womit eine Sensibilisierung der Bevölkerung für weniger Lebensmittelverschwendung verbunden sei.

 

Marie Mourad, Beraterin für Abfallvermeidung und Nachhaltigkeit, bewarb das Gesetz, das Supermärkten in Frankreich seit 2016 verbietet, Lebensmittel wegzuwerfen und diese stattdessen zu spenden. „Dadurch haben die Tafeln deutlich mehr Spenden erhalten“, sagte Mourad. Auch in den USA gebe es eine ähnliche Regelung, und auch in Deutschland wäre ein solches Gesetz „kein Wunderding“, sondern eine Notwendigkeit, befand Mourad.

 

Regina Treutwein, Bereichsleiterin Lebensmittelrettung und Logistik bei der Tafel Deutschland, erinnerte daran, dass ihre Einrichtung seit über 30 Jahren Lebensmittelverschwendung bekämpfe. Die Bürgerrat-Empfehlung, die Weitergabe genießbarer Lebensmittel durch den Lebensmittelhandel gesetzlich zu regeln, „begrüßen wir in vollem Maße“, sagte Treutwein. Jedoch müsse das in mehreren Schritten geschehen. Als erstes solle die Weitergabe an genießbaren Lebensmitteln „rechtlich sicher“ sein und sich auch für alle Unternehmen ihn der Lebensmittelwertschöpfungskette finanziell lohnen. Dazu sollten steuerliche Vereinfachungen vorgenommen werden, besonders für Unternehmen, die Sachspenden an karitative Einrichtungen wie die Tafeln leisten. Das französische Gesetz, so Treutwein, sei für Deutschland nicht eins zu eins übertragbar, weil der Lebensmitteleinzelhandel seit Jahrzehnten mit den Betreibern der Tafeln zusammenarbeite.

 

Professorin Melanie Eva-Maria Speck, vom Fachbereich Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur/Sozialökonomie in Haushalt und Betrieb an der Hochschule Osnabrück und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bürgerrats, erklärte, die meisten Spenden würden über den Lebensmitteleinzelhandel gespendet, doch über die Produktflüsse und die Logistik gebe es kaum valide Daten. „Deswegen brauchen wir ein anderes Monitoring“, schlug sie vor. Zudem brauche es eine Weiterentwicklung der Weitergabe durch die Tafeln. Derzeit würden diese Institutionen mehrheitlich von Ehrenamtlern betrieben, das System stoße jedoch „in Krisenlagen an seine Grenzen“, so Speck. Der Beginn des Ukraine-Krieges und die damit gestiegene Zahl an Tafelkunden hätten das gezeigt. Zudem brauche es klare Regeln für die Spender, Tafeln hätten ein anderes Ziel als etwa Social-Impact-Unternehmen wie beispielsweise die „Too Good To Go GmbH“, die eine gewerbliche Weitergabe vornehme.

 

Die Vertreterin dieser Firma, Astrid Fastenrath, machte deutlich, wie wichtig die Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln sei. „Elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland pro Jahr weggeworfen, das muss reduziert werden.“ Das Geschäftsmodell von „Too Good To Go GmbH“ sei es, Geschäfte zu verbinden, die unverkaufte, überschüssige Lebensmittel haben und diese zu einem vergünstigten Preis an Selbstabholer verkaufen möchten. So könnten Restaurants, Cafés, Supermärkte und Hotels Lebensmittel weitergeben, die noch essbar sind, und die Waren nicht einfach entsorgen. Die Mobile App sei 2016 an den Start gegangen und habe mittlerweile rund 100 Millionen Nutzer weltweit. Lebensmittelverschwendung könne nicht nur mit einem einzigen Modell bekämpft werden.

 

Melanie Beate Morgen, Teilnehmerin der Arbeitsgruppe zu Empfehlung Nummer drei des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“, bekräftigte die Notwendigkeit, die Bevölkerung dazu zu sensibilisieren, „weniger Lebensmittel zu verschwenden“. Brigitte Bernhard, Teilnehmerin beim Bürgerrat, wünscht sich, dass „Politik die rechtlichen Grundlagen für die Weitergabe von noch essbaren Lebensmitteln schafft“. Kombiniert mit dem kostenlosen Mittagessen in Kitas und Schulen - eine weitere Empfehlung des Bürgerrates - solle die Weitergabekette ergänzt werden. Auch Lebensmittel aus diesem Bereich sollten weitergegeben werden und nicht in der Mülltonne landen, so der Wunsch der Vertreterinnen aus dem Bürgerrat.

 

Die Teilnehmer des Bürgerrates hatten von September 2023 bis Januar 2024 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Ernährungsexperten und Fachpolitikern über eine Verbesserung der Ernährungspolitik beraten. Im Februar hatte das Gremium Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ein Gutachten überreicht. Der Bundestag hatte Anfang 2024 erstmals über die Empfehlungen debattiert und die Vorschläge zur weiteren Beratung an die Fachpolitiker im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen. Die Empfehlungen beinhalten unter anderem die verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel. Außerdem wird ein kostenfreies Mittagessen in Kitas und Schulen, eine Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls und eine Altersgrenze für Energydrinks vorgesehen. Zudem hat sich der Bürgerrat in seiner Empfehlung darauf geeinigt, dass es mehr Personal für Lebensmittelkontrollen braucht. Dafür soll die Berufsordnung für Lebensmittelkontrolleure novelliert werden.

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