Änderungen beim Asylsystem umstritten
Berlin: (hib/FLA) Teils prinzipielle Zustimmung, teils erhebliche Skepsis, teils deutliche Ablehnung: In dieser Bandbreite bewegten sich im Innenausschuss die Experten-Bewertungen zu zwei Gesetzentwürfen der Bundesregierung zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS). Neben dem sogenannten GEAS-Anpassungsgesetz (21/1848) ging es um das GEAS-Anpassungsfolgegesetz (21/1850).
Finn-Christopher Brüning, Deutscher Städte- und Gemeindebund und Deutscher Landkreistag, nannte die Reform des GEAS gut gemeint, aber in der Praxis ungenügend. Es entstünden Aktenberge, aber es komme zu wenig Entscheidungen. Der Vollzug des Asylgesetzes sei zu schwer, es gebe zu viele Unstimmigkeiten und unklare Begriffe. Er befürchtete zusätzliche Arbeitslast in den Ausländerbehörden, die kaum zu bewältigen sei. Der geplante Solidaritätsmechanismus werde zu Lasten Deutschlands und seiner Kommunen gehen.
Professor Andreas Dietz, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Augsburg, sprach von einer Herkulesaufgabe, das dicke Paket europäischer Normen ins deutsche Recht zu transferieren. Den vorliegenden Entwurf halte er für eine gute Grundlage. Es gebe aber Nachsteuerungsbedarf. Neu am GEAS sei die fast ausschließliche Verwendung von automatisch anzuwendenden Verordnungen. Das solle die Anwendung in der EU erleichtern, lasse aber den Mitgliedsstaaten nur noch geringe Spielräume. Die EU-Normen seien komplex und ihr Zusammenspiel untereinander hochkompliziert. Mancher Nachbesserungsbedarf werde sich erst in der tatsächlichen Anwendung durch Behörden und Gerichte ab Sommer 2026 zeigen.
Sophia Eckert, Handicap International, trug vor, 10 bis 15 Prozent der Geflüchteten hätten Schätzungen zufolge eine Behinderung. Die tatsächliche Zahl sei wohl höher, besonders bei psychischen Beeinträchtigungen. Behinderung im Kontext mit Flucht sei also keine Randerscheinung. Der Anspruch geflüchteter Menschen auf Schutz, Teilhabe und Unterstützung nach der UN-Behindertenrechtskonvention, der EU-Aufnahmerichtlinie und dem Grundgesetz sei keine Empfehlung, sondern eine rechtlich bindende Verpflichtung - auch für Bundesregierung und den Gesetzgeber. Dieser Pflicht werde mit den vorliegenden Gesetzesentwürfen nicht nachgekommen. Schutzzusagen für besonders vulnerable Personen fehlten weitgehend. Die Expertin beklagte, die GEAS-Reform bedeute den tiefsten Einschnitt ins deutsche Asylrecht seit 1993 und einen massiven Rückschritt für den Flüchtlingsschutz in Europa. Eckert bezog das unter anderem auf die Einführung von Asylgrenzverfahren unter ihr zufolge faktischen Haftbedingungen,
Annika Fischer-Uebler, Deutsches Institut für Menschenrechte, kritisierte, der Entwurf des GEAS-Anpassungsgesetzes berücksichtige die europarechtlichen Spielräume zugunsten von Schutzsuchenden nicht ausreichend. Gleichzeitig würden die Möglichkeiten, die Rechte zu beschränken, weitgehend ausgeschöpft. Insbesondere drohten Freiheitsbeschränkungen und Inhaftierungen von der Ausnahme zur Regel zu werden. Darüber hinaus enthalte der Gesetzentwurf Bestimmungen, die nicht Teil der GEAS-Reform seien. Fischer-Uebler verwies auf vorgezogene Asylverfahren an der Grenze. Sie sprach von erweiterten Möglichkeiten, Asylsuchende in ihrer Freiheit zu beschränken. Der Gesetzentwurf enthalte insgesamt Regelungen mit dem Risiko, Menschenrechte von Schutzsuchenden und Migrantinnen und Migranten zu verletzen.
Professor Constantin Hruschka, Evangelische Hochschule Freiburg, erklärte, die Art und Weise, wie der Gesetzentwurf gemacht sei, führe dazu, dass er unlesbar sei. Deutschland laufe auf eine Phase zu, die die Gesetzesanwendung auf allen Ebenen sehr kompliziert mache. Das betreffe Behörden, Gerichte und die rechtliche Unterstützung der betroffenen Personen. Es werde zu einer Verlangsamung der Verfahren kommen. Er erwarte eine Art vorprogrammiertes Chaos zumindest in der ersten Umsetzungsphase. Besonderen Anpassungsbedarf gebe es, wenn es um Garantien für besonders vulnerable Personen, insbesondere Kinder gehe.
Professor Hansjörg Huber, Hochschule Zittau/Görlitz, erläuterte, Anlass für die umfangreiche Neugestaltung durch GEAS sei nicht zuletzt die Erfahrung, dass sich viele Antragsteller nicht im für sie zuständigen Staat aufhielten. Sogenanntes Durchwinken und Sekundärmigration ins Innere der EU seien aber bereits in der Vergangenheit weniger eine Folge fehlender rechtsverbindlicher Normen als vielmehr deren mangelnde Umsetzung in den Mitgliedsstaaten gewesen. Diese Vollzugsdefizite hätten aber auch auf überforderter Migrationsverwaltung in den Mitgliedsstaaten beruht. Daran hätten auch die beiden in Eisenhüttenstadt und Hamburg errichteten Dublin-Zentren für die Unterbringung von Personen, für deren Asylverfahren andere Staaten in der EU zuständig sind, bisher nichts ändern können.
Johann Friedrich Killmer, Deutscher Städtetag, bewertete GEAS als wichtigen Schritt zur besseren Steuerung der Migration in Europa. Dennoch bestehe weiterer Reformbedarf. Er verwies auf direkte Auswirkungen auf Rathäuser, Schulen, Kitas und Wohnquartiere. GEAS müsse rechtlich verlässlich und praktisch umsetzbar sein und dürfe nicht dazu führen, dass es zu mehr Bürokratie und umständliche Abfragen komme. Derzeit sei diese Gefahr leider gegeben. Insbesondere die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung übernehme grundlegende Probleme der Dublin III-Verordnung. Den darin festgelegten Verpflichtungen müssten alle EU-Staaten und assoziierte Staaten nachkommen. Die Verfahren zur Überstellung in zuständige Länder müssten vereinfacht und beschleunigt werden. Die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr müsse zwingend umgesetzt werden.
Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, erklärte, die Umsetzung des neuen GEAS stelle alle beteiligten Behörden vor große Herausforderungen - in Deutschland ganz besonders sein Bundesamt. Es gelte, neue Verfahren zu implementieren. Nahezu alle Dienstanweisungen seien neu zu schreiben. Das IT-System müsse neu entwickelt werden. Er begrüßte deshalb, dass sich die Gesetzentwürfe im Kern auf eine Eins-zu-Eins-Umsetzung beschränkten. Es gehe vor allem darum, den bürokratischen Aufwand verringern zu helfen. Weitere vielleicht wünschenswerte Regelungen könnten späteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten bleiben.
Professor Thym, Universität Konstanz, verwies darauf, dass nationale Maßnahmen die meisten öffentlichen Debatten über die Asylpolitik dominierten. Dennoch sei die europäische Zusammenarbeit im ureigensten deutschen Interesse. Es sei illusorisch, die Asylpolitik nachhaltig an den grünen Landesgrenzen in Mitteleuropa steuern zu wollen. Stattdessen müssten nationale, europäische und internationale Maßnahmen ineinandergreifen. In diesem Sinne beinhalte die GEAS-Gesetzgebung einige Verbesserungen, um die teils tiefsitzenden Defizite bei der Migrationssteuerung im Schengenraum und darüber hinaus zu mildern. Er sprach von einem wichtigen Baustein, der jedoch nicht das Ende der Fahnenstange sein dürfe.
Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, sagte, die vorgelegten Gesetzentwürfe seien notwendig, um für unionsrechtlich zwingend erforderliche Anpassungsschritte an die bereits beschlossene Reform des GEAS umzusetzen. Sie seien dazu auch weitgehend geeignet. Eine Verbesserung in einer Vielzahl von Details sei allerdings notwendig.