12.10.2022 Wirtschaft — Anhörung — hib 541/2022

Öffentliche Anhörung zum Freihandelsabkommen Ceta

Berlin: (hib/EMU) In einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses haben am Mittwoch zehn Sachverständige ihre Einschätzung zur Ratifikation des Freihandelsabkommens mit Kanada (Ceta) abgegeben. Konkret beraten wurden dabei der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zu dem Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits vom 30. Oktober 2016“ (20/3443).

Mit dem Gesetz will die Bundesregierung die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands beziehungsweise der Europäischen Union mit Kanada weiter ausbauen. Es gelte, so die Bundesregierung, „die Möglichkeiten für den Handel und für Investitionen zwischen der Europäischen Union und Kanada zu steigern, insbesondere durch einen verbesserten Marktzugang für Waren und Dienstleistungen sowie besser miteinander vereinbarte und klare Handelsregeln“. Auch solle gemeinsam mit Kanada neue Standards für künftige „faire Handelsabkommen“ gesetzt werden. Das Handelsabkommen Ceta ist am 21. September 2017 vorläufig in Kraft getreten. Da manche Teile des Abkommens in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten liegen, kann es jedoch erst vollständig in Kraft treten, wenn es von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde.

Die überwiegende Mehrheit der geladenen Fachleute sprach sich für eine baldige Ratifizierung des Ceta-Gesetzes aus. Der Fokus der Fragen der Bundestagsabgeordneten lag auf den Sorgen vor Klagen vor den sogenannten Ceta-Schiedsgerichten und der noch in Verhandlung befindlichen Interpretationserklärungen zum Investitionsschutz. Während die meisten Sachverständigen keinen Grund mehr zur Sorge bei diesen Themen sahen, rieten zwei Fachleute komplett davon ab, das Abkommen in dieser Form zu ratifizieren.

Für Till Patrik Holterhus, Vertretungsprofessor für Öffentliches Recht an der Fakultät für Staatswissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg, war die Kritik an Ceta berechtigt. „Es gab einen Blumenstrauß von Kritikpunkten, der im Rahmen der Verhandlungen adressiert wurde“, sagte Holterhus. Man könne das Abkommen aber nun, wenn es noch weiter verschärft werde, als „Goldstandard“ bezeichnen. Die Erfolgsaussichten einer Klage gegen Deutschland durch ein Unternehmen hält er für gering. Es sei in den Verhandlungen deutlich geworden, „dass wir im Bereich Investitionsschutz viel erreicht haben“. Die Strahlkraft des Abkommens auf die Verhandlungen über künftige Handelsabkommen sei nicht zu unterschätzen.

Auch mit der nun eingereichten Interpretationserklärung zum Investitionsschutz sei nicht komplett ausgeschlossen, dass es Klagen geben könnte, sagte Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Doch es werde nun immer schwieriger, eine Klage anzustrengen. „Es geht darum, eine ausufernde Schiedspraxis einzudämmen“, sagte Krajewski, dabei gehe das Gesetz nun in eine richtige Richtung: „Eine Besonderheit des Investitionsschutzes bei Ceta ist, dass man ein Gremium hat, das von beiden Vertragsparteien benannt wird. Dadurch werden sich die Richterinnen und Richter stärker an dem Willen der Vertragsparteien interpretieren, als es ein Schiedsgericht in der Vergangenheit getan hat.“

Keine Zweifel an der Vereinbarkeit des Grundgesetzes mit dem Abkommen hatte Franz C. Mayer, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik an der Universität Bielefeld: „Ceta ist mit dem Grundgesetz vereinbar, etwaige weitere Klagen werden erfolglos bleiben“, zeigte sich Mayer sicher. Man könne zwar auch in das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2022 Vorbehalte hineininterpretieren, aber diese würden ja sogar schon vom Gericht selbst im Urteil wieder relativiert. „In keinem anderen Staat ist das Abkommen so kleinteilig diskutiert worden“, sagte Mayer und konstatierte: „Wenn wir so ein Abkommen noch nicht mal mit Kanada hinbekommen, mit welchem Staat denn dann?“

Von Reinhard Jung, Referent für Politik und Medien der Freie Bauern Deutschland GmbH, kam hingegen der deutliche Appell, die Ratifizierung abzulehnen. Seit der teilweisen Ratifizierung von Ceta 2017 habe es „sehr schwierige Jahre für die Landwirtschaft gegeben“, sagte Jung bei der Anhörung. Das läge natürlich nicht nur an dem Abkommen, aber der Preisdruck steige durch den zusätzlichen Import von landwirtschaftlichen Produkten aus Kanada weiter. „Das Preisniveau ist nach unten gegangen.“ Er forderte, künftige Handelsabkommen ohne systemrelevante Bereiche wie die Lebensmittelproduktion zu verhandeln. In Bezug auf Ceta sagte er zudem: „Mein Appell an alle ist: Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf bitte ab!“

Widerspruch hierzu kam von Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung: Viele der „apokalyptischen Annahmen“ seien seit der Teilratifizierung nicht eingetreten. „Das sieht man auch im Bereich Agra“, sagte Felbermayr, „wir sind eben nicht mit landwirtschaftlichen Produkten überschwemmt worden.“ Die andauernde Unsicherheit darüber, wann das Abkommen abschließend ratifiziert wird, wirke sich „dämmend“ aus, viele Unternehmen, gerade kleine und mittlere, hätten ihr volles Potenzial noch gar nicht ausgenutzt: „Für viele Unternehmen gibt es erhebliche Unsicherheiten darüber, wo das Abkommen Bestand hat.“

Das Abkommen könne helfen, die klimapolitische Transformation voranzubringen, schätzt Clara Brandi, Professorin für Internationale Wirtschaft und Entwicklungsökonomie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. „Abkommen wie Ceta können dazu beitragen, Handel nachhaltiger und fairer zu gestalten“, so Brandi. Studien hätten bereits gezeigt, wie sich Handelsströme nachhaltiger und fairer gestalten ließen. Außerdem könnten sie den Zugang zu erneuerbaren Energien, wie dem grünen Wasserstoff erleichtern. „Ich komme abschließend zu einer positiven Einschätzung des Abkommens“, bilanziert Brandi.

„Wir werden in nächster Zeit keine weiteren Abkommen diesen Ausmaßes bekommen“, sagte Rolf J. Langhammer vom Ifw Kiel Institut für Weltwirtschaft. Man müsse Ceta aber nutzen, um weitere vergleichbare bilaterale Abkommen zu verhandeln, mit Staaten, die in ihrem demokratischen Verständnis der Europäischen Union ähnlich nahe stünden wie Kanada. Vorstellbar sind für Langhammer etwa Japan und Südkorea. Den Abschluss nun weiter zu verzögern, sei ein fatales Signal der EU an weitere mögliche Partner, warnte der Wirtschaftsexperte.

Zu dieser Einschätzung kam auch Matthias Krämer, Leiter der Abteilung Außenpolitik des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Die Unternehmen in Deutschland würden ein gesteigertes Interesse daran zeigen, ihren Handel zu diversifizieren. „Es würde uns auch an anderen Stellen der Handelspolitik Vertrauen kosten, wenn die Ratifikation weiter verzögert wird“, sagte Krämer. Die Zahlen zeigten klar, dass der Handel mit Kanada zunehmen werde, dies dürfe man nicht gefährden.

Für Steffen Hindelang, Professor für International Investment and Trade Law an der Uppsala University in Schweden, bedeutet die andauernde Beratung des Abkommens und die Beschäftigung mit der Interpretationserklärung nur, dass versucht würde, „offene Rechtsbegriffe mit offenen Rechtsbegriffen zu erklären“. Die vorgelegte Interpretationserklärung bewahrheite nun die Befürchtung, dass jene EU-Mitgliedsstaaten, die Ceta bereits ratifiziert haben, erneut ihre Parlament damit befassen müssten: „Das ist es nicht wert“, befand Hindelang.

Wie Jung sprach sich auch die Sachverständige Federica Violi von der Erasmus-Universität Rotterdam komplett gegen die Ratifikation von Ceta aus: Selbst durch die Verschärfung des Investitionsschutzes würde ein Missbrauch nicht verhindert. Vertragsstrafen hätten sich in Einzelfällen bereits als nicht ausreichend erwiesen und das System der Schiedsgerichte stehe in einem grundsätzlichen Widerspruch zum Klimaschutz. „Die einzige Möglichkeit wäre, den Investitionsschutz aus dem Abkommen zu streichen“, so Violi. Dies sei juristisch möglich.

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