23.01.2023 Menschenrechte — Anhörung — hib 46/2023

Experten begrüßen Zuwachs bei humanitärer Hilfe

Berlin: (hib/SAS) Sachverständige loben die gestiegenen Ausgaben Deutschlands für humanitären Hilfe in den vergangenen Jahren. In einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum „Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland in den Jahren 2018 bis 2021“ (20/2000) sahen einige Experten am Mittwoch jedoch auch Verbesserungsbedarf: Deutschland als zweitgrößter Geber solle künftig nicht nur als „globaler Payer“, sondern auch stärker als „globaler Player“ wahrgenommen werden, so ihre Forderung.

Dem Bericht zufolge ist das Engagement Deutschlands im Bereich humanitäre Hilfe in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Seit 2016 ist Deutschland weltweit zweitgrößter Geberstaat für humanitäre Hilfe; seit 2018 hat die Bundesregierung die Mittel für humanitäre Hilfe um rund 70 Prozent auf 2,57 Milliarden Euro in 2021 erhöht. Als Grund für den Anstieg nennt der Bericht unter anderem die gestiegenen Bedarfe aufgrund der Coronapandemie.

Doch der Bedarf werde weiterhin steigen, darin waren sich die Sachverständigen einig. Martin Frick, Welternährungsprogramm, verwies auf die „Explosion des humanitären Bedarfs“ im vergangenen Jahr: 349 Millionen Menschen in 79 Ländern seien akut hungrig. Grund dafür sei eine „giftige Melange aus Kriegen, Krisen und dem Klimawandel“, die auch in Zukunft Sorgen bereiten werde. Angesichts dessen drängte er darauf, dass Deutschland seine Führungsrolle nutze, um mehr Geld von anderen Gebern einzuwerben, etwa von Frankreich oder Großbritannien. Die Last müsse auf mehr Schultern verteilt werden.

Katharina Lumpp, Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland, lobte ebenfalls Deutschlands Engagement im Bereich humanitäre Hilfe. Dieses verleihe auch seinen international vertretenen Ansätzen im Flüchtlingsschutz Glaubwürdigkeit. Deutschland komme damit aber auch „eine sehr wichtige Rolle“ bei der Umsetzung des globalen Paktes für Flüchtlinge sowie bei der Umsetzung des Grand Bargains zu, meinte die Expertin. „Wir hoffen, dass Deutschland diese ausbaut.“

Erwartungen an die Bundesregierung formulierte ebenfalls Bärbel Mosebach von der Welthungerhilfe. Auch sie sah Deutschland angesichts wachsender Herausforderungen in einer besonderen Verantwortung. Dieser werde die Bundesregierung aber besser gerecht, wenn etwa die gegenwärtige Hungerkrise „ressortabgestimmt“ und unter Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und lokalen Organisationen bekämpft würde. Die „vorausschauende humanitäre Hilfe“ müsse zudem ausgebaut werden, verlangte Mosebach. Sie sei „effizienter, effektiver, günstiger und einfach sinnvoller“.

Bodo von Borries von Venro, dem Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen, monierte mangelnde Transparenz bei Planung und Vergabe der Mittel durch das Auswärtige Amt. Hier sei Deutschland kein Vorbild - im Aid Transparency Index 2022 lande es nur im hinteren Feld. Ein Vier-Jahres-Bericht reiche nicht aus, so der Sachverständige. Er sprach sich stattdessen für jährliche Berichte aus.

Roman Herre, Agrarreferent bei Fian Deutschland, kritisierte zudem, dass im Bericht humanitäre Hilfe nicht als Teil der menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschland deutlich werde. Es gelte aber wegzukommen vom „Bild der Almosenempfänger“, betonte der Experte. Gleichzeitig bemängelte er, dass in der humanitären Hilfe Strategien zur Entwicklungsförderung zu wenig mitgedacht würden. Der starke Fokus auf die Auswirkungen des Ukrainekrieges verstelle außerdem den Blick auf die strukturellen Ursachen des weltweit wachsenden Hunger wie etwa vielfältigen Diskriminierungen von Frauen, wachsende Ungleichheit und steigende Staatsverschuldung.

Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, äußerte zwar anerkennende Worte für den deutschen Einsatz in der humanitären Hilfe, befand aber die Zuwächse seit 2018 als zu hoch: Es erschließe sich nicht, weshalb Deutschland seine Beiträge so „exorbitant“ gesteigert habe, so Steinbach. Schließlich sei Deutschland in seiner Wirtschaftsmacht zurückgefallen, das Bruttoinlandsprodukt liege hinter den USA, China und Indien. Letzteres erhalte von Deutschlands dennoch zwischen 2020 und 2025 eine Milliarde Euro Entwicklungshilfe, die humanitäre Hilfe sei „da noch nicht eingerechnet“.

Ralf Südhoff, Direktor des Centre für Humanitarian Action, forderte, Deutschland müsse vom „globalen Payer“ zum „globalen Player“ in der humanitären Hilfe werden. Als zweitgrößter und auch werteorientierter Geber eröffne sich Deutschland die Chance, zum „Reformmotor“ einer humanitären Hilfe zu werden, die noch „nicht genügend flexibel, zu schwerfällig und zu bürokratisch sei“, so der Sachverständige.

Florian Westphal von der Kinderrechtsorganisation Save the Children monierte, dass Kinder, obwohl sie zu den Hauptleidtragenden von Krisen gehören, in der humanitären Hilfe nur unzureichend berücksichtigt würden. Das zeige auch der Bericht der Bundesregierung. Um Kinder strukturell nicht mehr zu benachteiligen, empfahl der Experte, Bildung zu einem Schwerpunktbereich der deutschen humanitären Hilfe zu machen. Dem Beispiel der EU folgend solle die Bundesregierung mindestens zehn Prozent des regulären humanitären Budgets für Bildung in Krisen bereitstellen.

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