Besuch

Einführung in die Ausstellung durch den Kurator der Kunstsammlung

Licht Bild Skulptur
Skulpturen von Bernhard Heiliger im Blick der Fotografen

von Dr. Andreas Kaernbach

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Frau Heiliger, lieber Herr Frecot,
meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

zum zweiten Mal nun bietet das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Künstlern die Möglichkeit, ihre Werke auszustellen. Im September hatte hier Herlinde Koelbl fotografische Porträts von Politikern gezeigt und der Bezug ihrer Arbeiten zu diesen Ausstellungsräumen, der Bezug also zum Parlament, war offenkundig. Heute präsentiert dieses Haus erneut Fotografien, und zwar solche von Skulpturen Bernhard Heiligers. Deren Bezug zur Politik erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Doch dank der großen Heiliger-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau ist inzwischen sicherlich deutlich geworden, was den Deutschen Bundestag, dieses Herzstück unsere Demokratie, mit Bernhard Heiliger verbindet, nämlich die Skulptur „Kosmos 70“, die ja eine Leihgabe des Deutschen Bundestages ist. Ein weiteres wichtiges Band weist über diese Leihgabe hinaus: Bernhard Heiliger war - wie der Herr Präsident gerade ausgeführt hat - auch ein politisch empfindender, gestaltender Künstler. Er hat zwar seine Kunstwerke in erster Linie als ästhetische Gebilde geschaffen, viele dieser Werke aber gewannen bald den Rang politischer Symbole und erweisen sich unversehens als identitätsstiftend für Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.

Diese Leistung verkörpert insbesondere die Skulptur „Kosmos 70“, für den Eingangsbereich des Reichstagsgebäudes geschaffen, für einen Ort von solcher Geschichtsmächtigkeit, unmittelbar an der Mauer gelegen, die Ost und West trennte. Einer solchen Skulptur mußte ein geradezu politischer, fanalartiger Charakter zuwachsne. Der werkstattinterne Name der Skulptur, „Posaunen von Jericho“, spielte unmißverständlich auf diesen politischen Gehalt an.

Solche Bezüge zur Politik werden Sie in dieser Ausstellung vielfach finden, so beispielsweise auch in den Fotografien von Heiligers Skulptur „Figurenbaum“, die in Brüssel auf der Weltausstellung des Jahres 1958 vor dem Pavillon der Bundesrepublik gezeigt wurde. Auf dieser Weltausstellung wollte sich die junge deutsche Republik als das wirklich „neue“, demokratische, geläuterte Deutschland vorstellen. Sie wollte sich im künstlerischen und architektonischen Erscheinungsbild von der monumentalen Konzeption Albert Speers für die Weltausstellung von 1937 in Paris grundlegend unterscheiden und an die Selbstdarstellung der Weimarer Republik 1929 in Barcelona anknüpfen. Diese schwierige Aufgabe wurde im künstlerischen Bereich Bernhard Heiliger übertragen. Die heftige Kontroversen, die seine Skulptur „Figurenbaum“ in Deutschland auslöste, zeigte zwar, daß dieser Präsentationsanspruch durchaus verstanden und ernst genommen wurde. Sie zeigte aber auch, daß die Offenheit für zeitgenössische Kunst damals doch mehr ein politisches Programm war, das der gesellschaftlichen Realität nicht entsprach. Seit dem Ende der Weltausstellung steht die Skulptur „Figurenbaum“ nun vor dem Kanzlerbungalow in Bonn als Symbol des politischen Selbstverständnisses und des Selbstbewußtseins der Bundesrepublik.

Auch die große Skulptur Balance of Life (Großes Pendel), die Sie hier sehen, ist autonomes Kunstwerk und politisches Manifest zugleich. Sie ist aus einer Wandplastik entwickelt worden, die Heiliger für die Außenfassade des Rathauses der Sennestadt bei Bielefeld gestaltet hatte. Ähnlich wie „Kosmos 70“ verkörpert sie an dieser bedeutsamen Stelle mit ihrem leuchtenden Goldton und ihrer an Flugobjekte erinnernden Leichtigkeit an die Aufbruchstimmung der jungen westdeutschen Demokratie, die sich auch auf den Städtebau erstreckte. Mit dieser Plastik hatte in Sennestadt der Städteplaner Hans Bernhard Reichow, der Heiliger für diesen Auftrag gewonnen hatte, gleichsam das Programm einer offenen und menschengerechten Stadtlandschaft vorbildhaft visualisiert.

Diese wenigen Beispiele mögen verdeutlichen, warum Bernhard Heiliger in der Nachkriegszeit als bedeutendster Bildhauer für Skulpturen im öffentlichen Raum gilt: In seinen Werken vermochte sich die deutsche Bevölkerung und ihre politischen Vertreter wiederzuerkennen. Darum ist es auch ein legitimes Anliegen dieser Ausstellung, über das Medium der Fotografie die Besucher mit der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung der Werke Bernhard Heiligers vertraut zu machen. Es wäre ein Gewinn, wenn der Deutsche Bundestag durch Kunstausstellungen mit solch politischer Akzentuierung zur Bereicherung des kulturellen Lebens in Berlin und im Parlamentsviertel beitragen könnte, wenn er gleichsam zu einem Mitgestalter in der Kulturszene würde - ohne die Prätention, große Häuser auszustechen, aber mit der Hoffnung, doch dem Kulturleben der Hauptstadt einen beachtenswerten Akzent hinzuzufügen, nämlich den der eigentümlichen Verbindung von Politik und Kunst.

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