Parlament

Abgeordnete nehmen in Orientierungsdebatte Stellung zur Suizidhilfe

Der Bundestag hat sich am Mittwoch, 21. April 2021, im Rahmen einer Vereinbarten Debatte mit dem Thema Suizidhilfe befasst. Wie bei Vereinbaren Debatten üblich, gab es keine konkrete Vorlage als Beratungsgegenstand. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) erklärte zu Beginn, das Thema Suizidhilfe solle im Rahmen einer Orientierungsdebatte erörtert werden. Im Februar 2020 habe das Bundesverfassungsgericht das vom Bundestag 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben und ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben erkannt.

Heute solle offen, auch über Fraktionsgrenzen hinweg, über mögliche Neuregelungen diskutiert werden, sagte Pau. Um vielen Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, sich an der Debatte zu beteiligen, hätten sich die Fraktionen verständigt, dass insgesamt 38 Abgeordnete aus allen Fraktionen für jeweils drei Minuten das Wort erhalten.

Heveling: Alternativen zum Sterbewunsch anbieten

Erster Redner in der Debatte war Ansgar Heveling (CDU/CSU). Das Grundgesetz garantiere jedem Einzelnen einen immensen Freiheitsraum und verleihe dem Einzelnen vielfache Rechte, diese Freiheit auch durchzusetzen, sagte Heveling. Daher respektiere diese Verfassungs- und Rechtsordnung sogar die Entscheidung des Einzelnen, über das eigene Leben zu verfügen und dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, auch mit fremder Hilfe.

Aber  das Grundgesetz sei auch eine Werteordnung. So durchziehe die Bejahung des Lebens von Artikel 1 ausgehend die gesamte Verfassung. Er halte es daher für richtig, die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu belassen, so wie der Bundestag es schon im Jahr 2015 beschlossen hatte. Das Bundesverfassungsgericht lasse diesen Weg auch nach seiner Entscheidung von Februar 2020 ausdrücklich offen. Es sei nun Aufgabe des Gesetzgebers, nur dort eine Rechtfertigung zuzulassen, wo die tatsächliche Autonomie des Einzelnen auch wirklich zuverlässig festgestellt werden kann. Auch müsse der Gesetzgeber seinem Schutzauftrag nachkommen und Beratung auch zu Alternativen zum Sterbewunsch anbieten.

Von Storch: Assistierter Suizid begründet Kultur des Todes

Beatrix von Storch (AfD) sagte, bei der Suizidhilfe gehe es im Gegensatz zur Sterbehilfe um alle Suizidwilligen. Die unwiderruflich Sterbenskranken bräuchten Hilfe beim Sterben. Die moderne Palliativmedizin biete diese Hilfe. Die Menschen in akuten Lebenskrisen dagegen bräuchten Hilfe zum Leben. Hier könne professionelle Hilfe und Beratung Leben retten. Sich das Leben zu nehmen sei kein Ausdruck autonomer Selbstbestimmung, sondern meistens ein Akt der vollständigen Verzweiflung.

Suizidwillige bräuchten daher keine staatlichen Angebote zum Sterben, sondern Menschen, die ihnen helfen. Mit der Förderung der Suizidbeihilfe werde die Büchse der Pandora geöffnet. Suizidforscher und Palliativmediziner warnten eindrücklich davor, den assistierten Suizid zu ermöglichen. Der assistierte Suizid begründe eine Kultur des Todes. Diese widerspreche nicht nur universellen ethischen Grundsätzen, sondern auch den Werten der christlich-abendländischen Kultur.

Castellucci: Schranken auch im Strafrecht setzen

Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) sagte, es falle nicht leicht, sich der Debatte über das Sterben zu stellen. Dafür müsse sich der Bundestag Zeit nehmen, Zeit über die wenigen verbleibenden Sitzungswochen hinaus, und müsse nicht schon in dieser Wahlperiode zu einer endgültigen Entscheidung kommen. Er respektiere den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ganz ausdrücklich, sagte Castellucci.

Er respektiere auch die freiwillig getroffene Entscheidung, sich das Leben zu nehmen und auch, dass dafür die Hilfe anderer in Anspruch genommen werden kann. Aber daraus dürfe kein Modell gemacht werden. Er sage Ja zu selbstbestimmten Entscheidungen. Gleichzeitig müsse darauf geachtet werden, dass gesellschaftlich nicht noch mehr ins Rutschen gerate. Deshalb sei er für Schranken, die man auch im Strafrecht setzen müsse.

Helling-Plahr: Suizidhilfegesetz auf den Weg bringen

Katrin Helling-Plahr (FDP) sagte, ein selbstbestimmter Sterbewunsch sollte nicht nur respektiert werden, sondern der Gesetzgeber sollte sich an die Seite der Menschen stellen, die selbstbestimmt sterben möchten. Es gebiete die Menschlichkeit, dass selbstbestimmt handelnde Betroffene Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten und nicht länger entweder ins Ausland gehen oder auf unsichere und schmerzhafte Möglichkeiten zur Selbsttötung verwiesen werden.

Der Bundestag sollte deshalb noch in dieser Wahlperiode tätig werden und verständliches und umfassendes Suizidhilfegesetz auf den Weg bringen, das sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Leitplanken bewegen müsse. An die verfassungswidrigen Normen des Paragrafen 217b des Strafgesetzbuches dürfe dabei nicht angeknüpft werden. Die eigenen Moralvorstellungen dürften nicht über die individuelle Selbstbestimmung gestellt werden. Die Betroffenen bräuchten keine Bevormundung, sondern Verständnis.

Sitte: Rechtssicherheit für Betroffene, Angehörige, Ärzte

Dr. Petra Sitte (Die Linke) bezeichnete Sterbehilfe als Lebenshilfe für Menschen, die im Verlaufe ihres Lebens über dessen Ende nachdenken und die vorbereitet sein wollen, für Menschen, denen das Sterben unmittelbar vor Augen steht. Aus welchem Grund auch immer: Darüber habe man nicht zu befinden und habe sich nicht darüber zu erheben. Wohl jeder Mensch hege den Wunsch, dass Sterben keine Qual werden möge. Die Mehrzahl der Menschen möchte eher mit der Vorstellung leben, über das Sterben auch selbstbestimmt entscheiden zu könne, sagte Sitte.

In diesem Sinne habe das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, ungerechtfertigte Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht auszuschließen. Es gehe um Rechtssicherheit für Betroffene, für Angehörige und Ärzte. Seit 2015  bestünden aber unüberwindliche faktische Hürden dafür. Auch die Frage müsse geklärt werden, wie nach  Beratungen und Abwägungen Sterbewillige legal an ein Medikament kommen. Maßstab dürften nicht die Ansichten von Abgeordneten sein, sondern die Wertevorstellungen und Wünsche der Menschen im Land, welche das Grundgesetz formuliere und auch schütze. Um nach diesen Werten und in Würde leben und sterben zu können, dafür müsse der Bundestag so weit Räume öffnen, dass niemand an seiner selbstbestimmten Entscheidung gehindert wird oder andere in ihrer Entscheidung einschränkt.

Künast: Ein rechtssicherer Weg muss eröffnet werden

Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben festgestellt habe, aber auch, dass der Gesetzgeber Sterbehilfe regulieren könne. Deshalb müsse ein klarer, rechtssicherer Weg eröffnet werden. Das heiße Zugang zu Medikamenten, die jetzt auf klandestine Art und Weise genommen würden. Im Rahmen des Respekts vor der Selbstbestimmung müsse ein Weg gefunden werden, der sicher und zumutbar ist. Es gehe dabei auch nicht um die Frage, wer was richtig findet, sondern um ein Persönlichkeitsrecht. Das Grundgesetz fordere den Gesetzgeber auf zu sagen, wie Betroffene das Recht auf Sterben rechtssicher umsetzen können und wie er den erforderlichen Schutzraum organisieren will.

Der Ort dafür sei nicht das Strafgesetzbuch, sondern ein eigenes Schutzgesetz, das differenziert zwischen Menschen in medizinsicher Notlage und Menschen, die aus anderen Gründen ihr Leben beenden wollen. Es müssten unterschiedliche Wege eröffnet werden, um das Recht beider zu respektieren. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht den Zugang zu Betäubungsmitteln fordert und der Bundesgesundheitsminister immer Nein sagt. Das könne man nicht akzeptieren. (mwo/21.04.2021)

Marginalspalte