Parlament

Gericht lehnt AfD-Eilan­trag zur Aus­schuss­vor­sitzen­den­wahl ab

Ein Richter in roter Robe beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält eine Hand auf seine Unterlagen.

Das Bundesverfassungsgericht hat einem Eilantrag der AfD-Fraktion im Bundestag zur Wahl von Ausschussvorsitzenden nicht stattgegeben. (picture-alliance/ dpa | Uli Deck)

Das Bundesverfassungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung, den die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag beantragt hatte, abgelehnt (Aktenzeichen: 2 BvE 10 / 21 zum Beschluss vom 25. Mai 2022). Wie das Gericht am Donnerstag, 23. Juni 2022, bekanntgab, war der Antrag darauf gerichtet, die von der Fraktion benannten Kandidaten vorläufig als Vorsitzende von drei Bundestagsausschüssen einzusetzen, bis Karlsruhe über den Antrag in der Hauptsache entschieden hat.

AfD-Kandidaten nicht zu Ausschussvorsitzenden gewählt

Nachdem sich die Fraktionen des 20. Deutschen Bundestages zu Beginn der Wahlperiode im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze hatten verständigen können, wurden diese unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die AfD-Fraktion griff im Rahmen dieses Verfahrens auf die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu.

In den konstituierenden Sitzungen dieser Ausschüsse am 15. Dezember 2021 schlug die AfD-Fraktion für den Vorsitz des Ausschusses für Inneres und Heimat den Abgeordneten Martin Hess, für den Gesundheitsausschuss den Abgeordneten Jörg Schneider und für den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Abgeordneten Dietmar Friedhoff vor. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen wurden daraufhin in den drei Ausschüssen geheime Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitzenden durchgeführt, bei denen keiner der von der AfD-Fraktion benannten Kandidaten die erforderliche Mehrheit erhielt. Auch in den Sitzungen der Ausschüsse am 12. Januar 2022 verfehlten die AfD-Kandidaten bei erneuten geheimen Wahlen die erforderlichen Mehrheiten.

Fraktion sieht sich in ihren Rechten verletzt

Aktuell werden die Ausschüsse von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet. Die AfD-Fraktion wendet sich in der Hauptsache im Wege des Organstreits gegen die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden der betroffenen Ausschüsse.

Im Wege der einstweiligen Anordnung hatte die AfD-Fraktion verlangt, die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende einzusetzen. Durch die „Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl“ zur Besetzung der ihr zustehenden Ausschussvorsitze sieht sie sich in ihren Rechten auf Gleichbehandlung (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes) und auf „faire und loyale Anwendung“ der Geschäftsordnung des Bundestages sowie in einem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes) folgenden Recht auf effektive Opposition verletzt.

„Klären, ob freie Wahl der Vorsitzenden zulässig ist“

Der Antrag sei in der Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, heißt es in der Begründung des Zweiten Senats des Gerichts. Vor allem erscheine eine Verletzung der von der Fraktion geltend gemachten organschaftlichen Rechte aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes nicht von vornherein völlig ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen erscheine, dass das Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung auch den Zugang zu einem Leitungsamt wie dem Ausschussvorsitz erfasst und dass der Fraktion grundsätzlich drei Vorsitzendenpositionen zustehen, da die Geschäftsordnung des Bundestages bestimme, den Vorsitz in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen zu besetzen.

Im Hauptsacheverfahren müsse geklärt werden, so das Gericht, ob der Paragraf 58 der Geschäftsordnung, wonach die Ausschüsse ihre Vorsitzenden bestimmen, eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zulässt, ob damit die Rechtspositionen der AfD-Fraktion aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes beeinträchtigt sein könnten und ob eine solche Beeinträchtigung im Hinblick auf den Zweck der Wahl zulässig wäre. Vor diesem Hintergrund komme es nicht mehr darauf an, ob darüber hinaus auch eine Verletzung der behaupteten Rechte der Fraktion auf effektive Opposition sowie auf „faire und loyale Anwendung“ der Geschäftsordnung in Betracht kommt.

Mitwirkung im Ausschuss „in vollem Umfang“ möglich

Wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht ergeht und wenn die Durchführung freier Wahlen für das Amt des Ausschussvorsitzenden verfassungswidrig wäre, würden die drei derzeit vakanten Ausschussvorsitze bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens voraussichtlich nicht mit den von der Fraktion benannten Kandidaten besetzt, so die Überlegung des Gerichts. Allerdings sei nicht ersichtlich, dass die Fraktion dadurch, dass ihr die Ausschussvorsitze einstweilen vorenthalten werden, gehindert wäre, an der politisch-parlamentarischen Willensbildung in den betroffenen Ausschüssen mitzuwirken.

Nach den Vorschriften der Geschäftsordnung seien mit dem Amt des Ausschussvorsitzes vor allem Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse verbunden, die durch weitgehende Kontroll- und Korrekturrechte der Ausschussmitglieder begrenzt seien. Auch ohne dieses Funktionsamt mit entsprechend eingeschränktem Handlungsspielraum könne die Fraktion durch ihre Mitglieder in den drei betroffenen Ausschüssen an der politischen Willensbildung „in vollem Umfang“ mitwirken. Eigenständige parlamentarische Kontrollrechte seien mit dem Ausschussvorsitz nicht verbunden.

„Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse könnte gefährdet sein“

Würde hingegen die einstweilige Anordnung ergehen und erwiese sich die Nichtwahl der vorgeschlagenen AfD-Kandidaten für den Ausschussvorsitz als verfassungsgemäß, würden die drei betroffenen Ausschüsse bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens jeweils von einer Person geleitet, die das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besitzt.

Das könnte die Arbeitsfähigkeit dieser Ausschüsse gefährden, so das Gericht, weil das fehlende Vertrauen des jeweiligen Ausschusses in den Vorsitz eine erhebliche Einschränkung der Ausschussarbeit zur Folge haben könne – nicht zuletzt durch die sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Möglichkeiten der Ausschussmehrheit, Leitungshandlungen des Vorsitzenden zu konterkarieren. Dabei sei nicht auszuschließen, dass sich eine solche Beeinträchtigung der Arbeit der betroffenen Ausschüsse wegen ihrer „unverzichtbaren Vorarbeit für das Plenum“ auch auf die Funktionsfähigkeit des Bundestages insgesamt auswirken kann.

Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages

Zudem würde eine vorläufige Einsetzung von Ausschussvorsitzenden durch das Bundesverfassungsgericht schwerwiegend in die von Artikel 40 Absatz 1 des Grundgesetzes garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages eingreifen, betonen die Richterinnen und Richter. Hierzu ist das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt.

Schließlich würde die Einsetzung der von der AfD benannten Kandidaten als Ausschussvorsitzende das durch Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes geschützte freie Mandat der Mehrheit der Ausschussmitglieder beeinträchtigen, das auch ihr Recht auf Beteiligung an den im Parlament stattfindenden Abstimmungen umfasst. Die begehrte einstweilige Anordnung widerspräche damit dem im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses. Damit liegen für das Gericht keine überwiegenden Umstände vor, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung als „dringend geboten“ erscheinen lassen. (vom/23.06.2022)

Marginalspalte