Sachverständiger: Verkehrssystem ist „dringend reformbedürftig“
In der nachhaltigen mobilen Stadt der Zukunft wird es weniger private Autos, dafür aber einen starken öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als Rückgrat geben – ergänzt durch Rad- und Fußverkehr sowie Sharing-Angebote. So zumindest erwartet es Martin Schmied, Leiter des Fachbereichs „Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien“ beim Umweltbundesamt. „Wenn das Angebot gut ist, wird es automatisch weniger Autos und weniger Parkplätze geben und dafür mehr Platz für Grün und für nachhaltiges Bauen“, sagte Schmied während eines öffentlichen Fachgespräches des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am Mittwoch, 22. Juni 2022, zum Thema „Nachhaltigkeit im Verkehrssektor“.
Forderung nach Reformen
Aus Schmieds Sicht ist der Verkehr in Deutschland derzeit unsozial. Reiche Menschen besäßen mehr Autos und emittierten mehr Treibhausgase, sagte er. Ein weiterer Beleg dafür sei auch, dass 2018 im Vergleich zum Jahr 2000 die ÖPNV-Preise um knapp 80 Prozent und die Bahnpreise um 57 Prozent gestiegen sind, während die Kosten für Kauf und Unterhalt von Autos nur um 36 Prozent geklettert sind. Nachhaltige Mobilität sei vielmehr als „nur“ Klimaschutz, so Schmied. Es gehe um weniger Lärm, weniger Flächen- und Ressourcenverbrauch sowie um Bezahlbarkeit. Das deutsche Verkehrssystem sei also nicht nur unter ökologischen sondern auch unter sozialen Gesichtspunkten „dringend reformbedürftig“.
Nachhaltige Mobilität biete die Chance Umwelt- und Lebensqualität der Menschen „in Stadt und Land“ zu verbessern, wozu es allerdings integrierte Konzepte brauche. In ländlichen Regionen müsse die nachhaltige Mobilität noch auf den Weg gebracht werden, so der Vertreter des Umweltbundesamtes. In den Städten gebe es die Konzepte schon, die auch sofort umgesetzt werden müssten. Das benötigte „mehr Grün“ in den Städten erreiche man nur mit einer nachhaltigen Mobilität.
„Rahmenbedingungen müssen stimmen“
Der ebenfalls zu der Sitzung geladene Leiter des Bereichs Verkehrs-, Umwelt- und Digitalpolitik bei der Mercedes-Benz Group AG, Daniel Mack, machte deutlich, dass sich sein Unternehmen ganz klar in Richtung Elektromobilität orientiere. Er betonte zugleich, dass Mercedes-Benz unter Nachhaltigkeit nicht verstehe, weniger Autos zu bauen. „Dann machen es nämlich andere“, so der Unternehmens-Vertreter. Es müsse gelingen, „zu dekarbonisieren, was zu dekarbonisieren ist“, aber zugleich auch die Strukturen vor Ort zu erhalten.
2030 wolle Mercedes-Benz „vollelektrisch unterwegs sein, wo immer es die Marktbedingungen erlauben“, sagte Mack. Das alte Business (Verbrenner) werde aktuell benötigt, um das neue Business (vollelektrisch) zu finanzieren. „Aber im Sinne der ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit ist es unser Interesse, nicht beliebig lang die beiden Stränge nebeneinander laufen zu lassen, sondern den Schritt in Richtung E-Mobilität zu beschleunigen“, sagte Mack. Allerdings müssten die Rahmenbedingungen stimmen, fügte er hinzu. Dazu zähle der Ausbau der Ladeinfrastruktur, der deutlich beschleunigt werden müsse. Sinnvoll sei auch eine Förderung für den privaten Bereich, die aktuell ausgelaufen sei. Gerade im ländlichen Bereich könne durch die Wallbox der E-Mobilität ein Schub gegeben werden.
Mit Blick auf das von der EU-Kommission für 2035 angekündigte Zulassungsverbot für Autos mit Verbrennermotoren verwies der Mercedes-Benz-Vertreter auf das oben genannte Ziel des Unternehmens für 2030. „Entscheidend für den Erfolg des Klimaschutzes im Verkehr ist aber die Akzeptanz des Neuen und nicht das Verbot des Alten“, betonte Mack. (hau/22.06.2022)