Parlament

Volker Ullrich fordert Erneuerung des Europarats

Volker Ullrich (CDU/CSU)

Volker Ullrich (CDU/CSU) ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. (DBT/ Julia Nowak)

Russland habe den Boden der europäischen Werteordnung verlassen, im Nato-Mitgliedsland Türkei gebe es ernsthafte Mängel bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und im EU-Mitgliedstaat Ungarn werde der Europarat „die Entwicklung unter Nutzung all seiner zur Verfügung stehenden Mittel beobachten“, sagt Dr. Volker Ullrich. Der CDU/CSU-Abgeordnete ist Mitglied der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV), die vom 10. bis 14. Oktober 2022 zu ihrer 4. Sitzungswoche des Jahres zusammenkam.

Im Interview spricht Ullrich über den Europarat als Wertegemeinschaft, das Ausscheren einzelner Mitglieder und ein nötiges Momentum der Stärkung und Erneuerung, das von dem für kommendes Jahr geplanten Gipfel der Staats und Regierungschefs der Mitgliedsländer ausgehen müsse. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Ullrich, wie gehen die Europarat-Parlamentarier mit dem nun über sieben Monate dauernden russischen Angriffskrieg auf das Mitgliedsland Ukraine um?

Der Europarat war eine der ersten europäischen Institutionen, die den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verurteilt und mit dem Ausschluss Russlands mit sofortiger Wirkung aus dem Europarat konkret agiert hat. Russland ist der Aggressor gegen die Ukraine und hat damit sein Recht unvermeidlich verwirkt, Teil einer europäischen Gemeinschaft der Menschenrechte zu sein. Das Thema bleibt auch jetzt dauerhaft präsent: Nicht nur im Rahmen von Dringlichkeitsdebatten wie wir sie zum Beispiel zum Thema Getreidelieferungen geführt haben, sondern auch in besonderer Weise bei der Dokumentation russischer Kriegsverbrechen und seiner Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine.

Die Beziehungen zwischen dem Mitgliedsland Türkei und dem Europarat sind seit Jahren angespannt. Wie sehen Sie den weiteren gemeinsamen Weg von Türkei und Europarat vor dem Hintergrund des jüngsten Monitoring-Berichtes?

Die Türkei ist sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich und nicht minder in ihrer Funktion als Nato-Mitglied ein essentieller Partner sowie selbst Mitglied des Europarats. Doch gibt es ernsthafte Mängel im Bereich der demokratischen Institutionen, dem Umgang mit der Opposition sowie der Gewährleistung einer wirksamen Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Der Austritt aus der Istanbul Konvention 2021 sowie die Weigerung, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall von Osman Kavala umzusetzen, haben auch im Europarat zu einer Entfremdung geführt. Sollte die Türkei sich weiterhin verweigern, das Urteil umzusetzen, könnte dies durch Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 46 der Europaratskonvention (Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile) zum Ausschluss der Türkei aus dem Europarat führen. Dies möchte niemand, es wäre jedoch der konsequente Schritt in diesem Fall.

Auch in Ungarn gibt es große Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit. Was raten die Parlamentarier im Umgang mit dem EU-Land? Sollte es ein Monitoring-Verfahren geben?

Ungarn ist Teil unserer Europäischen Union. Die Ansprüche an die dortige Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist deshalb nicht geringer. Im Gegenteil: Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte darf der Europarat nicht minder rügen. Sollte Ungarn nicht zur erheblichen Besserung bei der Einhaltung ihrer Rechtsstaatlichkeit beitragen, halte ich es für angebracht, dass der Europarat entsprechend eingreift. Ein Monitoring-Verfahren wäre konsequent. Als Versammlung haben wir bereits konkret formuliert, dass der Europarat die Entwicklungen in Ungarn unter Nutzung all seiner zur Verfügung stehenden Mittel beobachten soll. Ich halte dies für angebracht.

Eine Expertengruppe hochrangiger Politiker hat nun einen Bericht vorgelegt für den geplanten Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer zur Zukunftsfähigkeit des Europarates. Bietet der Bericht eine treffende Zustandsbeschreibung des Europarates und zukunftsweisende Reformvorschläge?

Nein. Der Bericht ist leider enttäuschend und bleibt hinter dem zurück, was jetzt zu tun ist. Zudem wird der Bericht dem Umstand nicht gerecht, dass sich die Regierungschefs nur rund alle zehn Jahre treffen. Es fehlt an einem zukunftsweisenden Momentum.

Was erwarten Sie von dem Gipfel?

Erneuerung, Verbesserung und Stärkung des Europarates. Lassen Sie mich konkret sagen: Wir stehen global vor massiven Herausforderungen, auf die Europa schneller und konkreter reagieren können muss. Der Gipfel muss dazu führen, dass der Europarat neue Kompetenzen erhält und besser ausgestattet ist, um unsere demokratische Sicherheit zu schützen. Er muss in der Lage sein, rechtzeitige und wirksame gemeinsame Maßnahmen zum Schutz und zur Weiterentwicklung des auf Regeln beruhenden Multilateralismus zu ergreifen, um bestehende und neu aufkommende Bedrohungen in Europa besser zu bewältigen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat mit einer „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ ein neues Konferenzregime vorgeschlagen, dessen Mitglieder abgesehen von Kosovo dieselben sind wie die im Europarat, und der Aufgabenstellungen übernehmen soll, die auch vom Europarat bearbeitet werden könnten. Was sagen die Europarat-Parlamentarier dazu? Droht dem Europarat ein Bedeutungsverlust?

Das durch Präsident Macron vorgeschlagene Gremium klingt in der Theorie zunächst gut, ihm fehlt es allerdings an der konkreten Legitimation: Es besitzt keine parlamentarische Anbindung und wird daher im Europarat nicht konkret diskutiert. Für uns gilt: Ein neues Gremium zu schaffen, ist in diesem Fall nicht die beste Lösung. Richtig wäre es, den Europarat als richtiges Gremium und seine Kompetenzen voll zu nutzen.

Sollte sich der Europarat stärker der Aufgabe annehmen, EU-Beitrittskandidaten sowie in der Nachbarschaft der EU Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu fördern?

Ich plädiere für eine deutliche ehrgeizige Ausrichtung des Europarats. Wenn die Werte Europas konkret bedroht sind, braucht es die ganze Anstrengung seiner Institutionen um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu schützen. Dies darf auch für EU-Beitrittskandidaten sowie in der Nachbarschaft der Europäischen Union gelten.

(ll/19.10.2022)

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