Aktuelle Stunde

Vor Treffen in Reykjavik: Fraktionen setzen sich für Stärkung des Europarats ein

Aus Anlass des vierten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs des Europarats kommende Woche im isländischen Reykjavik hat sich am Donnerstag, 11. Mai 2023, die große Mehrheit der Abgeordneten für eine Stärkung und bessere finanzielle Ausstattung der 74 Jahre alten Institution ausgesprochen. In einer auf Verlangen der Ampelfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP anberaumten Aktuellen Stunde debattierten die Fraktionen über Herausforderungen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine, die in einigen Mitgliedstaaten mangelhafte Umsetzung von Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) sowie neue Konventionen des Europarats im Bereich Klima und Künstliche Intelligenz. 

Kontreverse zur EH-Außengrenze

Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem „historischen Gipfel“ in Reykjavik, bei dem über eine neue Vision für die Zukunft der Menschenrechte in Europa beraten werde. Er äußerte die Hoffnung, dass dabei die Situation in der EU selbstkritisch in den Blick genommen werde, die mit Blick auf die Außengrenzen „dramatisch“ sei. Im Umgang mit Flüchtenden würden hier täglich Grundrechte von Menschen und im Besonderen das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt. 

Armin Laschet (CDU/CSU) nannte dies eine „Unterstellung“ und betonte, auf dem Gipfel kommende Woche gehe es um die Reaktion auf den russischen Angriff und den Umgang mit anderen  Krisenregionen in Europa. So sei der Frieden auch in Armenien, Aserbaidschan und in der Türkei instabil. „Die Aufgaben sind breiter als der Ukraine-Krieg“, sagte Laschet, der sich für mehr Gipfeltreffen der 146 Europaratsmitglieder aussprach. Statt wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron neue Formate wie die „Europäische Politische Gemeinschaft“ ins Leben zu rufen, sollten die Themen öfter im Rahmen des Europarats beraten und die Institution damit gestärkt werden. 

2024: Europarat-Konferenz im Bundestag

Frank Schwabe (SPD), der die Wahlbeobachtungsmission des Europarates leitet, berichtete, erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hätten viele Mitgliedstaaten verstanden, dass es Zeit wäre, sich wieder über die grundlegenden Werte Europas - Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit - zu verständigen. Leider gebe es immer mehr Länder, die die Urteile des EGMR ignorierten, insbesondere Russland, die Türkei und Großbritannien. Um handlungsfähiger zu sein, müsse der Europarat mehr Mittel bekommen. Auch müsse die Europäische Union endlich der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beitreten. Schwabe kündigte im kommenden Jahr eine Europaratskonferenz im Bundestag an, auf der mit Vertretern der Jugend und anderen Akteuren über die Zukunft des Europarates diskutiert werden soll.  

Für die AfD warf Norbert Kleinwächter den übrigen Fraktionen eine Politisierung der Institution vor. Der Europarat habe die Aufgabe, über die Einhaltung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in Europa zu wachen und Wahlen entsprechend zu beobachten. „Er soll die Bürger vor dem Staat schützen und nicht den Staat vor den Bürgern.“ Dennoch werde die Institution für die Durchsetzung einer „links-ökologischen Agenda“ benutzt. Mit der Schaffung von Umweltmenschenrechten und der Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine durch den  deutschen Steuerzahler würden „essenzielle Menschenrechte relativiert“, urteilte Kleinwächter. 

Neue Konventionen auf der Tagesordnung

Konstantin Kuhle (FDP) kritisierte, dass unter anderem die Türkei Urteile des EGMR nicht umsetze, obwohl sie sich völkerrechtlich dazu verpflichtet habe. So hätten die Straßburger Richter mehrfach entschieden, dass sie den Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala freilassen müsse, doch dieser sitze nach wie vor im Gefängnis. Auch Russland habe den Europarat „über Jahre an der Nase herumgeführt“. Es sei höchste Zeit gewesen, es im März 2022 aus der Institution auszuschließen. Demgegenüber sprach sich Kuhle dafür aus, die Republik Kosovo als Vollmitglied des Europarates aufzunehmen. „Das wäre ein Beitrag zur Stabilisierung auf dem Balkan und zu  Menschenrechtssituation in Europa“, urteilte der FDP-Politiker. 

Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko nannte es „dringend notwendig“, den Europarat finanziell besser auszustatten. Es sei gut, dass viele Mitgliedstaaten inzwischen erkannt hätten, wie wichtig die Institution sei. Seine Fraktion begrüße auch, dass in Reykjavik neue Konventionen auf der Tagesordnung stünden, mit denen etwa der Umweltschutz als Menschenrecht aufgewertet werden solle. Auch eine internationale Konvention zur Künstlichen Intelligenz sei dringend notwendig. „Skandalös“ sei indes, dass die EU nach mehr als einem Jahrzehnt immer noch nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten sei. 

Derya Türk-Nachbaur (SPD) nannte den Europarat die „Herzkammer unserer freiheitlichen Demokratie“. In stürmischen Zeiten sei er „Schutzschirm gegen schwelenden Demokratieabbau, aufflammende Unmenschlichkeit und den aufbegehrenden Autoritarismus“. Ihr zufolge seien bisher 6.256 Urteile des EGMR nicht umgesetzt worden, zu 70 Prozent seien dafür Russland, die Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Ungarn und die Ukraine verantwortlich. Das sei ein Problem für die Zivilgesellschaft, aber auch für die Glaubwürdigkeit der Institution. Vom Gipfel kommende Woche müsse das Signal ausgehen, die gemeinsamen Werte zu stärken, die finanzielle Existenz der Institution zu sichern und die Urteile des EGMR vollstrecken zu wollen. (joh/11.05.23)

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