Aktuelle Stunde

Aussprache zum Wirtschaftsstandort Deutschland

Der Bundestag hat am Mittwoch, 5.Juli 2023, in einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion über das Thema „Standort Deutschland in Gefahr“ debattiert. Die Oppositions- und Regierungsparteien zeichneten ein jeweils sehr unterschiedliches Bild von der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Deutschland.

Union kritisiert „überbordende Bürokratie“

Unionsfraktionschef Friedrich Merz begründete die Aktuelle Stunde mit einer sich deutlich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Unter anderem verwies er auf eine über die Sommermonate steigende Arbeitslosigkeit. Der Ampel-Koalition rief er zu: „Das ist Ihre wirtschaftspolitische Bilanz der letzten Monate.“ Deutschland drohe wieder zum kranken Mann Europas zu werden. Das Wort „Wettbewerbsfähigkeit“ komme in den Reden von Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) kaum vor. 

Merz verwies auf „überbordende Bürokratie“ und Daten des Nationalen Normenkontrollrats, demzufolge die Bürokratiekosten in Deutschland im vergangenen Jahr 17 Milliarden Euro betragen hätten, ein Plus von 720 Millionen Euro. Als ein Beispiel nannte der CDU-Vorsitzende und Unionsfraktionschef klinische Studien. Ein Pharmaunternehmen müsse für eine solche Studie 54 Stellungnahmen von Ethikkommissionen und 17 Zustimmungen von Datenschutzbeauftragten einholen, beklagte Merz. Angesichts solcher Auflagen verlegten Unternehmen ihren Sitz ins Ausland, warnte er.

SPD verweist auf Fachkräftezuwanderungsgesetz

Für die SPD-Fraktion wies der Abgeordnete Bernd Westphal die Ausführungen von Friedrich Merz zurück. Das von ihm gezeichnete Bild habe nichts mit der Realität zu tun, sagte er und verwies auf die Erfolge der Ampel: „Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass wir keine Energiekrise haben.“ Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde den Industriestandort stärken. Die Koalition habe Fesseln gelöst. Westphal verwies auf eine Ausschreibungsrunde für Offshore-Windenergie, die mit 0 Cent Subventionen abgeschlossen worden sei. Für eine zweite Runde erwarte er, dass die Unternehmen Geld bezahlten, um den Zuschlag für den Ausbau von Windenergie auf See zu erhalten.

Der Sozialdemokrat verwies auf die jüngsten Investitionszusagen des US-Chipherstellers Intel. So schlecht könne der Standort Deutschland nicht sein, wenn es solche Investitionen gebe. Um den Fachkräftemangel zu begegnen, habe die Ampel-Regierung das modernste Fachkräftezuwanderungsgesetz geschaffen. „Das wird dazu führen, dass der Standort Deutschland an Attraktivität gewinnt“, sagte Westphal. 

AfD moniert „völlig verkorkste Energiepolitik“

Bei der AfD-Fraktion stieß er damit auf wenig Verständnis. Der Weg der Koalition führe weg vom Wohlstand, sagte deren wirtschaftspolitischer Sprecher Leif-Erik Holm. „Deutschland steht im Abgrund“, warnte er. Firmen wanderten ab, weil Deutschland unattraktiver werde. Er kritisierte sinkende Innovationen, ein Zerbröseln der Infrastruktur und die höchsten Energiepreise „wegen der dümmsten Energiepolitik der Welt“. Deutschlands Kernproblem sei „die völlig verkorkste Energiepolitik“. Schließlich würden Wärmepumpen und Elektroautos am Ende mit Kohlestrom betrieben. Öl, das in Deutschland eingespart würde, werde andernorts verbrannt.

Holm verwies auf Frankreich und dessen Kernkraftwerke, die ausreichend Strom lieferten. „Andere Länder sind schlauer.“ Das Kapital fliehe aus Deutschland, investiert werde dagegen unter anderem in Frankreich. Der AfD-Abgeordnete verlangte von der Regierung eine Rückkehr zu einer „zukunftsfesten Energieversorgung“, den Abbau von Bürokratie, schnellere Genehmigungsverfahren und eine Modernisierung der Infrastruktur.

Grüne: Europa muss Abhängigkeiten reduzieren

Dr. Sandra Detzer von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen hielt wiederum entgegen, dass Deutschland laut einer Studie der attraktivste Wirtschaftsstandort in Europa sei. Die Herausforderung bestehe darin, die deutsche Volkswirtschaft resilient zu machen. Der Unionsfraktion warf sie vor, Deutschland in eine Abhängigkeit von russischem Gas geführt zu haben. Ein starker Industriestandort sei damit geopolitischen Streitigkeiten ausgeliefert worden. „Das darf uns nie wieder passieren in Deutschland“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Sie verwies darauf, dass Deutschland derzeit neben Dänemark die günstigsten Strompreise habe. „Die Erneuerbaren sind sicher und bezahlbar.“ Detzer forderte Merz auf, die EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen und deren Vorschläge zu unterstützen. Europa müsse Abhängigkeiten beispielsweise von Rohstoffen aus China reduzieren, forderte sie, und verwies auf die jüngsten Ausfuhrbeschränkungen, die China bei den seltenen Metallen Galium und Germanium verhängt hat. Man dürfe nicht den selben Fehler machen wie beim Gas.

Linke: Preise rennen der Lohnentwicklung davon

Bernd Riexinger rückte in seinem Wortbeitrag für die Fraktion Die Linke die Arbeitnehmer in den Mittelpunkt, deren Reallöhne immer weiter sänken. „Die Preise rennen der Lohnentwicklung davon“, kritisierte er. Sie seien getrieben von den Gewinnen der Unternehmen. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) werde zu Mieterhöhungen führen.

„Der sozialökologische Umbau der Wirtschaft droht zu scheitern“, warnte Riexinger. Er verwies auf  Automobilzulieferer, die die Produktion nach Osteuropa und in die Türkei verlagerten. „Die Regierung schaut zu“, ärgerte er sich. Im Bereich Elektroautos ziehe China an Deutschland vorbei, weil die Bundesregierung es versäume, klare Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Markt versage hier. „Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die Klima und Arbeitsplätze schützt. Dafür haben Sie leider kein Konzept“, kritisierte der Parlamentarier die Ampel-Regierung. Deren Bürgergeld sei zu niedrig. Enttäuscht zeigte er sich ferner, dass es keine Einführung einer Kindergrundsicherung gebe und das Elterngeld gekürzt werde. Der gesetzliche Mindestlohn müsse dringend auf 14 Euro erhöhte werden, mahnte er. Riexinger forderte eine Vermögenssteuer für hohe Vermögen.

FDP verweist auf Maßnahmen der Regierung

Auf zahlreiche Maßnahmen der Bundesregierung für die Transformation des Wirtschaftsstandorts Deutschland verwies Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Die Koalition habe im vergangenen Jahr im Eilverfahren LNG-Ports geschaffen und damit eine Gaskrise im Winter verhindert. „Hoffentlich gelingt uns das auch nächsten Winter“, sagte er.

Die Bundesnetzagentur werde bald ein Konzept für ein Wasserstoffnetz vorstellen. Außerdem würden 2.000 Kilometer Stromtrassen genehmigt werden. Infrastrukturmaßnehmen benötigten aber einen zeitlichen Vorlauf. Hier sorge die Ampel für Beschleunigung. Aus der Industrie seien 450 Vorschläge für Bürokratieabbau bei der Regierung eingegangen, von denen 150 auf Bundesebene geregelt werden könnten. Houben kündigte bis zum Im Herbst erste Papiere dazu an. (bal/05.07.2023)

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