Vor 20 Jahren: Bundestag debattiert über „Hartz IV“-Reform
Vor 20 Jahren am Freitag, 2. Juli 2004, stand das als Hartz IV heftig umstrittene Gesetzesvorhaben zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige als Teil einer Vereinbarten Debatte im Bundestag erneut zur Diskussion. Hartz IV hatte als Teil der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen des rot-grünen Regierungsbündnisses unter Bundeskanzler Dr. Gerhard Schröder (SPD) heftige Debatten in Politik und Öffentlichkeit ausgelöst.
Die vier Hartz-Gesetze waren zentrale Bestandteile der Agenda 2010, die Schröder in einer Regierungserklärung am 14. März 2003 im Plenum des Deutschen Bundestages als notwendig, um die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft zu lösen und die Arbeitslosigkeit zu senken, vorgestellt hatte.
Streitpunkte
Die von der Regierung vorgeschlagenen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen waren Thema zahlreicher kontroverser Debatten im Plenum und in den Ausschüssen. Ein zentraler Streitpunkt war die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige, die Kürzung der Leistungen und die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I.
Als letztes der sogenannten Hartz-Gesetze war die neue Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) als Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt bereits am 19. Dezember 2003 nach intensiven Debatten und einem langwierigen Vermittlungsverfahren vom Bundestag verabschiedet worden.
Jetzt lag, ebenfalls als Ergebnis eines langen Vermittlungsverfahrens zwischen Bundesrat und Bundestag, unter dem Titel „Kommunales Optionsgesetz“ das fünfte Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes vor.
Veränderung des Arbeitsmarktes und der Beschäftigungspolitik
Die vereinbarte Debatte eröffnete der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement (SPD): „Als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens zur sogenannten kommunalen Option im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe liegt Ihnen jetzt das fünfte Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes vor. Wir wollen mit diesen Gesetzen die Beziehungen von arbeitsuchenden Menschen und betreuenden Organisationen sowie der Bundesagentur für Arbeit neu gestalten.“ „Mit diesem Gesetz beenden wir, so hoffe ich, das Tauziehen um die Finanzierung und um die Organisation dessen, was mit der neuen Arbeitsmarktpolitik verbunden ist. Wir gehen jetzt in eine Phase der Realisierung der Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben und die Sie als Gesetzgeber bereits im Dezember des letzten Jahres beschlossen haben.“
Der Bundesarbeitsminister würdigte die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als Beginn einer effektiven Arbeitsvermittlung. „Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, um die es jetzt geht, gehen wir den größten Schritt in Richtung einer Veränderung des Arbeitsmarktes und der Beschäftigungspolitik in unserem Land.“ „Wir verabschieden uns von der Verwaltung der Arbeitslosigkeit“, sagte Clement und betonte: „Alle werden eine bessere Vermittlung bekommen.“ Clement wies Vorwürfe zurück, das neue Arbeitslosengeld II bedeute einen sozialen Absturz für viele Bezieher.
Zweifel an der Umsetzung aus der Opposition
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktionen, Volker Kauder, äußerte Zweifel daran, dass die Bundesagentur für Arbeit diese Herausforderung bewältigen könne und stellte klar, dass die Verantwortung für die erfolgreiche Umsetzung des neuen Arbeitslosengeldes II nun bei Clement liege. „Herr Clement, es hängt von Ihnen ab, ob es nun ein Erfolg wird oder nicht. Sie wollten, dass dieser Gigant Bundesagentur das macht. Jetzt tragen Sie die Verantwortung dafür, dass es am 1. Januar 2005 auch klappt.“ Kauder hob einen Punkt des Kompromissvorschlags besonders hervor: die Beteiligung kommunaler Träger an der Arbeitsvermittlung durch eine „Experimentierklausel“, die 69 Kommunen das aktive Mitwirken sichert und auf zunächst sechs Jahre befristet ist. „Wir wollen nun, dass in diesem Land ein Wettbewerb zwischen den Kommunen und der Bundesagentur darüber stattfindet, wer es besser kann.“ „Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung und nach meiner festen Überzeugung: Die Kommunen können es besser.“
Auch der FDP-Fraktionssprecher für Arbeitsmarktpolitik, Dirk Niebel, kritisierte, dass Betreuung und Vermittlung nicht völlig den Kommunen übertragen werden. Er sah die Reform als unter enormem Zeitdruck umgesetzt und forderte mehr Autonomie für die Kommunen.
Petra Pau (fraktionslos) lehnte das Gesetz entschieden ab. „Denn Hartz IV ist kein Reformpaket; es ist vielmehr ein Armutsgesetz. Deshalb lehnt die PDS dieses Gesetz ohne Wenn und Aber ab.“ Sie erkannte zwar die zusätzlichen Mittel für Kommunen und die erweiterte Zuständigkeit an, betonte jedoch, dass der Kern von Hartz IV bestehen bleibe und negative soziale Auswirkungen habe. „Sie greifen Armen in die Tasche und zwingen sie zur Fron.“
Die Arbeitsmarkt- und Sozialexpertin Dr. Thea Dückert von Bündnis 90/Die Grünen verteidigte die Reformen trotz der hohen Kompromisskosten. Sie kritisierte die Union für ihre Forderungen nach einem Niedriglohnsektor und Zwangsbeschäftigung und war froh, „dass es uns gelungen ist, diese Ansätze im Vermittlungsausschuss zu verhindern“. Sie betonte, dass die Reform auf das Prinzip „Fördern und Fordern“ setze und auf soziale Verbesserungen abziele.
Mehrheit für den Kompromiss zum Optionsgesetz
Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition und der Mehrheit der Union bestätigten die Abgeordneten den Kompromiss aus dem Vermittlungsausschuss (15/3495). Dagegen stimmten, bei etlichen Enthaltungen aus der CDU/CSU, der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele, die FDP, die beiden PDS-Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau, und drei Unionsabgeordnete.
Das Kommunale Optionsgesetz ermöglichte es bestimmten Kommunen, die Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen eigenständig zu übernehmen, anstatt diese Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit zu überlassen. Dies sollte zu mehr Flexibilität und Effizienz in der Verwaltung führen. Insgesamt erhielten 69 Kommunen und Landkreise die Möglichkeit, die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in eigener Regie zu übernehmen. Außerdem sollten die Kommunen durch einen Bundesanteil bei den Wohngeldansprüchen von jährlich etwa 2,5 Milliarden Euro entlastet werden.
Inkrafttreten
Auch der Bundesrat stimmte dem Vermittlungsvorschlag eine Woche später am 9. Juli nach kurzer Debatte zu. Damit war der Weg für die umfassende Reform des Arbeitsmarktes frei und das neue Arbeitslosengeld II konnte zum 1. Januar 2005 in Kraft treten.
Die wesentlichen in der Agenda 2010 vorgesehenen Reformmaßnahmen im Bereich Arbeit wurden durch das Erste bis Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sogenannte „Hartz-Gesetzgebung“) sowie das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt umgesetzt. Sie traten zwischen Dezember 2002 und Januar 2005 in Kraft.
Zum 1. Januar 2023 hat das Bürgergeld das Arbeitslosengeld II abgelöst. Am 25. November 2022 hatten Bundestag und Bundesrat dem im Vermittlungsausschuss (Drs. 20/4600) erzielten Kompromiss zugestimmt. (klz/24.06.2024)