Abgeordnete stärken Partnern in Litauen und Lettland den Rücken
Fragen der Sicherheit und Verteidigung sowie die Stationierung einer Bundeswehrbrigade standen im Vordergrund der politischen Gespräche, die der Vorstand der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe während einer Delegationsreise vom 21. bis 24. Mai 2024 in Lettland und Litauen führte.
Für die baltischen Länder ist die Partnerschaft mit Deutschland gefragter denn je, erklärt Peter Heidt (FDP), Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, die sich um die Pflege der Beziehungen zu Estland, Lettland und Litauen auf parlamentarischer Ebene kümmert. Aber auch in Deutschland habe angesichts der wiederholten Angriffe Russlands auf seine Nachbarländer wie Georgien oder die Ukraine „eine Sensibilisierung stattgefunden für die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit“.
Gespräche zur Bedrohung durch Russland
Die Bedrohung durch Russland ist in beiden Ländern das „überragende Thema“, berichtet Heidt, „egal, mit wem man in Riga oder Vilnius redet“. Eine breite Palette an Sicherheitsfragen: Von „A“ wie militärische Abschreckung bis „Z“ wie Zivilschutz für die Bevölkerung stehe daher für Politik und Gesellschaft in Lettland und Litauen ganz oben auf der Agenda. Das sei nachvollziehbar, so Heidt, denn: „Die Gefahr ist für Letten und Litauer geografisch sehr nah“, teilen beide Länder doch Grenzen mit Russland und dem mit diesem befreundeten Belarus. Der Schreck über den russischen Angriff auf die benachbarte Ukraine stecke den Menschen in den Ländern an der östlichen Ostsee noch in den Knochen.
„Die Bedrohung ist für die Balten allgegenwärtig“, so der liberale Politiker aus Hessen. Immer wieder verletze Russland den Luftraum seiner Nachbarländer, fliege „mit Maschinen ohne Kennung“ in die Korridore der zivilen Luftfahrt. Täglich müssten deswegen Eurofighter der Bundeswehr vom Luftwaffenstützpunkt nahe der lettischen Hauptstadt Riga starten.
Militärische Provokationen und Völkerrechtsverstöße
„Die russischen Streitkräfte provozieren unsere Reaktionsfähigkeit, wollen testen, wie schnell die Deutschen sind.“ Bei einem Besuch der Lielvārde Air Base ließen sich die Bundestagsabgeordneten die Lage von Bundeswehrgeneralen erläutern, berichtet Heidt, der dem Verteidigungsausschuss sowie dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages angehört.
Zu dem verbrecherischen Handeln der Regierungen von Russland und Belarus gehöre auch, dass Moskau und Minsk gezielt Flüchtlinge aus Syrien an die EU-Außengrenze bringen, so der Rechtsanwalt Heidt, und diese, teils mit Leitern ausgestattet, zur illegalen Überwindung der Grenzsicherungsanlagen zwingen. International heftige Proteste waren bereits die Folge. Der große russischsprachige Bevölkerungsteil in den baltischen Ländern gehe zudem der russischen Propaganda auf den Leim, die Teil der Kriegführung des Kremls sei, um diese EU-Staaten politisch zu destabilisieren.
Tagtägliches Bangen um die Sicherheit
Hinzu komme, dass die baltischen Länder bis zum Ende der Sowjetunion russisch besetzt waren, ruft Heidt in Erinnerung. Die Abschüttlung der Fremdherrschaft sei einhergegangen „mit Auseinandersetzungen, ja Kämpfen, die Tote und Verletzte forderten“. Diese Erfahrung habe jede Familie im Baltikum geprägt. Erst vor einer Generation aus diesem historischen Befreiungskampf hervorgegangen, würden die drei kleinen Länder nun „tagtäglich um ihre Sicherheit bangen“. Russland aber vollführe auf dem geografisch engräumigen Gebiet geopolitische Machtspiele.
Der Besuch der deutschen Parlamentarier sei von den Gastgebern daher mit großer Freude und als Zeichen der Verbundenheit aufgenommen worden, berichtet der Vorsitzende und Delegationsleiter. Angesichts der angespannten sicherheitspolitischen Lage habe in den östlichen EU-Mitgliedstaaten das Interesse an guten Beziehungen zum größten EU-Land zugenommen und jede Unterstützung, die den kleinen Ländern an der europäischen Peripherie helfe, ihre Staatlichkeit zu wahren, sei dort willkommen.
Aufstellung der Baltischen Brigade
Die baltischen Gesprächspartner der Parlamentariergruppe hätten sich wiederholt der Einlösung des deutschen Schutzversprechens versichern wollen, durch eine dauerhafte Truppenpräsenz in Litauen in Form einer Brigade der Bundeswehr zur Sicherheit der baltischen Länder beizutragen. Von diesem Projekt konnten sich die Mitglieder des Bundestages – als höchstem Entscheidungsträger für den Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte – vor Ort, nahe dem Städtchen Rukla in Litauen, im Gespräch mit dem Kontingentführer der deutschen Streitkräfte ein eigenes Bild machen.
„Die Brigade ist im Aufbau und sie wird kommen wie geplant, trotz der Diskussionen um deren Finanzierung“, habe die Delegation ihren Gastgebern auf deren wiederholte Nachfrage versichert, so der Bundestagsabgeordnete, und auf diese Weise den baltischen Partnern den Rücken gestärkt.
Testfall für die Bundeswehr
Die Stationierung einer Kampfbrigade der Bundeswehr zum Schutz der baltischen Länder sei in mehrfacher Hinsicht „eine überragende Entscheidung“, erklärt der Verteidigungspolitiker. Zum einen sehe sich damit nicht nur Deutschland einer anspruchsvollen Aufgabenstellung gegenüber, politisch, militärisch, finanziell. Auch Litauen stehe vor einer logistischen Herausforderung. Schließlich müsse das kleine Land in kurzer Zeit 5.000 deutsche Einsatzkräfte inklusive Familien aufnehmen, gibt Heidt zu bedenken. Er sei sich jedoch „sicher, dass beide Länder das hinbekommen“.
Der Einsatz im Baltikum ist laut Heidt aber auch ein Meilenstein für die Neuaufstellung der Bundeswehr. Der FDP-Politiker erinnert daran, dass zum Zeitpunkt der russischen militärischen Aggression gegen die Ukraine, im Februar 2022, die Bundeswehr über keinen einsatzfähigen Großkampfverband verfügt habe: „Wir hatten keine vollständig funktionierende Brigade.“ Die Anforderungen des Einsatzes seien nun Anlass, die Streitkräfte entsprechend auszurüsten.
Wertschätzung für deutsche Militär-Präsenz
Die Aufstellung der Brigade sei zudem ein Signal an die Nato- und EU-Partner im Osten: Wir verteidigen euch gemeinsam. Und in die Allianz hinein: Wir erfüllen unsere Bündnisverpflichtungen. Schließlich gebe man damit ein wirksames Zeichen der Abschreckung Richtung Russland, gegen eine weitere Eskalation des Krieges. Diese Sprache verstehe der Kreml. „Die wissen nun ganz genau: Wenn wir das Baltikum angreifen, dann greifen wir damit auch die deutsche Bundeswehr an“, ist Heidt überzeugt.
In den baltischen Ländern erfahre das militärische Engagement aus Deutschland hohe Wertschätzung, trotz der Strapazen, die das beispielsweise für Anwohner mit sich bringe. In Deutschland hingegen werde die Leistung der Bundeswehr nicht genug gewürdigt, findet der Abgeordnete. „Wenn wir sonntags früh den Krach der Eurofighter hören, sind wir beruhigt: Die Deutschen beschützen uns“, habe ihm ein lettischer Parlamentskollege erzählt, so Heidt. „Die Menschen im Baltikum sind dankbar – trotz Lärm, Schmutz und Straßensperren, die der Aufmarsch mit sich bringt.“
Volle Agenda in Riga und Vilnius
Die baltischen Völker hätten aus der Geschichte gelernt und sich nach den Erfahrungen mit der russischen Besatzung und der Erlangung ihrer Souveränität bewusst entscheiden, der Nato beizutreten. „Die haben sich gesagt: Allein werden wir den Russen nicht standhalten können.“ Ebenso wie jüngst die nördlichen Ostseeanrainer Schweden und Finnland das westliche Verteidigungsbündnis verstärkt hätten. Man verlasse sich nun aufeinander und werde Russland durch gelebte Solidarität und glaubwürdige militärische Abschreckung von weiteren Aggressionen abhalten.
Von der Verteidigungszusammenarbeit über die Pflege der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen bis hin zu Fragen der Energieversorgung: In beiden Ländern hatten die Parlamentarier zu all diesen Themen eine volle Agenda an Programmpunkten und Gesprächspartnern. „Der parlamentarische Austausch hat dabei im Mittelpunkt gestanden“, erklärt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.
Hochrangige Begegnungen
So habe man in Litauen und Lettland Kolleginnen und Kollegen der Freundschaftsgruppen der dortigen Volksvertretungen getroffen, die für die Pflege der Beziehungen zu Deutschland zuständig sind, aber auch Mitglieder parlamentarischer Fachausschüsse. Darüber hinaus sei man in Litauen von der Präsidentin des Seimas, Viktorija Čmilytė-Nielsen, und in Lettland von der Vizepräsidentin der dort Saeima genannten Parlamentskammer und Vorsitzenden der Lettisch-Deutschen Freundschaftsgruppe, Dr. Zanda Kalniņa-Lukaševica, empfangen worden.
Die Bundestagsabgeordneten kamen außerdem mit Regierungsvertretern, wie dem litauischen Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas zusammen, um über Verteidigungsfragen und die Stationierung der deutschen Kräfte zu sprechen. In Lettland besuchte man das „Nato Strategic Communications Centre of Excellence“, wo man sich über Möglichkeiten austauschte, Desinformationskampagnen zu begegnen. Auch Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, der Presse und von Nichtregierungsorganisationen standen auf der Agenda.
Wachsendes Interesse aneinander
Die gemeinsamen Anstrengungen in der Verteidigung würden dem Willen zu stärkerer Zusammenarbeit zwischen den baltischen Ländern und Deutschland in allen Bereichen einen Schub verleihen, unterstreicht Heidt. Andersherum werde die militärische Kooperation durch die bereits sehr guten bilateralen Beziehungen und den mittlerweile erreichten hohen Grad der Verflechtung erleichtert.
Wirtschaftlich sei Deutschland für das Baltikum von überragender Bedeutung, so der FDP-Politiker. Im Rahmen der Europäischen Union bestehe ein nie dagewesener Austausch, auch gesellschaftlich, kulturell, im Tourismus und auf politischer Ebene. Das Interesse an der deutschen Sprache sei rasant gestiegen. Deutschland müsse dringend mehr Lernangebote machen. Auch den Jugendaustausch wolle man nun verstärken. Kulturell gründeten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und den östlichen Ostseeanrainern auf eine lange Tradition, betont Heidt.
Beachtliche Innovationsfreude
Symbolhaft für Jahrhunderte deutsch-baltischer Geschichte sei die Petri-Kirche in Riga, die momentan mit deutscher Hilfe restauriert werde. „Dieser Sakralbau steht als Kulturdenkmal für die ganze Region“, erklärt der Abgeordnete aus dem hessischen Wahlkreis Wetterau I. Lebendig würden gemeinsame Geschichte und Traditionen aber auch durch den regen kulturellen Austausch, etwa wenn bei den zahlreichen Festivals aufeinander Bezug genommen werde.
In Deutschland seien vielen Menschen die baltischen Länder, die seit 2004 der EU angehören, nicht nur als Reiseziel für Städtetrips und als Outdoor-Destination ein Begriff. Es habe sich auch herumgesprochen, dass die kleinen Volkswirtschaften am Rand Europas beispielsweise im Bereich der Digitalisierung mit einer beachtlichen Innovationsfreude vorangingen, die die EU bereichere und von der sich auch hierzulande etwas lernen lasse, egal, ob man auf neue Methoden des digitalen Lernens setze oder nach Lösungen suche, wie sich Desinformation im Netz bekämpfen lassen.
Intensivere Beziehungen gewünscht
Das wachsende Interesse aneinander und die „hohe Qualität der sehr freundschaftlichen Beziehungen“ habe die Delegation sowohl in Lettland als auch in Litauen in Form einer „extrem guten Gastfreundschaft“ erfahren, berichtet Heidt und ergänzt, dass eine Delegation bereits im vergangenen Jahr Estland besucht hatte, für das das zuvor gesagte genauso zutreffe – das dritte der baltischen Länder, die so oft in einem Atemzug genannt werden.
Die baltischen Gesprächspartner hätten auch bei den jüngsten Treffen „jede Möglichkeit ergriffen, nach Anknüpfungspunkten zu suchen“, um die Beziehungen auszubauen. „Egal mit wem Sie dort als Deutsche reden: Rasch bringen die Gesprächspartner den Wunsch nach mehr Kontakten, mehr Treffen, mehr Zusammenarbeit zum Ausdruck“, so Heidt. Nicht zuletzt angesichts der russischen Drohkulisse wünschten sich die Balten eine Intensivierung der Beziehungen.
„Wir sind Brückenbauer“
Im Westen wiederum, in Europa, in Deutschland, sei man seit der jüngsten russischen Aggression gegen die Ukraine „sensibilisiert wie nie zuvor“ für die Bedeutung der Beziehungen zu den postsowjetischen Staaten und werde diesen Wunsch erwidern, erklärt Heidt. Die immer gerne beschworene Pflege der bilateralen Beziehungen gestalte sich, was das Verhältnis zwischen Deutschland und Lettland und zwischen Deutschland und Litauen betreffe, sehr freundschaftlich, äußerst reibungslos und konstruktiv. Gerade deshalb dürfe man sich aber keinesfalls auf dem Erreichten ausruhen, so der Delegationsleiter.
Die Parlamentariergruppe greife den gestiegenen Gesprächsbedarf zwischen Deutschland und den baltischen Staaten auf und ergänze die Außenpolitik der Bundesregierung. „Wir sind Brückenbauer“, beschreibt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe das Selbstverständnis der darin zusammengeschlossenen Bundestagsabgeordneten.
Die Delegation bestand neben Peter Heidt (FDP) aus den stellvertretenden Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Bettina Hagedorn (SPD), Astrid Damerow (CDU/CSU), Hanna Steinmüller (Bündnis 90/Die Grünen) und Gereon Bollmann (AfD). (ll/24.09.2024)