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SED-Opferbeauftragte: Kulturgutentzug ist mehr als nur materieller Verlust

In die Hunderttausende geht nach Schätzung von Experten die Zahl unrechtmäßig in der DDR und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteigneter Kunstobjekte und Kulturgüter. Während die Museen bei der Nachforschung an ihre finanzielle und personelle Kapazitätsgrenze stoßen, liefen die Rückforderungen der Betroffenen auf dem Rechtsweg häufig ins Leere. Das Thema brauche nun höhere Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft, die Provenienzforschung müsse gestärkt werden und dafür die nötige finanzielle Unterstützung erhalten, so die Teilnehmer am Fachgespräch der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke am Donnerstag, 15. Mai 2025, unter der Überschrift „Kulturgutentzug in der SBZ und der SED-Diktatur“. 

Zupke: Verlust eines Teils der eigenen Identität

„Der Entzug von Kulturgut ist für die Betroffenen weit mehr als nur ein materieller Verlust“, sagte Zupke. Viele Betroffene beschrieben diese Erfahrung „als den Verlust eines Teils der eigenen Identität, oftmals verbunden mit vielschichtigen Repressionserfahrungen“. Diese Verlusterfahrung verfolge die Betroffenen und ihre Angehörigen bis in die Gegenwart, wo sie einer Gesellschaft gegenüber stünden, die über diese Form des Unrechts viel zu wenig wisse. Die Stigmatisierung durch die DDR-Behörden setze sich so fort. 

Entzogenes Eigentum noch zurückzubekommen, sei heute kaum mehr möglich oder mit sehr hohen Hürden verbunden. Als SED-Opferbeauftragte des Deutschen Bundestages sei ihr daher wichtig, „dieses herausfordernde Thema immer wieder ins Parlament zu tragen“ und zu prüfen, wie die rechtliche Stellung der Betroffenen gestärkt werden kann. 

Am Anfang der Aufarbeitung

Die ihren rechtmäßigen Eigentümern entzogenen Gegenstände wie Möbel, Bilder oder Bücher befinden sich heute in stadthistorischen, Heimat- und Regionalmuseen vor allem in Ostdeutschland oder waren im Zuge der Devisenbeschaffung der DDR über den internationalen Kunstmarkt an neue Eigentümer auf der ganzen Welt gelangt. 

Anders als bei der Aufarbeitung der Raubkunst der NS- und Kolonialzeit stehe man im Fall der DDR-Enteignungen noch ganz am Anfang, betonten die Teilnehmer des Fachgesprächs. In den 1990er-Jahren habe die schnelle Herstellung von Rechtssicherheit Priorität gehabt und einem umfassenden Rechtsfrieden im Weg gestanden. Jetzt sei Dringlichkeit geboten, könne man doch im Unterschied zu den weiter zurückliegenden Epochen noch Betroffene mit einer Rückgabe ihrer persönlichen Kunstobjekte und Kulturgüter erreichen.

Hoffnung auf mehr Aufmerksamkeit

Die Sachverständigen äußerten die Hoffnung, dass das Thema wie im Koalitionsvertrag formuliert nun von der Bundespolitik neue Aufmerksamkeit bekomme. Über die zu Unrecht in öffentliche Sammlungen gelangten Objekte müsse vollständige Transparenz hergestellt werden. Außerdem gelte es, die Öffentlichkeit stärker zu sensibilisieren und das Wissen über die Vorgänge in der ehemaligen SBZ und DDR rund um die unrechtmäßige Enteignung von Kulturgütern zu vergrößern. 

Die Provenienzforschung vor Ort, in den Museen und Sammlungen, die die Herkunft eines jeden einzelnen Kunstwerkes ermittele, benötige dringend eine angemessene finanzielle Ausstattung. Ziel müsse sein, falls eine Rückgabe nicht möglich sei, dass alle öffentlich ausgestellten und zugänglichen Objekte Informationen über ihre Herkunft erhielten. 

„Eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe“ 

„Das Problem ist noch akut“, sagte Mathias Deinert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Zwar seien die rechtlichen Anspruchsfristen mittlerweile abgelaufen, viele Länder hätten ihre Vermögensämter bereits geschlossen, Aktenbestände seien nicht mehr zugänglich. Die herrschende Meinung dort: Jeder hat bekommen, wozu er berechtigt war.

Bei Museen und Sammlungen, die noch bis vor zehn Jahren eine eher passive Haltung gegenüber der Rückgabe von Kulturgut an den Tag gelegt hätten, habe es jedoch mittlerweile einen Sinneswandel gegeben. Diese näherten sich dem Thema heute mit einem moralisch-ethischen Ansatz und betrachteten es als ihre Aufgabe, über die diversen Kunst-Raube der DDR aufzuklären.

Jedes einzelne Objekt auffindbar zu machen stelle jedoch einen riesigen Aufwand dar. Die Provenienzforschung sei daher „eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe“ und müsse gestärkt, und das heiße finanziert werden. Die Politik sei gefordert. 

„Wir brauchen rechtliche Sicherheit“ 

Die Perspektive eines Betroffenen brachte Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg ein, dessen Familie die in der DDR enteignete Familienkunstsammlung, mehrere hundert Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken aus dem 14. bis 19. Jahrhundert, nach Wende und Wiedervereinigung rückübertragen wurde und in Form einer Stiftung wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. 

Alexander Sachse vom Museumsverband Brandenburg e.V. und Ko-Autor einer aktuellen wissenschaftlichen Publikation als Handreichung für Museen zum Umgang mit Objekten, die als enteignetes Kulturgut in der SBZ und DDR in öffentliche Sammlungen gelangten, führte die Komplexität des Themas vor Augen. So sei seitens der Museen und Sammlungen erst einmal zu erkennen, bei welchen Stücken möglicherweise ein „Entzugskontext“ besteht. „Drei bis acht Prozent, oft mehrere tausend Objekte pro Museum“ stünden „unter Verdacht“.

Je nach historischem Hintergrund fänden sich Dokumente möglicherweise bei unterschiedlichen Behörden und Einrichtungen. Die Recherche stelle sich aufwändig und teuer dar. Stießen die Wissenschaftler aber auf eine erfolgversprechende Spur, etwa den Hinweis auf einen aktuellen Wohnort Betroffener, dürften sie diese aus Gründen des Datenschutzes oft nicht weiter verfolgen. „Uns läuft die Zeit davon. Die Museen sind bereit. Aber wir brauchen rechtliche Sicherheit“, mahnte Sachse.

„Unrechtskontext weiter erforschen“

Dr. Maria Nooke, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, erzählte, wie viele Menschen weiterhin ihre Stelle zur Beratung aufsuchten. Man sei mit einem breiten Spektrum an historischen, rechtlichen und Lebenskontexten konfrontiert. „In der DDR wurde Eigentum in privater Hand generell verunglimpft. Es ist wichtig, dass dieser Unrechtskontext offen auf den Tisch kommt und weiter erforscht wird.“ Die Transparenz müsse dann zur Folge haben, „dass Museen dann auch freiwillig Objekte zurückgeben“. Es gelte jetzt, „den Betroffenen auch da ein Recht wieder zu geben, wo es rechtlich nicht mehr möglich ist“.

Johannes Beleites, Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, unterstrich die Dringlichkeit von Forschung über das Thema. Dazu müssten auch weitere Dokumente aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv zugänglich gemacht werden, etwa aus dem Bereich der sogenannten „Kommerziellen Koordinierung“, mit dem das finanziell klamme DDR-Regime sich durch den Verkauf enteigneter Kunst auf dem Weltmarkt Deviseneinnahmen verschaffte. 

„Wir brauchen externe Unterstützung“

Rund 400 Regional- und Heimatmuseen gebe es allein in Brandenburg, und pro Museum seien hunderte, oder gar tausende Objekte betroffen, schätzte Dr. Arne Lindemann, Geschäftsführer des Museumsverbandes Brandenburg e.V. Um eigene Forschung zu betreiben, fehlten den Einrichtungen aber die finanziellen Möglichkeiten. „Wir brauchen externe Unterstützung.“ Fachlich dagegen stünden die Museen in den Startlöchern. „Die Dinge liegen da, wir müssen sie erforschen.“ Jetzt brauche es den politischen Willen, Fördergelder bereit zu stellen. 

Wie bei der Aufarbeitung der Fälle der NS-Raubkunst benötigten Museen und Sammlungen ein Verfahren der „Erst-Checks“ für ihre Bestände auch im Hinblick auf möglicherweise in der SBZ oder DDR enteignete Kunstwerke. Die Museen seien für die Aufarbeitung des Unrechts offen und verstünden sich als Orte des gesellschaftlichen Dialogs.

Für das Thema sensibilisiert

Dass die Aufarbeitung und das Aufspüren von Unrechts-Objekten nur mit externer Unterstützung geleistet werden kann, betonte auch Christiane Heinevetter, Direktorin des Museums Schloss Bernburg. Die finanziellen und personellen Ressourcen stellten sich als die wesentliche Herausforderung dar. Man sei in der Museumsarbeit jedoch heute für das Thema sensibilisiert, gehe mit großem Aufwand jedem Hinweis nach, schaue in Inventarbüchern und Archiven nach und füge neue Erkenntnisse bei den Beschriftungen der Objekte in der Ausstellung hinzu. 

Neben der Provenienzforschung sei die Öffentlichkeitsarbeit des Museums ein Schlüssel, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Kürzlich habe sich nach einem Vortrag eine Zeitzeugin gemeldet, deren Nachbarn aus der DDR „Republikflucht“ begangen hatten und deren Wohnung daraufhin aufgelöst wurde. Die Zeitzeugin habe sich noch genau daran erinnert, wie die nun im Museum gezeigten Möbel in der Nachbarwohnung gestanden hätten, in der sie als Kind ein- und ausgegangen war.

Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur

Evelyn Zupke ist seit Juni 2021 die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag. Die SED-Opferbeauftragte hat die Aufgabe als Ombudsperson für die Anliegen der Opfer der SED-Diktatur zu wirken und zur Würdigung der Opfer des Kommunismus in Deutschland beizutragen. 

Sie berät den Deutschen Bundestag und seine Ausschüsse, die Bundesregierung sowie andere öffentliche Einrichtungen in Fragen, die die Angelegenheiten der Opfer der SED-Diktatur und der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik betreffen. Die öffentlichen Stellen des Bundes und der Länder sollen die SED-Opferbeauftragte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. (ll/eis/15.05.2025)