Klöckner: EU muss Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen
Bedingt durch die Auflösung der französischen Nationalversammlung vor einem Jahr und dem vorzeitigen Ende der 20. Legislaturperiode des Bundestages hat die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung (DFPV) gut anderthalb Jahre nicht getagt. Am Montag, 16. Juni 2025, kam die DFPV nun in Paris zu ihrer elften Sitzung zusammen.
Dabei sprach sich Bundestagspräsidentin Julia Klöckner dafür aus, dass Deutschland und Frankreich sich ihrer Partnerschaft neu versichern und diese vertiefen sollten. „Wir müssen Mut fassen, zu einer neuen Dynamik für unser Europa“, forderte Klöckner, die die Sitzung gemeinsam mit der Präsidentin der Assemblée nationale, Yaël Braun-Pivet, eröffnete.
„Europa steht unter Druck“
Angesichts der internationalen Bedrohung unserer Sicherheit und der „Infragestellung demokratischer Ordnungen“ werde mehr denn je eine Verzahnung von Freunden und Nachbarn benötigt, „die nicht nur gleich ticken, sondern auch in der parlamentarischen Arbeit zur Stärkung beitragen können“, sagte die Bundestagspräsidentin. Neben etablierten Formaten, wie etwa gemeinsamen Sitzungen von Ausschüssen, sehe das deutsch-französische Parlamentarierabkommen vor, dass Beschlüsse und Entschließungsvorschläge der DFPV in die nationalen Parlamente eingebracht werden. Davon sei ihrer Einschätzung nach noch zu wenig Gebrauch gemacht worden.
Klöckner zeigte sich überzeugt davon, dass auf deutscher, wie auch auf französischer Seite, der Wille vorhanden ist, aus der deutsch-französischen Verbindung eine neue Dynamik für Europa freizusetzen. „Europa steht unter Druck“, so die Bundestagspräsidentin. Der brutale Angriffskrieg Russlands unter Bruch des Völkerrechts habe die europäische Friedensordnung erschüttert. Auch andere Krisenherde würden die westliche Wertegemeinschaft zusätzlich fordern.
Gleichzeitig, so Klöckner weiter, sei in vielen Demokratien ein Vertrauensverlust in die politischen Institutionen zu verzeichnen, „nicht zuletzt auch in Politikerinnen und Politiker und auch in die Europäische Union“. Dies dürfe nicht hingenommen werden, betonte sie. Vielmehr müsse daran gearbeitet werden, dass das Vertrauen wieder steigt.
Klöckner: Praktische Entscheidungen für die Menschen
„Die Europäische Union muss unter Beweis stellen, dass sie handlungsfähig ist“, forderte die Bundestagspräsidentin. Sie sollte „nicht nur gute Ideen für Bürokratie haben, sondern vereinfachen“. Es dürfe nicht nur um Theorie gehen. Gebraucht würden praktische Entscheidungen für die Menschen. Die Bürger erwarteten zurecht, dass die EU sie schütze und ihnen, wie auch ihren Kindern, Wohlstand ermögliche. Diese Aufgabe werde durch ein grundlegend verändertes internationales Umfeld erschwert.
Klöckner sprach das Thema Entbürokratisierung an. Es brauche Reformen. Verloren gegangenes Vertrauen müsse reflektiert und zurückgewonnen werden. Die europäische Idee dürfe jedoch nicht in Frage gestellt werden, betonte sie. Mit der heutigen Sitzung der DFPV werde ein neuer Anfang gemacht.
Deutsch-Französischer Parlamentspreis
Der neu ausgelobte Parlamentspreis, so Klöckner, sei ein wichtiges Zeichen der Anerkennung für jene Menschen, die mit großer Leidenschaft die deutsch-französische Freundschaft mit Leben erfüllen. „Die wahre Stärke unserer Partnerschaft liegt in unzähligen Begegnungen zwischen den Menschen, in den Schulpartnerschaften, den Städtepartnerschaften und auch beim gemeinsamen Essen und Trinken.“
Der seit 2004 vergebene Preis zeichnet künftig zivilgesellschaftliche Projekte aus, die zum besseren gegenseitigen Verständnis oder zur Stärkung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich beitragen. Besondere Berücksichtigung sollen dabei Projekte junger Menschen erfahren. Der Preis wird mit einem Preisgeld von bis zu 20.000 Euro dotiert. Im Rahmen einer Verleihung können bis zu zwei Projekte ausgezeichnet werden. Die neu gewählten Mitglieder des DFPV-Vorstands treffen als Jury die Entscheidung über die Vergabe.
Der Preis für das Jahr 2025 soll im Rahmen der zwölften Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung durch die Präsidentinnen des Bundestages und der Assemblée nationale feierlich verliehen werden. Bis dahin sollen aber nicht wieder anderthalb Jahre vergehen.
„Die Chemie stimmt“
Wirtschafts- und energiepolitisch ziehen Deutschland und Frankreich an einem Strang. Diesen Eindruck vermittelten die Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Katherina Reiche (CDU), sowie ihr französischer Amtskollege Marc Ferracci (Renaissance) während einer Anhörung im Anschluss an die Eröffnung der Versammlung. Beide Regierungen wollen weg von den fossilen Energien, hin zur Dekarbonisierung der Wirtschaft, wollen die Klimaziele erreichen, eine stabile Stromversorgung sichern und zugleich die Energiekosten wettbewerbsfähig gestalten. Selbst bei der Atompolitik, ewiger Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich, konnte Minister Ferraci keine grundlegenden Gegensätze erkennen.
Manchmal im Leben hat man Glück, weil man einen Partner finden, mit dem sofort die Chemie stimmt, lobte die neue Wirtschaftsministerin Reiche zu Beginn der Befragung durch die DFPV ihr Verhältnis zu Ferraci. Das sei besonders wichtig, da die deutsch-französischen Beziehungen tatsächlich eines Neustarts bedürfen, sagte Reiche unter Bezugnahme auf gleichlautende Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz aus der jüngsten Vergangenheit. Einen Neustart, bei dem die Entscheidungen der Partner akzeptiert werden, statt – wie in der Vergangenheit – die Differenzen beim Strommix öffentlich auszutragen.
Wettbewerbsfähige Energiepreise
Energieversorgungssicherheit, Energiesouveränität und Wettbewerbsfähigkeit, so Reiche, müssten europäisch gedacht werden. Sie seien Voraussetzung dafür, einen Wettbewerb, der global ausgebrochen sei, auch global bestehen zu können. „Wir müssen zeigen, dass Demokratien erfolgreicher sind als staatgelenkter Kapitalismus“, forderte sie. Ohne bezahlbare und sichere Energie gebe es keine geopolitische Resilienz, keine industrielle Handlungsfähigkeit und auch keine gesellschaftliche Stabilität.
Ziel Deutschlands wie auch Frankreichs sei es, die Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Dazu brauche es Energiepreise, die die Unternehmen in die Lage versetzen, wettbewerbsfähig zu produzieren, sagte die deutsche Ministerin. Ihr französischer Amtskollege ergänzte, es brauche einen Ausgleich für Industrien, die einen sehr hohen CO2-Preis zahlen.
Akzeptanz für den Weg des Partners
Mit Blick auf die Zukunftstechnologien gelte es, den jeweiligen Weg des Partners zu akzeptieren, befand Reiche. Das Ziel der Klimaneutralität eine Deutschland und Frankreich. „Es wird darauf ankommen, den besten Weg bei der Kombination des zur Verfügung stehenden Mixes zu finden“, sagte sie.
Haben Deutschland und Frankreich in der Nuklearpolitik entgegengesetzte Positionen? „Ich bin mir da gar nicht so sicher“, antwortete Minister Ferraci auf eine dahingehende Frage. Deutschland denke über kleine modulare Reaktoren nach – ebenso wie über Fusionstechnologien. „Das entspricht genau unseren Ausrichtungen“, so der französische Minister. Auch Frankreich wolle neue Reaktoren aufbauen. Es gebe also durchaus Elemente, „wo Diskussionen möglich sind“. Wichtig sei die Technologieoffenheit. Am Ende gehe es darum, die Klimaziele zu erreichen.
Reiche: Atomausstieg wird nicht revidiert
Katherina Reiche kam nicht umhin, nochmals deutlich zu machen, dass auch die aktuelle Bundesregierung zu dem beschlossenen Atomausstieg stehe. „Diese Entscheidung wird auch nicht revidiert.“ Gleichwohl spreche man über künftige Technologien, sagte Reiche und bestätigte insofern Ferraci.
Der wiederum erläuterte nochmals den „ausgewogenen Energiemix“ Frankreichs mit der Nuklearenergie und den Erneuerbaren Energien. Die Nuklearenergie sei wichtig für Frankreich, aber auch für das europäische System insgesamt. Damit sei ein steuerbares Stromangebot da, mit dem die Stabilität des Systems gesichert werden könne. Ferraci sprach von einer Entscheidung für die Souveränität. Keineswegs wolle man damit einen Widerspruch zu den Erneuerbaren Energien schaffen. Es gehe schlicht und einfach darum, einen Ausstieg aus den fossilen Energien zu schaffen. Das will auch Deutschland. Der Zubau der Erneuerbaren Energie müsse aber ergänzt werden durch Grundlast, sagte Reiche. Grundlastfähige Kraftwerke müssten einspringen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. „Wir gehen hier den Weg zunächst über Gaskraftwerke“, so die Ministerin. Infrage kämen aber auch andere Optionen wie Batterien, Wasserkraft oder Biomasse.
Aufarbeitung und Recycling sind ein großer Hebel
Ein großer Hebel ist für Reiche mit Blick auf die Rohstoffsouveränität die Aufarbeitung von Metallen und das Recycling. Sonst gerate man in Abhängigkeiten und sei erpressbar. „Es gibt so viel Rohstoff, der bereits in Gütern vorhanden ist“, gab sie zu bedenken. „Lassen Sie uns den Blick weiten, statt immer nur auf dem eine Unterschied herumzureiten“, sagte sie an die Abgeordneten gewandt. Und doch wurde noch ein Unterschied deutlich. Stichwort Handelsabkommen. Frankreich lehnt aktuell das EU-Mercosur-Abkommen mit Lateinamerika ab. Man sei für Multilateralismus, sagte Minister Ferraci. Gerade in der Landwirtschaft sei aber in dem Abkommen nicht ausreichend die Gegenseitigkeit gewährleistet.
Reiche machte deutlich, die Bundesregierung akzeptiere, dass Frankreich noch Fragen bei Mercosur habe, die innenpolitisch nicht einfach zu lösen seien. Festzustellen sei aber, dass die Spannungen mit den USA „uns plötzlich Wege eröffnen, mit anderen Regionen der Welt schneller zu Handelsabkommen zu kommen“. Diese Gelegenheit müsse beim Schopfe gepackt werden, sagte die Wirtschaftsministerin. (hau/16.06.2025)