Übergangsregelungen zur Einführung der E-Akte in der Justiz
Der Bundestag hat am Donnerstag, 9. Oktober 2025, in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung der Vorschriften über die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und über die allgemeine Beeidigung von Gerichtsdolmetschern sowie zur Änderung des Stiftungsregisterrechts“ (21/1852, 21/2461) beraten. Im Anschluss an die Aussprache wurde die Vorlage zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Federführend ist der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Zur Sicherung einer störungsfreien flächendeckenden Einführung der E-Akte soll für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine bis zum 1. Januar 2027 befristete Rechtsgrundlage (sogenannte „Opt-out“-Regelung) geschaffen werden, die es Bund und Ländern ermöglichen soll, im Verordnungswege ausnahmsweise auch nach dem 1. Januar 2026 die Anlage und Führung von Straf-, Bußgeld- und Zivilakten, Akten in Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie gerichtlichen Akten im Strafvollzugsverfahren „in Papierform“ zu gestatten.
Des Weiteren soll – ebenfalls befristet bis zum 1. Januar 2027 – „zur Vermeidung unverhältnismäßiger Digitalisierungsaufwände“ bei den Staatsanwaltschaften nur für den Bereich der Strafgerichtsbarkeit unmittelbar auf Gesetzesebene geregelt werden, dass die Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungsakten in Papierform anlegen können, „wenn polizeiseitig umfangreiche Ermittlungsvorgänge nicht in elektronischer Form übermittelt werden“.
Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung
Vereinfacht werden soll die Regelungssystematik für Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch in den Fachgerichtsbarkeiten. In den bereits nach derzeit geltender Gesetzeslage zulässigen Fällen der Fortführung von in Papierform angelegten (Alt-)Akten in Papierform oder der in diesen Fällen möglichen Hybridaktenführung (Fortführung einer in Papier angelegten Akte in elektronischer Form) soll mit den geplanten Änderungen auf Ebene des Gesetzesrechts ab dem 1. Januar 2026 auf den Bedarf einer näheren Ausgestaltung durch eine Rechtsverordnung und eine jeweils öffentlich bekanntzumachende Verwaltungsvorschrift als Voraussetzung verzichtet werden.
Zur Vermeidung von Kapazitätsengpässen bei der Abnahme staatlicher Dolmetscherprüfungen ist außerdem vorgesehen, dass die neue Fassung des Paragrafen 189 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes, die eine allgemeine Beeidigung nicht mehr nach landesrechtlichen Vorschriften, sondern nur noch nach dem Gerichtsdolmetschergesetz ermöglicht, erst zum 1. Januar 2028 in Kraft tritt. Damit sich ab dem 1. Januar 2028 auch Gebärdensprachdolmetscher auf einen allgemein geleisteten Eid nach dem Gerichtsdolmentschergesetz berufen können, soll der Anwendungsbereich des Gerichtsdolmetschergesetzes auf Gebärdensprachdolmetscher ausgeweitet werden.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme (21/2461)unter anderem rechtliche Klarstellungen zur Aktenführung und mehr Flexibilität bei der Umstellung auf die elektronische Form. Die Länder mahnen an, es müsse geprüft werden, „ob in allen Verfahrensordnungen Regelungen, die eine Revisibilität von Verstößen gegen Vorschriften über die Form der Aktenführung ausschließen, implementiert werden sollten“.
Die derzeit vorgesehene Struktur mit mehreren Ausnahmemöglichkeiten sei schwer zu durchdringen. Es bestehe „ein nicht zu vernachlässigendes Risiko, dass ein mit der Sache befasstes Gericht in einer (auch unbeabsichtigt) formfehlerhaften Aktenführung einen revisiblen Verfahrensverstoß begründet sieht. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit ist nicht akzeptabel“, heißt es in der Stellungnahme.
Umgang mit Verschlusssachen
Zudem bittet der Bundesrat um eine gesetzliche Klarstellung, dass die Entscheidung über die Papieraktenweiterführung und die Hybridaktenführung bei den jeweils zuständigen obersten Landesbehörden des Bundes oder der Länder liegt.
Auch im Umgang mit Verschlusssachen verlangt die Länderkammer Änderungen: Akten, die vertrauliche Dokumente ab der Geheimhaltungsstufe „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ enthalten, sollten vollständig in Papierform geführt werden dürfen, um Medienbrüche und Risiken für die Geheimhaltung zu vermeiden, fordert der Bundesrat. Bislang ist laut Bundesrat vorgesehen, dass ab 1. Januar 2026 auch Akten elektronisch zu führen sind, die Dokumente mit dem Geheimhaltungsgrad „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ enthalten.
Gegenäußerung der Bundesregierung
Die Bundesregierung weist die Forderung nach einem Ausschluss von Revisionsmöglichkeiten zurück. Die revisionsrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Aktenführung seien nach den bestehenden Vorschriften über die Revision in den jeweiligen Verfahrensordnungen zu beurteilen und dort gegebenenfalls auch unterschiedlich zu bewerten.
Die Schaffung eines Revisionsausschlussgrundes wäre zudem in allen Verfahrensordnungen, „aber insbesondere im Strafverfahren, systemwidrig, da grundsätzlich jeder Verfahrensfehler daraufhin zu überprüfen ist, ob das Urteil hierauf beruht. Revisionsausschlussgründe kennt das Strafverfahrensrecht nicht“, heißt es zur Begründung.
Denkbar wäre zwar, die Vorschriften über die elektronische Aktenführung ausdrücklich zu Ordnungsvorschriften zu erklären, indem sie als Sollvorschriften ausgestaltet würden. „Dies würde aber dem Ziel einer verbindlichen elektronischen Aktenführung im Interesse einer umfassenden Digitalisierung der Justiz zuwiderlaufen“, schreibt die Bundesregierung.
Aktenform als Verwaltungsermessen
Prüfungsbereit zeigt sich die Bundesregierung lediglich bei der vom Bundesrat geforderten Klärung, ob die Aktenform als Verwaltungsermessen festgeschrieben werden sollte. Sie hält zudem die vorgeschlagenen Änderungen zum Umgang mit Verschlusssachen für „erwägenswert“. Der Umfang der Ausnahmen sollte aber eng begrenzt bleiben. Die vorgeschlagenen Änderungen bedürften jedoch hinsichtlich ihrer Ausgestaltung einer weiteren Prüfung außerhalb des vorliegenden Gesetzgebungsvorhabens.
Abgelehnt hat die Bundesregierung die Anregung, Gebärdensprachdolmetscher dauerhaft auf einen allgemeinen Eid zu verweisen. Die geplante Ausweitung des Gerichtsdolmetschergesetzes diene der Vereinheitlichung von Standards. Der Vorschlag des Bundesrates, so die Bundesregierung, „würde dem Harmonisierungsziel der Richtlinie 2010/64/EU und der UN-Behindertenrechtskonvention zuwiderlaufen“. (hau/scr/30.10.2025)