Aenne Brauksiepe
Aenne Brauksiepe wurde 1968 die erste Familienministerin der Bundesrepublik und war für sechs Wahlperioden Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
Mit 37 Jahren gehört Aenne Brauksiepe nicht nur zu den jüngsten, sondern auch zu den politisch am wenigsten erfahrenen Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages. Gleichwohl hat sich die junge Hausfrau und Mutter vorgenommen, gerade die verheirateten Frauen davon zu überzeugen, gleichberechtigte Staatsbürgerinnen zu sein, auf deren Interesse und Engagement es in der jungen Demokratie ankommt. Ihr Einzug in den Deutschen Bundestag ist der Anfang einer bemerkenswerten politischen Karriere: 1968 wird sie die erste Familienministerin der Bundesrepublik.
Aenne Engels wurde 1912 in Duisburg geboren. Als die Frauen 1918 das Wahlrecht erlangten, kam sie gerade in die Schule. Die Eltern waren katholisch und standen der Zentrumspartei nahe. Sie wuchs wohlbehütet im Kreis einer großen Familie mit zahlreichen Onkeln und Tanten auf. Nach dem Abitur engagierte sie sich eine Zeitlang in der Behindertenfürsorge, bis die Eltern 1934 sie und ihre Schwester für einen längeren Aufenthalt nach Großbritannien fernab der nationalsozialistischen Beeinflussung schickten.
Mit fünfundzwanzig Jahren heiratete sie den Journalisten Dr. Werner Brauksiepe, der zu dieser Zeit Korrespondent der katholischen „Kölnischen Volkszeitung“ in Den Haag war. Sie folgte ihm in die Niederlande und betreute dort körperlich behinderte Kinder. Erst 1943 kehrte sie nach Duisburg zurück und brachte dort ihren Sohn zur Welt. Ihre große Familie bot ihr Rückhalt und Unterstützung, besonders in der Zeit, als ihr Mann zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Er kehrt erst 1946 heim.
Da hat Aenne Brauksiepe bereits ihre politische Karriere begonnen. Sie tritt der CDU bei und wird 1946 als einzige Frau in den Duisburger Stadtrat gewählt. Sie engagiert sich in der Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU und folgt nach wenigen Jahren Helene Weber als Präsidiumsmitglied im Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) nach. Und so ist es auch Helene Weber, die sie bereits 1948 Konrad Adenauer als Anwärterin für zukünftige politische Ämter empfiehlt.
Als Vertreterin eines Kölner Wahlkreises wird Aenne Brauksiepe 1949 Mitglied des Deutschen Bundestages, dem sie bis zum Ende der 6. Wahlperiode im Jahr 1972 angehören wird.
Die katholische Frauenvereinigung ist für sie nicht nur geistige Heimat, sondern zugleich ihre „Hausmacht“. Oft fährt sie abends nach langen Sitzungstagen im Bundestag gemeinsam mit Helene Weber von Bonn nach Köln in die Zentrale des Katholischen Frauenbundes; sie erinnert sich: „Alle Gesetze, die kamen, haben wir da erst vorinterpretiert und besprochen. Dann haben wir uns aufgeteilt und sind zu Vorträgen in die Zweigvereine gegangen. Damals war das wirklich eine Hausmacht für uns. (…) Für uns war das der Katholische Deutsche Frauenbund. Der stand mit ganzer Kraft hinter Helene Weber und auch hinter mir. Wir zogen übers Land und haben in den Zweigvereinen die Leute gefunden, die wir zur Übereinstimmung und als Multiplikatoren brauchten.“
Stets vertritt sie die Auffassung, dass sich Frauen jedes Themengebiet erschließen sollten, und wird auf ihr Drängen hin 1952 Mitglied des Wohnungsbauausschusses. Ebenso ungewohnt ist es, dass sie im selben Jahr bei ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag als Frau zur Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages spricht. Sie betont ausdrücklich, keine Sicherheitsexpertin zu sein und stellt vielmehr ihre persönlichen Kriegserfahrungen als Hausfrau und Mutter in das Zentrum ihrer Rede. „Wenn ich in diesem Augenblick diese meine Meinung zur Opferbereitschaft, zum Frieden zum Ausdruck bringe, dann als eine Frau, die in einer Stadt gewählt wurde, die zu den schwerst heimgesuchten Orten dieses Landes gehört, dann als eine Frau, die die Endphase des wahnwitzigen totalen Krieges im Ruhrkessel erlebt hat. Der totale Krieg bedeutet ja heute für die Frau nicht mehr nur, dass sie als Frau und Mutter getroffen wird, d.h. dass sie ihren Sohn oder Mann verliert; im totalen Krieg wird sie selber preisgegeben. Ich sage das als eine Frau, die monatelang gewartet hat, bis sie ihren anfänglich vermissten Mann fand. (…) Weil mich das zutiefst erfüllt, weil mich das bis in mein Innerstes bewegt, stehe ich hier auf und bringe diesen winzigen Beitrag der Frau zum Gespräch der Männer.“ Mit dieser Rede erreicht sie die vielen Frauen, die sich nicht für Politik und nach den schrecklichen Kriegserfahrungen schon gar nicht für Verteidigungspolitik interessieren. Unter dem Titel „Eine Frau spricht gegen die Angst“ wird ein Auszug ihrer Rede als Broschüre veröffentlicht. Im darauffolgenden Jahr wird sie wieder in den Deutschen Bundestag gewählt.
1964 steigt sie zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU auf, und als erste Frau 1966 ins Parteipräsidium der CDU. In diesen Jahren wird Aenne Brauksiepe nicht nur in der Partei, sondern auch in den verschiedenen katholischen Frauenorganisationen zur Führungsperson. Sie zeigt, wie eine katholische Politikerin Mandat und Familie verbinden kann und widerspricht somit damals gängigen Rollenbildern – nicht zuletzt in ihrer eigenen Partei. Zugleich wird sie zum Vorbild für junge weibliche Abgeordnete und gibt ihnen – im Wortsinn – Raum: als stellvertretende Fraktionsvorsitzende steht ihr nun ein eigenes Arbeitszimmer zu, das bald zum Treffpunkt wird. Hier entstehen viele Freundschaften, die über die Zeit ihrer Abgeordnetentätigkeit hinaus Bestand haben.
Bereits 1965 stellt Aenne Brauksiepe in der Begründung eines Antrags der CDU/CSU-Fraktion zur Rückkehr der Frau in das Berufsleben einen Stufenplan vor. Als sie drei Jahre später - im letzten Jahr der Großen Koalition von Union und SPD - die erste Bundesministerin für Familie und Jugend wird, wirbt sie erneut für Maßnahmen, die verheirateten Frauen die Berufstätigkeit erleichtern sollen. Nach der Bundestagswahl 1969 erhält sie zum letzten Mal ein Mandat für den Deutschen Bundestag, aber nach dem Regierungswechsel kein Amt mehr als Ministerin. Im selben Jahr wird sie mit dem Großkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Am 13. Januar 1997 wird die Verstorbene mit einem Trauerstaatsakt in ihrem Heimatort Oelde gewürdigt, wo sie seit den 1950er Jahren zuhause war.
(he)
Der Text ist entnommen aus dem Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, erschienen im Ch. Links Verlag, 2024.
Zum Weiterlesen:
Brigitte Kaff, Aenne Brauksiepe (1912 – 1997), in: Jürgen Aretz u.a. (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 9, Münster 1999, S. 276 – 289.