Parlament

Frieda Nadig

Schwarz-weiß Porträtfoto von Frieda Nadig (SPD), 1897 bis 1970

(© Handbuch des Deutschen Bundestags, hg. Von Fritz Sänger und Bundestagsverwaltung, 1. Wahlperiode 1949/53, 2. Auflage)

Im Parlamentarischen Rat war sie eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“. Bis 1961 setzte sich Nadig als direkt gewähltes Mitglied u.a. für das Gleichberechtigungsgesetz ein.

In Herford, dem Geburtsort von Friederike „Frieda“ Nadig, erinnert seit 2021 ein ungewöhnliches Denkmal an das Wirken dieser herausragenden Abgeordneten der ersten Stunde: Eine in das Pflaster vor dem Rathaus eingelassene goldene Plastik, angelehnt an die Bodenplatte von Rodins berühmter Skulptur „Bürger von Calais“, flach und ohne figurative Gestaltung. Das Denkmal, das ausdrücklich auch betreten werden darf, hebt Frieda Nadig nicht auf den Sockel. Die demokratische Offenheit des Kunstwerks, die zulässt, dass sich darauf präsentiert, wer mag, hätte Frieda Nadig wohl gefallen. Ihr zurückhaltendes Naturell – manche sprechen auch von einer gewissen Unnahbarkeit – darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie über ein hohes Maß an Willen und Durchsetzungsstärke verfügt: Als Nadig als eine von vier Frauen am 1. September 1948 in dem zum Sitzungsort umfunktionierten Naturkunde-Museum Koenig der Konstituierung des Parlamentarischen Rates beiwohnt, ist sie nicht nur von ausgestopften Giraffen und anderen Vierbeinern umgeben. Unter den Anwesenden befinden sich auch politische Alphatiere. Die Auseinandersetzung mit den 73 männlichen Kollegen (mit Nachrückern) wird Frieda Nadig nicht scheuen. „Im Parlamentarischen Rat ist die deutsche Frau zahlenmäßig viel zu gering vertreten“, moniert sie öffentlich. Das Grundgesetz müsse aber den Willen der Staatsbürger, die überwiegend Frauen seien, widerspiegeln.

Geboren wurde Frieda Nadig am 11. Dezember 1897 in ein sozialdemokratisch geprägtes Elternhaus hinein. Die Mutter war Näherin, ihr Vater, ein Tischler, von 1919 bis 1931 SPD-Abgeordneter im preußischen Landtag. Für Frieda ist der Vater Vorbild; sie selbst trat 1913 in die Sozialistische Arbeiterjugend ein, wurde 1914 Mitglied in der Sozialistischen Angestelltengewerkschaft und zwei Jahre später Parteimitglied. Nach der Volksschule hatte sie zunächst eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und als Verkäuferin gearbeitet, um in der Weimarer Republik an der Sozialen Frauenschule Berlin ein Staatsexamen als Wohlfahrtspflegerin nachzulegen – mit dem Schwerpunkt Jugendwohlfahrt. Es wird zu einem Lebensthema für sie. Ehrungen noch zu Lebenszeiten betonen gegenüber der Politikerin und Abgeordneten vor allem dieses gesellschaftliche Wirken, dessen ideelle Grundlage sie selbst so in Worte fasste: „Es gibt in der Arbeiterwohlfahrt nur ein wir – kein ich.“

Zitat: Meine Herren und Damen! In dem Artikel 3 des Grundgesetzes ist verfassungsmäßig die Gleichstellung von Mann und Frau verankert. Damit hat endlich die Frau die volle rechtliche Mündigkeit erhalten. Ein langer Kampf ist hier vorausgegangen.

(© DBT)

Mit der Machtübertragung an Hitler 1933 und der beginnenden nationalsozialistischen Gleichschaltung auch der Wohlfahrtspflege wurde Nadig umgehend aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Ihr Widerspruch blieb erfolglos, den neuen Machthabern galt sie als „politisch unzuverlässig“. Seit 1930 hatte sie für die SPD dem Westfälischen Provinziallandtag angehört, wo sie sich – entsprechend ihrer Praxiskenntnisse – vor allem in den Fürsorge- und Wohlfahrtsausschüssen hervortat. Erst nach Jahren der Erwerbslosigkeit gelang ihr im Kreis Ahrweiler ein beruflicher Neuanfang als Wohlfahrtspflegerin.

An ihre politischen Interessen knüpft Nadig unmittelbar nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft an. Zunächst im Zonenbeirat für die Britische Zone, dann im Nordrhein-Westfälischen Landtag will sie den demokratischen Neuanfang aktiv mitgestalten. 1948 wird sie in den Parlamentarischen Rat nach Bonn entsendet, wo sie es ist, die den schlichten, von ihrer Parteigenossin Elisabeth Selbert initiierten Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in die Verhandlungen einbringt. Nadig ist zwar anfänglich selbst skeptisch, da sie weiß, dass der neue Grundgesetzartikel umfängliche Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch nach sich ziehen muss. Selbert jedoch überzeugt sie, und als es in Bonn auf eine Formulierung hinauszulaufen droht, die weiter Ausnahmebestimmungen gegen Frauen ermöglichen würde, organisiert sie mit Elisabeth Selbert einen ersten außerparlamentarischen Proteststurm. Eingaben von Verbänden, Kommunen, Betriebsräten fluten den Parlamentarischen Rat – und sorgen mit für die entscheidende Wende.

Mit dem ihr zugeschriebenen „ausgeprägten Wirklichkeitssinn“ macht sich Nadig als Bundestagsabgeordnete umgehend daran, das Postulat auch umzusetzen. „Die große Aufgabe, ein lang geübtes Unrecht gegenüber der Frau wiedergutzumachen, hat jetzt dieses Hohe Haus. Sie, meine Herren und Damen, können das Gemeinschaftsleben auf eine höhere Ebene heben“, ruft sie ihren Abgeordnetenkollegen im Deutschen Bundestag zu, dem sie bis 1961 – stets direkt gewählt – angehört. Bereits ihr erster Redebeitrag widmet sich zur Durchsetzung des Gleichberechtigungsartikels der Anpassung der bestehenden Gesetzeslage. Die lässt lange auf sich warten. In unzähligen Ausschusssitzungen kämpft Frieda Nadig beharrlich für ihre Sache, dabei immer auch mit dem Vorwurf konfrontiert, doch nicht für die Frauen insgesamt sprechen zu können. Nicht alles, was sie politisch anstrebt, kann sie erreichen, insbesondere in der Frage der Lohngleichheit, für die sie bereits im Parlamentarischen Rat leidenschaftlich streitet, stößt sie an Grenzen. Und auch wenn uneheliche Kinder, für die sie in der Nachkriegsgesellschaft nachdrücklich eintritt, nicht explizit mit ehelichen Kindern gleichgestellt werden, setzt sie immerhin durch, dass ihre Rechte grundgesetzlich verankert werden. 

Ihren Blick richtet Nadig auch über den nationalen Tellerrand. Eine parlamentarische Reise führt sie 1953 in die USA, und auf Einladung einer Moskauer Frauenzeitschrift besucht sie auch die Sowjetunion. Im westfälischen Wahlkreis berichtet sie anschaulich von ihren Eindrücken. Verheiratet war sie nie. Für die Wahl des vierten Bundestages wird die 63jährige Frieda Nadig nach einem innerparteilichen Machtkampf nicht mehr aufgestellt. Am 14. August 1970, im Alter von 73 Jahren, verstirbt mit ihr eine von nur vier Frauen, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mitverfasst haben. „Nun merkt‘s Euch gefälligst!“, echauffierte sich in einer Zuschrift eine aufmerksame Leserin des „Spiegel“ über die zuvor verbreitete „Mär von den Verfassungsvätern“. Das war 1981, und es sollte noch dauern, bis sich mit der Rede von den „Müttern und Vätern des Grundgesetzes“ die historische Wahrheit durchgesetzt hatte.

(hs)

Der Text ist entnommen aus dem Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, erschienen im Ch. Links Verlag, 2024.

Zum Weiterlesen:

Gisela Notz: Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49 bis 1957, Bonn 2003, S. 54-79.

Bärbel Sunderbrink: Frauen in der Bielefelder Geschichte, Bielefeld 2010, S. 223-231.

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