Parlament

Louise Schroeder

Schwarz-weiß Porträtfoto von Louise Schroeder (SPD), 1887 bis 1957

(© Handbuch des Deutschen Bundestags, hg. Von Fritz Sänger und Bundestagsverwaltung, 1. Wahlperiode 1949/53, 2. Auflage)

Louise Schroeder war die erste Oberbürgermeisterin Berlins und brachte bereits 1920 in der Weimarer Nationalversammlung das erste Mutterschutzgesetz in Deutschland ein, die nach ihr benannte „Lex Schroeder“. Bis 1957 gehörte sie dem Deutschen Bundestag an.

Früh erlebte Louise Schroeder, was Armut ist: Von den acht Kindern, die ihre Mutter geboren hatte, überlebten vier; sie war das jüngste. Der Vater war Bauarbeiter und aktives Mitglied der SPD. Die Mutter betrieb einen kleinen Gemischtwarenladen. Hier begegnete das junge Mädchen zum ersten Mal der Lebenswelt armer Frauen, die oftmals ihre Kinder alleine ernähren mussten. Die finanziellen Möglichkeiten der Familie reichten nicht aus, der wissbegierigen Schülerin eine höhere Schulbildung zu ermöglichen. So verließ sie mit fünfzehn Jahren Altona, um in Hamburg – zunächst als Stenotypistin und später als Chefsekretärin in einer Versicherungsgesellschaft – ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. 

Bald nachdem politische Parteien Frauen aufnehmen durften, wurde Louise Schroeder 1910 Mitglied der SPD. Mit der Strebsamkeit, die sie im Beruf auszeichnete, übernahm sie von nun an immer anspruchsvollere politische Ämter. Noch während des Ersten Weltkriegs wurde sie Vorstandsmitglied der SPD in ihrem Heimatort Altona. Bei Kriegsende gab sie ihre Tätigkeit bei der Versicherungsgesellschaft in Hamburg auf, wurde Mitglied im Altonaer Stadtparlament und einige Jahre später zudem Leiterin des örtlichen Fürsorgeamtes. Die Not war entsetzlich: viele Männer waren getötet worden und ihre Frauen mit den Kindern allein zurückgeblieben. Als Marie Juchacz, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verband, die Arbeiterwohlfahrt gründete, engagierte sie sich dort ebenfalls und wurde Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein. Lebenslang blieb es ihr größtes Anliegen, die rechtliche und soziale Lage der Frauen, insbesondere unverheirateter Mütter und ihrer Kinder zu verbessern.

Zitat: „Wenn ich als Frau eine besondere Aufgabe erfüllen konnte, so war es die, die Menschen einander näher zu bringen, ihre Abneigung gegen die Diktatur zu stärken und ihnen zu helfen, soweit das möglich war ...“

(© DBT)

1918 fehlten in der Politik die Männer, um Ämter zu übernehmen; zudem sahen sich nun gerade die Sozialdemokraten in der Pflicht, den Frauen nach Einführung des lange geforderten aktiven und passiven Wahlrechts Plätze einzuräumen. Louise Schroeder hatte gerade ihre erste Rede gehalten, die von einer älteren Parteigenossin nicht sehr ermutigend kommentiert worden war: „Na – wenn dat man wat ward!“ Dennoch wurde ihr nun die Kandidatur für die Verfassunggebende Nationalversammlung angetragen, und nach einem engagierten Wahlkampf gehörte Louise Schroeder – ebenso wie ihre Freundin Marie Juchacz – der Weimarer Nationalversammlung an, von 1920 an auch dem ersten Reichstag. Im selben Jahr verabschiedete das Parlament das erste Mutterschutzgesetz – seitdem bekannt als „Lex Schroeder“. Die Gleichbehandlung unehelicher Kinder, die Situation lediger Mütter, die Lage von Prostituierten oder das Recht unverheirateter Frauen auf Sexualität galten als heikle Themen, und es brauchte Mut, sich öffentlich für sie einzusetzen. Schon früh warnte Louise Schroeder vor dem stärker werdenden Antisemitismus und vor Hitlers frauenverachtender Haltung. Temperamentvoll forderte sie die Mitglieder ihrer Fraktion auf, gegen das „Ermächtigungsgesetz“ zu stimmen: „Ich werde –nein– sagen, auch wenn sie uns in Stücke reißen sollten.“ Im Februar 1933 wurde der Reichstag aufgelöst. Da sie nun auch nicht mehr als Dozentin arbeiten durfte, eröffnete sie in Hamburg einen Bäckerladen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und wieder in der Nähe ihrer hochbetagten Mutter zu sein. Sie wurde polizeilich überwacht, und immer wieder gab es Hausdurchsuchungen. Als die Mutter starb, zog sie zurück nach Berlin, arbeitete in einer Baufirma und nahm an heimlichen Treffen mit Parteifreunden teil. 

Nach Kriegsende geht es ihr gesundheitlich schlecht, dennoch entscheidet sie sich nach Berlin zu gehen, „denn die Verhältnisse in Berlin waren zu schwer, als dass man daran hätte denken können, sich persönlich etwas Schonung aufzuerlegen“, wie sie selbst es formuliert. 1946 wird sie zu einer der drei Bürgermeister von Berlin gewählt. Im folgenden kalten Winter wird die Not im zerstörten Berlin durch den nicht abreißenden Zustrom zahlloser Flüchtlinge immer größer. Die Sowjetunion legt im Alliierten Kontrollrat ihr Veto gegen die Wahl Ernst Reuters zum Oberbürgermeister ein, und so erklärt sich Louise Schroeder bereit, das Amt für eine Übergangszeit zu übernehmen. Sie ist die erste Chefin einer Landesregierung, als die Berlin-Blockade beginnt. Bei der Kundgebung zum Ende der Blockade am 12. Mai 1949 skandiert die Menschenmenge so lange „Lou-i-se“ – „Lou-i-se!“-Rufe, bis sie endlich reden darf. Sie dankt den Berlinerinnen und Berlinern,  stellt aber zugleich eine Forderung für den politischen Wiederaufbau: „Frauen arbeiten seit vier Jahren an der Aufräumung Berlins. Wir Frauen wollen in Zukunft nicht nur in physischer Arbeit, sondern in geistiger Arbeit mit unseren Männern zusammen diese Stadt wieder aufbauen.“ 

Wenige Monate später gehört sie als entsandte Berliner Abgeordnete dem ersten Deutschen Bundestag an. Augenblicklich verebbt die Unruhe im Plenum, als „Frau Abgeordnete Schroeder“ am 30. September 1949 die Debatte um die Hilfsmaßnahmen für Berlin eröffnet. Die kleine grauhaarige Frau genießt großen Respekt, denn sie hat sich nicht nur als Landeschefin während der Berlin-Blockade große Zuneigung in der Stadt und international hohes Ansehen erworben, sie ist eine Parlamentarierin der ersten Stunde: in Weimar nach Ende des Ersten Weltkrieges, in Berlin nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nun in Bonn nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Viele soziale Missstände und Vorurteile gibt es immer noch: die Debatte um das Mutterschutzgesetz vergleicht sie mit den 25 Jahre zuvor geführten Reichstagsdebatten, und als es um die Einführung des Kindergeldes geht, erntet sie „lebhafte Zurufe“, als sie das Recht unverheirateter Frauen auf Mutterschaft erwähnt. Trotz ihrer stark angegriffenen Gesundheit nimmt sie noch im Januar 1957 an den Debatten zur Rentenreform teil: „Wenn es hier um die Rente der Alten und Arbeitsunfähigen geht, kann ich doch nicht fehlen!“ Sie erleidet während der Plenardebatte einen schweren Herzanfall, von dem sie sich nicht wieder erholt. Am 4. Juni 1957 stirbt Louise Schroeder in Berlin. Im Rahmen eines Staatsbegräbnisses wird ihre Urne von Berlin nach Hamburg überführt. Tausende begleiten den Trauerzug; auch auf dem Weg durch die DDR gibt es immer wieder Gesten der Achtung vor der Verstorbenen. 

(he)

Der Text ist entnommen aus dem Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, erschienen im Ch. Links Verlag, 2024.

Zum Weiterlesen:

Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin (Hrsg.), Louise Schroeder 1887-1957, Berlin, 2017.

Antje Dertinger, Frauen der ersten Stunde, Bonn 1989, S. 167-178.

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