Hilfen bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt (Drucksachen 20/14025 und 20/14785 a)
Der Bundestag hat am Freitag, 31. Januar 2025, zwei Initiativen zum Gewaltschutz verabschiedet. Dabei handelte es sich zum einen um den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ (20/13183, 20/14797) und zum anderen um ein von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachtes Gesetz „für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“ (20/14025, 20/14798).
Die erste Initiative wurde einstimmig beschlossen. Das zweite Gesetz wurde in namentlichen Abstimmung mit 390 Stimmen verabschiedet. Es gab keine Gegenstimme und 70 Enthaltungen. Zu beiden Abstimmungen lagen Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor (20/14784, 20/14785 Buchstabe a). Der Ausschuss hatte im parlamentarischen Verfahren an beiden Entwürfen noch zahlreiche Änderungen vorgenommen. Mehrere Initiativen der Opposition fanden keine Mehrheit im Parlament.
Hilfen bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen soll der Schutz von Minderjährigen vor sexuellem Missbrauch verbessert werden. Strukturen, die dazu beitragen, sexuelle Gewalt zu verhindern, will die Bundesregierung stärken. Zum einen durch eine vom Parlament gewählte Person als Unabhängige Bundesbeauftragte oder Unabhängiger Bundesbeauftragter, zum anderen durch einen dort angesiedelten Betroffenenrat und eine Unabhängige Aufarbeitungskommission.
Bundesbeauftragte und Aufarbeitungskommission sollen der Neuregelung entsprechend künftig regelmäßig über das Ausmaß sexuellen Kindesmissbrauchs und den aktuellen Stand zu Schutz, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung in Deutschland berichten, damit zielgerichteter gehandelt werden kann.
Gesetzentwurf von SPD und Grünen
Mit dem Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sollen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt künftig besser unterstützt werden. Das Gesetz zielt auf ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, auf das verschiedene Verbände schon länger gedrungen hatten. Die Fraktionen beziehen sich in dem Entwurf auf aktuelle Zahlen: „In Deutschland werden laut Lagebild Häusliche Gewalt des Bundeskriminalamtes (Berichtsjahr 2023) jeden Tag mehr als 364 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, das heißt von strafbaren Gewalthandlungen durch ihren aktuellen oder früheren Lebenspartner. Im Jahr 2023 ist nahezu jeden zweiten Tag eine Frau durch Partnerschaftsgewalt gestorben. Das 'Lagebild Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten' des Bundeskriminalamtes weist für das Jahr 2023 insgesamt 938 Frauen und Mädchen als Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten aus.“
Das Angebot an Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen sei nicht flächendeckend und regional sehr unterschiedlich ausgeprägt, hieß es zur Begründung in dem Entwurf. Auch würden Kapazitäten in Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen fehlen. Darüber hinaus verhinderten fehlende passgenaue Angebote für Menschen mit besonderen Bedarfen, wie zum Beispiel Frauen mit Behinderungen oder Frauen mit (mehreren) Kindern oder jugendlichen Söhnen den Zugang zu Schutz- und Beratungsangeboten.
Hauptelement des Gesetzes ist die Absicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung der gewaltbetroffenen Person. Dies soll über die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung bei Gewaltbetroffenheit gesichert werden. Die Länder werden verpflichtet, ein Netz an zahlenmäßig ausreichenden und den Bedarf verschiedener Personengruppen berücksichtigenden Schutz- und Beratungsangeboten sicherzustellen. Deshalb sollen die Länder in einem ersten Schritt den tatsächlichen Bedarf an Schutz- und Beratungsangeboten in angemessener geografischer Verteilung analysieren und die Entwicklung des Netzes an Schutz- und Beratungsangeboten planen.
Gesetzentwurf der Union
Die Fraktion der CDU/CSU fand mit ihrem Entwurf eines Gesetzes „zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze - Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen“ (20/12085) gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke keine Mehrheit im Parlament.
In ihrem Entwurf hieß es, der Staat habe die Verpflichtung, die verletzlichen Personen - neben Kindern insbesondere auch Frauen und Senioren sowie Menschen mit Behinderung - besonders zu schützen. Der aktuelle Rechtszustand wurde als unbefriedigend empfunden. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verrohung, die ein immer größer werdendes gesellschaftliches Problem darstelle, und eines Anstiegs von Gewaltkriminalität sollte der Vorlage zufolge bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord als neues Qualifikations- beziehungsweise Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eingefügt werden. Damit sollten künftig Gewalttaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen bestraft werden, hieß es zur Begründung. Zudem sollte Paragraf 211 Strafgesetzbuch (StGB) (Mord) sprachlich angepasst werden. Für Gruppenvergewaltigungen solle der Strafrahmen erhöht werden. Die gemeinschaftliche Tatbegehung nach Paragraf 177 StGB sollte von Absatz 6 in Absatz 7 beziehungsweise im Fall der Vergewaltigung in Absatz 8 verschoben werden, womit derartige Tate künftig eine Mindeststrafe von drei beziehungsweise fünf Jahren gehabt hätten.
Weitere Anpassungen betrafen die ungewollte Schwangerschaft als Tatfolge und die Körperverletzung gemäß Paragraf 223. Körperverletzungen mittels einer Waffe oder eines Messers beziehungsweise mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung sollten künftig als Verbrechen geahndet werden, und der Strafrahmen sollte auf ein Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe angehoben werden. Die Abstimmung über den Entwurf erfolgte auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Familienausschusses (20/14811). Die AfD enthielt sich bei der Abstimmung.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion forderte die Bundesregierung in einem Antrag auf, eine unabhängige Aufarbeitungskommission unter dem Vorsitz des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) einzurichten und gesetzlich zu verankern (20/6086). Hintergrund des Antrags, der bei allen übrigen Fraktionen auf Ablehnung stieß, seien unter anderem die Missbrauchsfälle in Kirchen und anderen gesellschaftlichen Institutionen, hieß es. Mit ihrer Forderung bezog sich die Fraktion auf einen Vorschlag des UBSKM. Wie die Fraktion zur Begründung ausführte, dürfe der Staat aufgrund seiner Fürsorgepflicht nicht allein darauf bauen, „dass in Kirchen und anderen Institutionen eine Selbstaufklärung stattfindet, sondern er hat die Aufklärungsprozesse aktiv zu fördern“.
Ferner forderten die Abgeordneten die Bundesregierung auf, „zu prüfen, auf welche Weise rechtskonform im deutschen Strafrecht normiert werden kann, dass Amtsträger, Leitungspersonal und Mitarbeiter, die davon erfahren, dass in ihrer Institution sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen stattfindet, verpflichtet sind, hierüber unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden in Kenntnis zu setzen“. Auch zu dieser Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Familienausschusses vor (20/10475).
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion forderte in einem Antrag (20/14029) einen besseren Schutz von Frauen vor Gewalt, unter anderem durch mehr Plätze in Frauenhäusern und eine Stärkung der Prävention. Das aktuelle BKA-Lagebild spreche auch bei dem Punkt „Häusliche Gewalt“ eine klare Sprache, schrieben die Abgeordneten. Demnach waren 2023 insgesamt 256.276 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt, davon 70,5 Prozent Frauen. Zugleich ging in rund 75 Prozent der Fälle die Gewalt von Männern aus. In Deutschland gebe es aktuell 400 Frauenhäuser mit rund 7.700 Plätzen. Expertinnen und Experten hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass es für eine ausreichende, flächendeckende und dem Bedarf entsprechende Versorgung mindestens 14.400 zusätzliche Plätze in Frauenhäusern brauche, so die Liberalen. Im Jahr 2023 seien laut der bundesweiten Frauenhausstatistik knapp 16.300 Frauen aus Platzmangel abgewiesen worden. „Daher bedarf es eines bundesweit einheitlichen Finanzierungsrahmens von Bund, Ländern und Gemeinden, der eine ausreichende und finanziell abgesicherte Versorgung mit Frauenhausplätzen sowie einen niedrigschwelligen Zugang für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern sicherstellt.“
Die Abgeordneten verlangten von der Bundesregierung, „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ unter anderem dafür zu sorgen, dass mit den Ländern ein nationales Online-Register zur Registrierung und Abfrage von freien Frauenhausplätzen zur Verfügung gestellt wird, um eine niedrigschwellige und schnelle Inanspruchnahme zu unterstützen. Die Istanbul-Konvention und die daraus entstehenden Verpflichtungen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt müsse die Bundesregierung nachkommen. Auch die Bedarfe von Unterstützungsangeboten und Schutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Männer sollten eruiert und erforderliche Maßnahmen daraus abgeleitet werden. Die Fraktion forderte außerdem einen neuen Bund-Länder-Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen. Die Regierung müsse sich gegenüber den Ländern ferner dafür stark machen, dass digitale Gewalt in all ihren Erscheinungsformen Gegenstand des Informatik- und Medienunterrichts an Schulen sowie von öffentlich geförderten Medieninitiaitven wie „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht“ wird. Der Antrag wurde mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der AfD und der Gruppe Die Linke abgelehnt (20/14785 Buchstabe b).
Antrag der Linken
Auch Die Gruppe Die Linke wollte Frauen besser vor Gewalt schützen. In einem entsprechenden Antrag (20/13739) kritisierten die Abgeordneten, dass eine umfassende Erhebung zum Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt, die alle Formen von Gewalt, auch digitale Gewalt, gegen Frauen und Mädchen in Deutschland umfasst, nicht existiere. „Ein vollständiges Lagebild ist aufgrund fehlender Daten seit Jahren nicht möglich, obwohl Deutschland spätestens seit der Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) am 1. Februar 2018 dazu verpflichtet ist.“
Die Abgeordneten verlangten unter anderem, unverzüglich einen Gesetzentwurf für ein „Gewalthilfegesetz“ vorzulegen, der mit einer Regelfinanzierung durch den Bund einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen und eine verlässliche Finanzierung des Hilfesystems garantiert und entsprechend der Istanbul-Konvention die Anzahl der Beratungsstellen und Frauenhausplätze (ein Platz auf 7.500 Einwohner) erhöht. Auch sollte die Regierung einen wirksamen nationalen Aktionsplan vorlegen, der eine allgemein gültige Definitionen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt enthält und bundesweite Ziele zur Umsetzung der Konvention setzt, die die Rechte der Opfer in den Mittelpunkt stellen und der alle Formen von Gewalt gegen Frauen beachtet. Der Antrag wurde mit allen übrigen Stimmen des Hauses abgelehnt (20/14785 Buchstabe b). (scr/che/ste/irs/hau/31.01.2025)