12.02.2020 | Parlament

Rede von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble bei der Kranzniederlegung am Holocaust-Mahnmal mit dem Präsidenten der Knesseth Yuli Yoel Edelstein

[Es gilt das gesprochene Wort]

Mr. Speaker, lieber Yuli Yoel,

es bewegt mich sehr, mit Ihnen als Sohn von Überlebenden des Holocaust gemeinsam der Millionen ermordeten Juden Europas zu gedenken. Es ist eine Geste großen Vertrauens zu unserem Staat. Ihre Anwesenheit als Sprecher der Knesset drückt die besonderen Beziehungen zwischen unseren Ländern aus. Sie konnten über den Abgründen unserer Geschichte überhaupt nur wachsen, weil wir Deutsche uns zur Schuld, die unser Land trägt, bekannt haben. Und weil wir im Bewusstsein dieser historischen Schuld Verantwortung in unserer Gegenwart übernehmen – für die Juden in unserem Land, für den Staat Israel. 
Auf schmerzhafte Weise sind unsere Länder miteinander verbunden: 
„Nie wieder Opfer werden!“ Diese Verpflichtung hat sich Israel bei seiner Gründung auferlegt. 
„Nie wieder solche Taten zuzulassen!“ Diese Verpflichtung ist Teil unseres Selbstverständnisses.
Dazu gehört, diejenigen nicht zu vergessen, die ermordet wurden: Väter, Mütter und Kinder, Brüder und Schwestern, Freunde und Nachbarn. „Ist das ein Mensch?“, hatte Primo Levi seine Autobiografie überschrieben, nach der Erfahrung, dass ein Mensch dem anderen sein Menschsein absprechen kann. Dass die menschliche Würde so verletzlich ist. Die Opfer waren Menschen aus unserer Mitte – das verdeutlichen eindringlich die zahllosen Stolpersteine, die bundesweit vor Wohnhäusern davon erzählen, dass hier Menschen aus ihren Wohnungen geprügelt wurden, um sie in die Vernichtungslager zu deportieren.
Dieses Mahnmal ist im übertragenen Sinne ein großer Stolperstein, ein Ort, der inmitten der deutschen Hauptstadt, am Brandenburger Tor als Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt und in Sichtweite des Deutschen Bundestages, unsere bleibende Verantwortung sichtbar macht, niemals zu vergessen. 
Dass dieser Ort nicht allein dazu dient, die Opfer zu ehren, ihnen im „Raum der Namen“ Gesicht, Biografie und Würde zurückzugeben, sondern dass es diesen Ort als sichtbares Zeichen braucht, um die Lehren von Auschwitz präsent zu halten, ist eigentlich beschämend. Aber die Gegner der Erinnerung, die Relativierer und Leugner, sind noch immer unter uns, sie werden sogar lauter. Sie sind trotzdem in der Minderheit – und sie werden dann immer eine marginalisierte Minderheit bleiben, wenn die Demokraten ihre Verantwortung wahrnehmen. Es ist nicht die Stärke ihrer Gegner, die die Demokratien gefährden, es sind die eigene Schwäche und Verantwortungslosigkeit von Demokraten. Auch daran erinnert dieses Denkmal. Und diese Mahnung nehmen wir ernst.
Dass wir Deutsche den Kampf für die Demokratie und ihre Werte heute mit Israelis gemeinsam führen, erfüllt uns gerade im Angesicht dieses Mahnmals mit großer Demut. 

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