Laudatio von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf Joachim Gauck beim 50. Jubiläum des Aspen Instituts Deutschland
[Es gilt das gesprochene Wort]
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
lieber Joachim Gauck,
sehr geehrte Frau Dr. Mildner,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
sehr geehrter Herr von Klaeden,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir feiern heute den 50. Geburtstag des Aspen Institutes Deutschland – herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
Und wir feiern eine besondere Persönlichkeit: Joachim Gauck!
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Aspen Institute Deutschland wurde mitten im Kalten Krieg gegründet.
Als eine transatlantische Denkfabrik der Freiheit.
In West-Berlin – der „Frontstadt“ der Blockkonfrontation.
Blicken wir zurück auf das Jahr 1974:
Die deutsche Teilung scheint zementiert.
In Bonn und Ost-Berlin entstehen „Ständige Vertretungen“ des jeweils anderen deutschen Staates.
Die USA nehmen offiziell diplomatische Beziehungen zu Ost-Berlin auf.
Aus der Verfassung der DDR verschwindet das Ziel der „Vereinigung beider deutscher Staaten“.
Das Autokennzeichen „DDR“ wird eingeführt – als Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins.
Lieber Joachim Gauck,
Sie waren im Jahr 1974 evangelischer Pfarrer in Rostock-Evershagen, einer tristen Plattenbausiedlung.
Aus dem Nichts schufen Sie dort eine lebendige Gemeinde.
Die Stasi hatte Sie bereits im Blick,
weil Sie erfolgreich waren.
Insbesondere in der Jugendarbeit.
In der Jungen Gemeinde,
die Sie als „Hefe in der Gesellschaft“ bezeichneten.
Ihre „geistige Heimat“ befand sich aber auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs.
Im Westen.
Mit seinen freiheitlichen Werten.
Mit echter Demokratie.
Mit Meinungsfreiheit und Menschenrechten.
Die Aspen-Idee der Offenheit des Denkens mit freiheitlichen Werten hätte schon damals gut zu Ihnen gepasst.
Die Idee eines Ortes, „wo die menschliche Seele blühen kann“.
So formulierte es der Gründer des Aspen Institute in den USA, Walter Paepcke.
Er war der Sohn eines mecklenburgischen Einwanderers aus Teterow.
Einem Ort in Ihrem Heimatlandkreis Rostock.
Für Sie war die DDR kein Ort,
wo die Seele blühen kann.
Sie empfanden sich nicht als Bürger. Sondern als „Insasse“ eines Staates, der die Demokratie im Namen führte – aber seine Bürgerinnen und Bürger wie unmündige Insassen behandelte.
Der sie gängelte und bespitzeln ließ.
Der sie mit Mauer und Stacheldraht von der freien Welt abschottete.
Es war ein „Schattendasein in Tarnanzügen der Anpassung“, wie Sie es in einer Ihrer berühmten Predigten auf den Punkt brachten„.
Früh haben Sie gelernt, was Unterdrückung, Bevormundung und staatliche Willkür bedeuten.
Mit elf Jahren mussten Sie erleben, wie Ihr Vater “abgeholt„ wurde, wie es damals hieß.
Und zunächst spurlos verschwand.
Erst nach zwei Jahren erfuhren Sie, dass er zu 2 mal 25 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt wurde.
Wegen eines Briefes und einer nautischen Zeitschrift aus dem Westen.
Nach fast viereinhalb Jahren kehrte Ihr Vater zurück nach Hause.
Sie lebten in zwei Welten.
Ich zitiere: “In der Schule hörte ich vom großartigen Vater der Völker, Stalin, sang Lieder über den grandiosen Sozialismus und blickte zu Hause in die verweinten Augen meiner Mutter.„ Zitatende.
Als 15-Jähriger erlebten Sie, wie der Aufstand vom 17. Juni 1953 brutal niedergeschlagen wurde.
Auch dies war ein einschneidendes Erlebnis der Ohnmacht.
Diese Erfahrungen politisierten Sie und lehrten Sie den Wert der Freiheit – Ihr großes Lebensthema.
Freiheit als gelebte Verantwortung für sich selbst und für das Gemeinwohl.
Freiheit und Verantwortung als zwei Seiten einer Medaille.
Das Leben in der Diktatur lehrte Sie aber auch, die Zwischentöne wahrzunehmen. Genau hin- und zuzuhören. Differenziert zu argumentieren und – ganz wichtig! – die innere Unabhängigkeit zu bewahren.
Alles Fähigkeiten, die Sie für die späteren Aufgaben im vereinten Deutschland prädestinierten.
Vielleicht liegt in Ihrer DDR-Biografie auch der Grund dafür, dass Sie sich bis heute keiner Partei angeschlossen haben und bekennender Wechselwähler sind?
Weil Sie das Leben immer aus vielen Perspektiven betrachten und um die vielen Schattierungen der Wirklichkeit wissen.
Sie selbst bezeichnen sich als einen “linken, liberalen Konservativen„.
Als “die wichtigste und schönste Zeit„ Ihres Lebens betrachten Sie die Friedliche Revolution und das Jahr der Wiedervereinigung 1990.
Ich bin ganz ehrlich:
Als die Mauer fiel, war ich 21 Jahre alt.
Auf mein Leben tief im Westen hatte der Mauerfall keinen spürbaren Einfluss.
Ich weiß aber auch aus vielen Gesprächen mit Ostdeutschen:
Für die Menschen aus der ehemaligen DDR war das völlig anders.
Sie erlebten die Friedliche Revolution als “Ermächtigung„ der Menschen in der DDR, die sich in dem kraftvollen Satz spiegelte: “Wir sind das Volk.„
Der schönste Satz deutscher Politikgeschichte aus Ihrer Sicht.
Ich kann das gut nachvollziehen.
Im Herbst 1989 waren Sie mittendrin in der Demokratiebewegung.
In Rostock haben Sie die Stasi “einfach weggepredigt„, wie es hieß.
Sie haben politische Verantwortung übernommen und sind Abgeordneter geworden.
Als Vertreter des Neuen Forums in der ersten und letzten freigewählten Volkskammer der DDR.
Am 3. Oktober 1990 wurden Sie auch Bundestagsabgeordneter.
Für einen einzigen Tag!
Schon am 4. Oktober legten Sie Ihr Mandat nieder.
Denn mit der Vollendung der staatlichen Einheit wurden Sie Beauftragter der Bundesregierung für die Stasi-Unterlagen.
Es war eine Herkulesarbeit, ein notwendiger und auch schmerzhafter Prozess.
Sie haben konsequent dafür gesorgt, dass die SED-Diktatur aufgearbeitet wird. Mit rechtsstaatlichen Mitteln.
Und Sie haben dafür gesorgt,
dass die Opfer gehört wurden und bis heute gehört werden.
Die “Gauck-Behörde„ ist so zu einem Baustein des wiedervereinigten Deutschlands geworden.
Ein bleibendes Verdienst von Ihnen.
Lieber Herr Gauck,
Sie hatten einen langen Weg vom evangelischen Pastor in einer kommunistischen Diktatur
bis zum Staatsoberhaupt in einer freiheitlichen Demokratie.
Ein Präsident der Herzen waren Sie schon, bevor Sie ins Schloss Bellevue einzogen!
Am 18. März 2012 wurden Sie zum elften Bundespräsidenten gewählt.
Mit überwältigender Mehrheit.
Sie haben das Amt des Bundespräsidenten tief geprägt.
Und unserem Land in unruhigen Zeiten einen Kompass gegeben.
Mit Ihrer Gabe, Neues anzustoßen und auch Unbequemes auszusprechen.
Immer wieder haben Sie daran erinnert, dass die freiheitliche Demokratie, die europäische Einigung und das westliche Lebensmodell verteidigt werden müssen.
Auch im Ausland haben Sie sich klar für die Grundwerte einer liberalen Demokratie eingesetzt – für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratische Teilhabe aller.
Sie haben den Völkermord an den Armeniern beim Namen genannt, bevor der Bundestag dies getan hat.
Oder angesichts der Politik Putins sich geweigert, zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu reisen.
Früh haben Sie Deutschland zu mehr internationaler Verantwortung in Sicherheitsfragen ermahnt.
Deshalb stehen Sie auch jetzt fest an der Seite der Ukraine und setzen sich für eine umfangreiche Unterstützung ein.
Lieber Herr Gauck,
Ihr großes Anliegen war und ist eine verständliche Kommunikation.
Eine Sprache, die nicht nur Kopf, sondern auch Herz und Gemüt erreicht.
Mit Ihrem außergewöhnlichen rhetorischen Talent bringen Sie Menschen und Argumente zusammen.
Hinzu kommen Ihre eindringliche Reflexionskraft und persönliche Glaubwürdigkeit.
Sie wirken als ehrlicher Makler zwischen unterschiedlichen Standpunkten und Interessen.
Unermüdlich werben Sie für eine argumentative Streitkultur, für eine “kämpferische Toleranz„ auch gegenüber kontroversen Positionen.
Ihre Rede beim Festakt zum 75. Jahrestag der konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rats hat bei mir großen Eindruck hinterlassen.
Sie sprachen an, was uns seit Jahren umtreibt – die Unzufriedenheit mit der Politik, den Vertrauensverlust in unsere Institutionen, die wachsende Zustimmung zu autoritären Positionen.
Sie sagten Sätze, an die ich oft denken muss. Ich zitiere Sie:
“Auch wenn wir es oft als Zumutung empfinden: Jede friedliche Protestbewegung ist Ausdruck gelebter Freiheit und kann zur Stärkung unserer Demokratie beitragen. Wir werden lernen müssen, mehr Streit zu leben und mehr Ambivalenz auszuhalten.„
Sie wären nicht Joachim Gauck, wenn Sie uns nicht auch Mut machen würden.
Unsere Demokratiegeschichte lehre uns Zuversicht – und zwar, wie Sie sagen: “Eine Zuversicht, die zwar die Selbstkritik, aber nicht die Selbstverzweiflung kennt.„
Lieber Herr Gauck,
zu den erfreulichsten Aufgaben als Bundespräsident gehörte für Sie die Ehrung engagierter Bürgerinnen und Bürger.
Heute werden Sie geehrt!
Sie verkörpern in besonderer Weise die Aspen-Idee einer freien, offenen, demokratischen Gesellschaft.
Und einer transatlantischen Wertegemeinschaft, die für eine regelbasierte internationale Ordnung steht.
Ich gratuliere Ihnen herzlich zum Shepard-Stone-Award und schließe mit einem Dichter, den Sie schätzen: Fritz Reuter.
“Wenn einer tut, was er tun kann, dann kann er nicht mehr tun, als er tut.„
Zitatende
Diese mecklenburgische Lebensweisheit umschreibt treffend Ihre Verdienste.
Als Seelsorger und Regimekritiker in einer Diktatur.
Als Aufklärer des Stasi-Unrechts und Brückenbauer der inneren Einheit unseres Landes.
Als Bundespräsident, Freiheitsliebhaber und Demokratie-Lehrer.
Als überzeugter Transatlantiker und stets wacher kritischer Geist.
Herzlichen Glückwunsch!