Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Eröffnung des Erinnerungsortes für die Moorsoldaten in Moers-Meerbeck
[Es gilt das gesprochene Wort]
Heute möchte ich mit Ihnen beginnen, liebe Initiatoren dieses beeindruckenden Erinnerungsortes:
Lieber Herr Liebert,
lieber Herr Hecker,
lieber Herr Vorsatz,
liebe Frau Esser,
lieber Herr Zimmermann!
Liebe Mitwirkende an dieser Veranstaltung:
Lieber Herr Dollas,
lieber Knappenchor,
liebe Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Politik und Verwaltung,
meine Damen und Herren!
Die Uraufführung des Börgermoor-Liedes über die Moorsoldaten schildert Wolfgang Langhoff so:
„Die SS still und unbeweglich.
Ich sah die Kameraden.
Viele weinten.“
Zitatende.
Langhoffs Worte zeigen:
Das Lied der Moorsoldaten hat eine ungeheure Kraft.
Das spürten alle, die das Lied am
27. August 1933 als erste hörten.
Der Bergmann, Gewerkschafter und Dichter Johann Esser hat den Text geschrieben.
An ihn erinnern wir heute.
Hier in Moers,
an seinem ehemaligen Wohnort.
Wolfgang Langhoff hat den Refrain hinzugefügt,
Rudi Goguel die Melodie komponiert,
Hanns Kralik das Liedblatt gestaltet.
Sie alle waren Moorsoldaten.
Zusammen mit tausenden Gefangenen mussten sie im Emsland mit einfachen Spaten das Moor kultivieren.
Auch die Umstände der Uraufführung des Liedes im August 1933 waren menschenverachtend.
Die SS hatte zuvor im KZ Börgermoor eine erbarmungslose Prügelorgie veranstaltet.
Die Inhaftierten waren teils schwer verletzt.
Aber noch mehr: Sie waren alle so sehr ihrer Menschenwürde beraubt, dass sie nicht mehr das Leben von Menschen führten.
So beschreibt es Wolfgang Langhoff.
In dieser Lage wollte er gemeinsam mit anderen Gefangenen die Moral und den Zusammenhalt der Inhaftierten stärken.
So wurde die Idee des „Zirkus Konzentrazani“ geboren.
Eine Zirkusvorstellung der Gefangenen.
Für die anderen über 900 Inhaftierten.
Und auch für die SS.
Wolfgang Langhoff erinnert sich an seinen Baracken-Ältesten, der die Idee unterstützte und sagte:
„Stimmung im Lager, das ist so wichtig wie Brot! Die da vorn“ – gemeint ist die SS – „sollen wissen, daß sie uns nicht klein kriegen, daß wir trotz allem den Kopf hoch halten!“
Zitatende.
Die Zirkusvorstellung findet statt.
Und endet mit dem Lied der Moorsoldaten.
16 Sänger eines Solinger Arbeitergesangsvereins, sie alle KZ-Insassen, ziehen mit ihren Spaten in die improvisierte Manege zwischen den Baracken.
Die Inhaftierten stimmen bald schon in den Refrain ein.
Auch die SS summt mit.
Der letzte Refrain wird laut und mächtig gesungen.
Alle 900 Mann stimmen ein:
„Dann ziehn die Moorsoldaten
Nicht mehr mit dem Spaten
Ins Moor!“
Die Sänger stoßen ihren Spaten in die Erde und verlassen die Bühne.
Die Spaten stecken wie Grabkreuze im Boden.
So beschreibt es der Komponist Rudi Goguel später.
Die Schilderungen von Langhoff und Goguel gehen mir sehr nah.
Sie zeigen eindrucksvoll:
Die Moral, der Zusammenhalt und die Hoffnung der Inhaftierten ließen sich selbst von den unmenschlichsten Bedingungen nicht brechen.
Was für eine Kraft!
Die anfängliche Begeisterung der SS für das eingängige Lied schlug bald um.
Der KZ-Kommandant erkannte den Widerstandsgeist, der vor allem aus der letzten Strophe hervorbricht.
Er verbot die Moorsoldaten.
Aber das Lied ließ sich nicht verbieten.
Einige SS-Männer befahlen sogar immer wieder, das Lied zu singen.
Manche wünschten sich Abschriften.
Entlassene Inhaftierte schmuggelten das Lied aus dem Lager.
Versteckt in ihren Schuhen oder in die Jacke eingenäht.
Das Lied der Moorsoldaten fand schnell seinen Weg in andere Konzentrationslager.
Und in die weite Welt.
Über Hanns Eisler und Ernst Busch in den spanischen Bürgerkrieg.
Auch nach Nord-, Mittel- und Südamerika.
Es gibt über 500 Interpretationen des Liedes: von den Dubliners über Hannes Wader bis hin zu den Toten Hosen.
2016 erklang das Lied auch im Plenarsaal des Deutschen Bundestages:
Der RIAS-Kammerchor sang es zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Meine Damen und Herren,
die Kraft des Liedes hat nicht nachgelassen.
Mit dem Lied erinnern wir an alle Opfer des Nationalsozialismus.
Und wir erinnern an diejenigen, die mutigen Widerstand leisteten.
Mein ganzer Respekt gilt dem beeindruckenden und beispielhaften Engagement zur Erinnerung an die Moorsoldaten hier in Moers.
Vor allem dem SCI:Moers, dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ und den vielen Spenderinnen und Spendern.
Ihnen allen herzlichen Dank für diesen Ort der Erinnerung an Johann Esser und die Moorsoldaten!
Unsere Erinnerung ist nicht nur eine Würdigung der Opfer und Gegner der Nationalsozialisten.
Lieber Herr Hecker,
Ihr Verein bringt es auf den Punkt:
Wir erinnern für die Zukunft.
Für eine Zukunft, in der nie wieder die Unmenschlichkeit siegen darf.
Für eine Zukunft, in der nie wieder ein Staat systematisch die Menschenwürde verletzt.
Für eine Zukunft, in der nie wieder Willkür und Terror den Rechtsstaat ausschalten.
Wenn wir für die Zukunft erinnern,
dann müssen wir uns immer fragen:
Wie müssen wir in der Gegenwart handeln?
Denn es ist nicht selbstverständlich, dass unser Land seit 75 Jahren eine stabile Demokratie ist.
Mit einem Grundgesetz, das die Menschenwürde garantiert.
Und es ist auch nicht selbstverständlich, dass wir eine so engagierte und vielfältige Erinnerungskultur pflegen.
Eine Erinnerungskultur, die wir zuerst unserer Zivilgesellschaft verdanken.
Es gibt Kräfte, die sowohl unsere Demokratie als auch unsere Erinnerungskultur in Frage stellen.
Oder sogar um 180 Grad wenden möchten.
Es entsetzt mich, dass im Netz teilweise offen dazu aufgerufen wird, Gedenkorte zu schänden.
Die Aufforderungen zum Vergessen des nationalsozialistischen Terrors ist eine Verhöhnung der Menschenwürde.
Meine Damen und Herren,
wenn wir für die Zukunft erinnern, müssen wir in der Gegenwart handeln!
Wir müssen heute unsere Demokratie so wehrhaft gestalten, dass sie nie wieder
abgeschafft werden kann.
Lassen Sie uns diesen Erinnerungsort für Johann Esser dazu nutzen, für Toleranz, Menschlichkeit und Demokratie zu werben.
Das sind wir den Moorsoldaten schuldig.
Vielen Dank!