Grußwort bei der Abendveranstaltung anlässlich der Eröffnung der Freiluftausstellung zur Friedlichen Revolution 1989 in Mecklenburg
und Vorpommern im Müritzeum, Waren (Müritz)
Lieber Norbert Möller,
lieber Jochen Schmidt,
liebe Dr. Sandra Pingel-Schliemann,
liebe Dr. Steffi Brüning,
liebe Christiane Scherfig,
liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
liebe Gäste,
in der vorletzten Woche wurde in Saarbrücken mit einem großen Festakt das Jubiläum zu 35 Jahre Deutsche Einheit begangen. Nach den Reden der saarländischen Ministerpräsidentin und dem Bundeskanzler sprach der französische Präsident Emanuel Macron über die Gegenwart und die Zukunft Europas. Für mich waren das alles wichtige Beiträge. Impulse, die einem aufzeigen, vor welch großen Herausforderungen wir heute in Europa stehen.
Was für mich aber gefehlt hat, war das Fundament. Unser geeintes Europa, in dem wir heute leben. Die Deutsche Einheit. Sie begann doch nicht erst am 3. Oktober 1990 oder am 9. November 1989. Das Ringen um Freiheit und Selbstbestimmung. Dieses Ringen war ein jahrzehntelanger Kampf. Ein Kampf, der 1989 schließlich in die Freiheit führte. Ein Kampf aber, der in den Jahrzehnten zuvor für viele tausende Menschen, auch hier in Mecklenburg-Vorpommern, eben nicht in die Freiheit führte, sondern in die Gefängnisse einer unerbittlichen Diktatur. Die Erinnerung an die Deutsche Einheit, an die Friedliche Revolution und an jahrzehntelangen Widerstand in der DDR und die vielen Opfer. Sie gehört für mich zusammen.
Heute Morgen habe ich mit Steffi Brüning das ehemalige Gefängnis in Rostock besucht. Beim Gang durch die Zellen wurde mir wieder bewusst, wie hoch der Preis war, den die Menschen für ihren Drang nach Freiheit zahlen mussten. Es sind die Geschichten von Menschen, wie die von Paul Ziemann. Im Oktober 1984 fasste er den Entschluss, die DDR zu verlassen. Noch bevor er seine Flucht mit dem Surfboard über die Ostsee antreten konnte, wurde er am Strand von den VoPos aufgegriffen. Drei Tage nach seiner Verhaftung, nach Schlafentzug und nach Verhören, zerbrach Paul Ziemann in seiner Verzweiflung in seiner Zelle einen Trinkbecher. Mit einer Scherbe schnitt er sich die Pulsadern auf. Sein Suizidversuch misslang. Er kam vor Gericht und wurde für seinen Fluchtversuch zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt. Sein Wunsch in Freiheit zu leben, er erfüllte sich erst ein halbes Jahrzehnt später.
Es waren die Menschen, die 1989 DDR-weit, wie hier in Waren, auf die Straße gingen. Menschen, die mit ihrem Mut nicht nur ihr Land von der Diktatur befreiten. Nein, sie schenkten damit auch ganz konkret Menschen, wie Paul Ziemann, das, was er sich so sehr ersehnte: Seine Freiheit. Daran zu erinnern, erscheint mir, gerade jetzt, wo unsere Freiheit so gefährdet ist, so wichtig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu erinnern, dass unsere heutige Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist.
Als SED-Opferbeauftragte des Bundestages bin ich daher dankbar dafür, dass mit dem zentralen Erinnerungszeichen „Perspektiven zur Freiheit“ auch hier in Mecklenburg-Vorpommern an die Friedliche Revolution erinnert wird. Denn die Auseinandersetzung mit Opposition und Widerstand, das Erinnern an die Friedliche Revolution und das Gedenken an die Opfer der SED-Diktatur, braucht eben nicht nur Engagement auf gesamtstaatlicher Ebene. Nein, es braucht die Verankerung vor Ort.
Ich freue mich daher ganz besonders, heute mit Ihnen tiefer in die Revolutionsgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns einzutauchen.
Vielen Dank liebe Frau Dr. Sandra Pingel-Schliemann und liebe Christiane Scherfig für Ihre kommenden Beiträge. Mein Dank gilt ebenso auch den Schülerinnen und Schülern. Darüber, ob und wie die Friedliche Revolution etwas mit unserer Gegenwart und unserer Zukunft zu tun hat, kann uns niemand so gut Auskunft geben wie ihr. Die Friedliche Revolution ist die Grundlage für die Deutsche Einheit. Oder wie der Mecklenburger Joachim Gauck es so treffend ausgedrückt hat: Vor der Einheit kam die Freiheit.
Vielen Dank!