Experten: Maritime Gefahrenabwehr stärken
Berlin: (hib/FLA) Die Gefahrenabwehr zum Schutz der maritimen Infrastruktur in Nordsee und Ostsee muss verstärkt werden. Darin waren sich die Sachverständigen bei einer Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat einig. Sie bewerteten einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/10726) mit dem Titel „Die Zeitenwende auch auf See umsetzen - Befugnisse der Bundespolizei erweitern und der Bedrohungslage anpassen“.
Hartmut Aden, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, bescheinigte dem Antrag, er gehe zutreffend davon aus, dass Nord- und Ostsee in zunehmendem Maße auch für kritische Infrastruktur jenseits des Seetransports genutzt werden. Dies betreffe insbesondere Offshore-Windenergieanlagen. Zur kritischen Infrastruktur zählten auch Transportrouten für lebenswichtige Güter, Datenkabel und andere Formen von Kommunikationstechnik. Anders als der Antrag suggeriere, müsse am Anfang des Schutzes kritischer Infrastruktur eine solide Risikoanalyse und Risikobewertung stehen. Dazu zählten auch Risiken, die von Cyberangriffen ausgingen. Sein Fazit zum Antrag: relevante Fragestellungen, aber kaum tiefführende Vorschläge.
Christian Bueger, Universität Kopenhagen, befand, Deutschland hinke bei der Anpassung seiner maritimen Sicherheitspolitik und der entsprechenden Gesetzgebung an die neue Sicherheitslage hinterher. Es müsse dem Beispiel anderer europäischer Länder folgen und die Gesetzeslage klären, die Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden prüfen und Grundlagen für eine solidarische Zusammenarbeit mit der Industrie und anderen Ländern schaffen. Auch wenn die Marine eine wichtige Rolle bei der Abschreckung und in der Zusammenarbeit mit der Nato spiele, sei der Schutz kritischer maritimer Infrastruktur nicht in erster Linie eine militärische, sondern größtenteils eine polizeiliche Aufgabe.
Stefanie Grünewald, Akademie der Polizei Hamburg, führte aus, mit Blick auf die Gefahren, die für die maritime kritische Infrastruktur ausgehen - sei es durch terroristische Akte, Sabotage oder andere Angriffe - erscheine es sinnvoll, ein neu zu schaffendes Seesicherheitsgesetz zu etablieren. Ziel müsse sein, mit einem Mehr an Rechtsklarheit zu einem Mehr an Handlungssicherheit für die handelnden Behörden zu kommen. Es bedürfe zudem eines klaren Bewusstseins dafür, dass mit einem Mehr an Aufgaben und Verantwortung auch ein Mehr an Personal und notwendiger Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden müsse.
Uwe K. Jenisch, Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Kiel, empfand die Anträge „so ganz nett“, aber sie brächten wenig. Er bescheinigte dem Antrag Schritte in die richtige Richtung, die aber leider nur „Bausteinchen“ auf dem Weg zu einer modernen zentralen Deutschen Küstenwache zum Schutz der Meeresflächen in Nord- und Ostsee seien. Derzeit seien rund 15 Seedienste des Bundes und der fünf Küstenländer in einem ungewöhnlich zergliederten System zuständig. Ähnlich Bahnpolizei und Luftaufsicht gehörten die Vollzugsaufgaben, also eine „Seepolizei“, in die Hand einer zentralen Küstenwache mit einem einheitlichen Erscheinungsbild von Schiffen und Personal.
Holger Jungbluth, Gewerkschaft der Polizei, stellte fest, der Schutz der kritischen Infrastruktur, insbesondere im maritimen Umfeld, sei Anlass genug, um die Kompetenzen aller Sicherheitsbehörden zu bündeln, Befugnisse zu erweitern, zu ordnen und der aktuellen Lage anzupassen. Aus polizeilicher Sicht sei eine Klarstellung der Rechtslage wünschenswert. Die Bundespolizei sollte nach seiner Ansicht in die Lage versetzt werden, mit ihren Sicherheitspartnern zusätzliche polizeiliche Aufgaben zu übernehmen. Jedoch stoße die Bundespolizei schon jetzt an ihre personellen Grenzen. Trotz der Einstellungsoffensiven der vergangenen Jahre habe die Bundespolizei See nicht ausreichend Personal gewinnen können.
Christian Meyer, Marinekommando Rostock, erklärte, bezogen auf den Begriff der „Integrierten Sicherheit“ aus der Nationalen Sicherheitsstrategie stelle der Schutz kritischer maritimer Infrastruktur eine Aufgabe aller nationalen und multinationalen maritimen Akteure dar. Dies reiche von Betreibern über Sicherheitsbehörden bis hin zu den Streitkräften. Nur wenn die Koordination zwischen staatlichen militärischen und privaten Akteuren funktioniere, könne das Prinzip der „Integrierten Sicherheit“ auch im maritimen Umfeld umgesetzt werden, so der Flottillenadmiral. Er legte ein besonderes Gewicht auf den Unterwasserbereich. Dort sei es möglich, Infrastruktur unbemerkt empfindlich zu treffen. Als Gegenmaßnahme gelte es, ein gutes Lagebild aufzubauen. Dazu müssten zivile wie militärische Stellen gut vernetzt werden.
Alexander Proelß, Universität Hamburg, sagte, es werde ein keineswegs nur deutsches, sondern ein global relevantes Thema angesprochen. Problem sei, dass ein Großteil der kritischen Infrastruktur, insbesondere die Offshore-Anlagen, nicht Teil des Staatsgebiets seien, weshalb dort das Seevölkerrecht greife. Aber dies lasse durchaus Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu. Komplex sei auch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Er halte es für möglich, dass eine Zuständigkeitskonzentration bei der Bundespolizei im Einklang mit dem Grundgesetz vorgenommen werden könne.
Felix Ruppert, Ludwig-Maximilians-Universität München, stufte den Antrag mit einer Vielzahl von Maßnahmen als inhaltlich weitgehend unnötig bis unbrauchbar ein. Er meinte, die angestrebte optimierte Zusammenarbeit von Bund und Ländern solle lediglich unter Wahrung der bestehenden Kompetenzen angegangen werden. Andernfalls drohe eine verfassungsrechtlich unzulässige Aufweichung des sonderpolizeilichen Status der Bundespolizei. Eine Aufweichung stehe auch im Rahmen eines angestrebten Seesicherheitsgesetzes zu befürchten, müsse doch jede Erweiterung der bundespolizeilichen Aufgaben in den Bereich der jeweiligen Landespolizei hinein die verfassungsrechtlich vorgesehene Kompetenzverteilung untergraben.