Empfehlungen der Enquete-Kommission
Berlin: (hib/LL) Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ ist am Montagnachmittag zu ihrer letzten Sitzung zusammengekommen, hat ihren Abschlussbericht verabschiedet und ein Fazit der zweieinhalbjährigen Tätigkeit des Gremiums gezogen. Der Bericht ist am Freitag, 31. Januar 2025, Gegenstand einer Debatte im Bundestag. Das Dokument (20/14500) enthält 72 Empfehlungen an Bundesregierung und Bundestag dazu, wie der deutsche Beitrag zum internationalen Krisenmanagement, vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan sowie angesichts sich wandelnder sicherheitspolitischer Herausforderungen, in Zukunft aussehen sollte.
Der Abschlussbericht komme genau zur richtigen Zeit, sagte der Vorsitzende der Enquete-Kommission, Michael Müller (SPD), im Anschluss an die Sitzung gegenüber Pressevertretern. Angesichts von Krisen und Kriegen weltweit sei Deutschland mehr und mehr gefordert, im internationalen Krisenmanagement eine aktive Rolle zu spielen. Der Bericht der Enquete-Kommission wolle dazu für die kommende Bundesregierung und die nächste Wahlperiode ein Handlungsleitfaden sein.
Damit Einsätze in Zukunft „besser koordiniert und vor Ort besser umgesetzt“ werden können, gelte es, das „vernetzte Handeln“ innerhalb der Regierung zu „fördern“, zwischen Militär, Politik, Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Eine „deutlich bessere, enge Ressortabstimmung“, hin zu einem gemeinsamen Lagebild, sei für ein gelingendes Engagement künftig „von herausragender Bedeutung“.
Aufseiten des Bundestages müsse dem eine engere Verzahnung der parlamentarischen Gremien entsprechen. „Wir brauchen Gremien, die das auch einfordern“, sagte Müller auf Nachfrage, „wie zum Beispiel einen eigenen Unterausschuss Kriseneinsatz, wo die Ressorts gemeinsam dem Bundestag berichten müssen, damit die Abgeordneten aufgrund eines umfassenden Lagebildes entscheiden können, ob sie ein weiteres Mandat erteilen oder nicht.“
Nötig sei zudem, sich im internationalen Krisenmanagement stärker mit Partnerländern, von deren Fähigkeiten Deutschlands Engagement in vielen Fällen abhänge, vor allem in Europa, abzustimmen. Die Arbeit der Enquete habe auch gezeigt, „dass wir eine selbstkritische Bestandsaufnahme vornehmen müssen über unsere Möglichkeiten, die wir in internationales Engagement einbringen können“, sagte Müller. Dabei müsse man sich fragen, welche Ziele und welche Interessen Deutschland habe. Und wie könnten diese, mit allen Akteuren, von der Bundeswehr bis zur humanitären Hilfe, gemeinsam, in eine internationale Krisenmanagementoperation eingebracht werden?
Peter Beyer (CDU), Obmann der Unionsfraktion, rief in Erinnerung, dass es zuvor noch keine Enquete-Kommission im außen- und sicherheitspolitischen Bereich gegeben habe. Mit dem Bericht wolle seine Fraktion nun nach vorne blicken und der kommenden Bundesregierung „strategische Empfehlungen“ mit auf den Weg geben. Bei allen gemeinsamen Erkenntnissen in der knapp dreijährigen Tätigkeit des Gremiums seien vor allem in der zweiten Arbeitsphase „auch die unterschiedlichen politischen Perspektiven“ der Mitglieder in die Arbeit der Kommission - und, wo man nicht zueinander gefunden habe, mit einem Sondervotum in den Abschlussbericht - eingeflossen.
Die Empfehlungen der Enquete-Kommission für ein besseres vernetztes Handeln bei zukünftigen Krisenmanagementoperationen seien „sowohl nach außen gerichtet“, also auf die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit, mit NGOs vor Ort, „als auch nach innen, auf die Organisationsstrukturen der Bundesregierung“ hin, sagte Beyer. Und da habe man bei der Betrachtung des Afghanistan-Einsatzes festgestellt, dass das Ressortprinzip - bei der Kommunikation und der kohärenten Koordination innerhalb der Regierung und der nachgeordneten Behörden - an seine Grenzen gestoßen sei.
Im Unterschied zum gemeinsamen Abschlussbericht wolle seine Fraktion daraus noch deutlichere Konsequenzen ziehen als „lediglich die Staatssekretärsrunde ein bisschen aufzuwerten“. Seine Fraktion plädiere stattdessen dafür, mit einem „nationalen Sicherheitsrat, der beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist“, ein neues und effizienteres Gremium zu schaffen . Die Lücken und Schwächen des Ressortprinzips, „das war für uns die Hauptbaustelle“, so der CDU-Politiker.
Christian Sauter, Obmann der FDP, unterstrich, dass seine Fraktion ebenfalls einen „nationalen Sicherheitsrat als neuen, eigenen Kabinettsausschuss, mit einem nationalen Sicherheitsberater, angesiedelt und koordiniert beim Kanzleramt“, fordere. Das sei „eine wesentliche Schlussfolgerung aus den Lehren von Afghanistan“. Außerdem müssten zukünftige Auslandseinsätze permanent evaluiert werden und die Ergebnisse in neue Mandatierungen einfließen, um die Ziele und den Mitteleinsatz von Mandaten deutlich zu machen.
„So wie wir in Afghanistan gescheitert sind, dürfen wir nie wieder scheitern“, sagte Schahina Gambir, Obfrau von Bündnis 90/Die Grünen. Die Enquete-Kommission lege mit dem Abschlussbericht mehr als 70 Empfehlungen vor für eine „zukunftsgerechte Außen- und Sicherheitspolitik“. Und das bedeute vor allem: „für eine bessere und koordinierte Arbeit der Bundesregierung“ sowie für „ein Parlament, das weiterhin die Verantwortung der Kontrolle übernimmt“.
Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ war, die Erfahrungen aus dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr und ziviler Kräfte zwischen 2001 und 2021, versehen mit konkreten Handlungsempfehlungen, für zukünftige internationale Einsätze nutzbar zu machen. Erstmals befasste sich eine Enquete-Kommission des Bundestages mit einem außen- und sicherheitspolitischen Thema.
Die Enquete war im Juli 2022 auf Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingesetzt worden (20/2570) - und ist nicht zu verwechseln mit dem etwa zeitgleich eingesetzten Untersuchungsausschuss, der die Verantwortlichkeiten für den überhasteten Rückzug aus Afghanistan klären sollte.
Das Gremium aus elf Parlamentariern aller Fraktionen und elf ständigen Sachverständigen unter dem Vorsitz von Michael Müller (SPD) und der stellvertretenden Vorsitzenden Serap Güler (CDU/CSU) legte nach eineinhalb Jahren, im Februar 2024, einen Zwischenbericht vor, in dem ein strategisches Scheitern des Afghanistan-Einsatzes festgestellt, aber dem internationalen Engagement auch Teilerfolge bescheinigt wurden (20/10400).
Soldaten, Diplomaten, Ministerialbeamte, Politiker, Polizisten, Entwicklungshelfer, Vertreter von internationalen und NGOs, Wissenschaftler und Mitglieder der ehemaligen afghanischen Regierung: Die Enquete-Kommission hat nicht nur eine Fülle von Dokumenten ausgewertet, sondern Beteiligte und Verantwortliche aus allen Bereichen des Afghanistan-Einsatzes als externe Sachverständige befragt, davon zahlreiche in öffentlichen Anhörungen. Zu den Befragten gehörten unter anderem der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne), der frühere US-General David H. Petraeus und der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler.