06.10.2025 Inneres — Anhörung — hib 468/2025

„Sichere Herkunftsländer“ als Streitpunkt

Berlin: (hib/FLA) Deutlich gegensätzliche Experten-Bewertungen hat ein Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion zur Migrationspolitik bei einer Anhörung im Innenausschuss gefunden. Es ging um die „Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung und Abschaffung des anwaltlichen Vertreters bei Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam“ (21/780). Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten soll sich künftig nur bei Asylanträgen nach der EU-Richtlinie 2013/32/EU ändern, nicht wenn es um eine Asylberechtigung im Sinne des Paragrafen 16a des Grundgesetzes geht.

Falk Fritzsch, Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, befand, die Ausgangslage sei durch Vollzugsdefizite bei der Durchsetzung von Ausreisepflichten geprägt. EU-weit reise nur jeder fünfte Ausreisepflichtige aus. Er kritisierte, dass mit der Einführung des Paragrafen 62d in das Aufenthaltsgesetz durch die vorigen Koalitionsfraktionen 2024 neue Vollzugshindernisse geschaffen worden seien. Durch die Pflichtanwaltsbestellung sei ein Frühwarnsystem geschaffen worden, das es ermögliche, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Fritzsch sprach sich für eine Aufhebung der Regelung aus, wie dies der Gesetzentwurf vorsehe.

Wiebke Judith, Pro Asyl, verwies darauf, dass die Asylantragszahlen seit 2024 stark zurückgegangen, die Zahlen der Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen dagegen gestiegen seien. Die Grundthese des Gesetzentwurfs, dass Deutschland aufgrund von zu hohen Asylantragszahlen auf Abschreckung setzen müsse, sei offensichtlich falsch. Das Europarecht erlaube nationale Listen sicherer Herkunftsstaaten. Das Grundgesetz sehe dafür ein Gesetzgebungsverfahren mit Zustimmung des Bundesrates vor. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Umgehung der Zustimmungspflichtigkeit sei verfassungswidrig. Dass Anwaltspflicht vorgeschrieben worden sei, ist für Judith eine folgerichtige Reaktion auf eine hohe Quote unrechtmäßiger Haftanordnungen.

Stefan Keßler, Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland, sagte, er halte die vorgesehene Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats für verfassungswidrig. Der Kreis der unter erheblichen Einschränkungen leidenden Schutzsuchenden würde unangemessen erweitert. Die Regelung werde nach seiner Ansicht zu erheblichen Problemen in der Praxis führen und nicht zur Beschleunigung der Asylverfahren beitragen. Die Streichung der Regelung über die Pflichtbeiordnung anwaltlichen Beistands würde die Notlage der betroffenen Menschen erneut verschlimmern.

Holger Kolb, Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR), rief in Erinnerung, dass im Februar 2019 die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer um einige Staaten des Maghreb von der Bundestagsmehrheit beschlossen worden, aber im Bundesrat gescheitert sei. Wegen der Abstimmungsregelungen dort könnten Vorhaben keine Mehrheit finden, die lediglich von Juniorpartnern in Koalitionen abgelehnt würden, aber ansonsten eine breite Mehrheit fänden. Der in dem Gesetzentwurf gewählte Weg, die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten über eine nicht zustimmungspflichtige Rechtsverordnung umzusetzen, sei verfassungsrechtlichen Risiken ausgesetzt.

Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, legte dar, die Bearbeitung asylrechtlicher Verfahren binde etwa die Hälfte der Arbeitskraft der Verwaltungsrichter in Deutschland. Er halte den Gesetzentwurf für geeignet, das mit ihm verfolgte Beschleunigungsziel zu erreichen. Die Einstufung eines Herkunftsstaates als sicherer Herkunftsstaat entlaste Behörden und Gerichte in erheblichem Umfang. Im Schnitt könne ein Sachbearbeiter in der Behörde oder ein Verwaltungsrichter in derselben Zeit mehr Entscheidungen über Schutzgesuche von Staatsangehörigen aus einem Staat treffen, der als sicherer Herkunftsstaat ausgewiesen ist, als ohne eine solche Einstufung. Die Regelungen des Gesetzentwurfs seien unions- und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Veronika Vaith, Leiterin der Zentralen Ausländerbehörde Niederbayern, erklärte, aus Sicht der Vollzugspraxis sei das Vorhaben der neuen Bundesregierung sehr zu begrüßen. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Asylanträge von Antragstellern aus Herkunftsstaaten mit geringer Anerkennungsquote stamme. Die Möglichkeit, solche Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung als sicher einzustufen, trage unmittelbar dazu bei, die Verfahren auf das Wesentliche zu konzentrieren, nämlich den Schutz für tatsächlich verfolgte Personen. Die Einführung der Pflichtanwaltsbestellung habe sich in der Praxis nicht bewährt. Die Abschaffung dieses Paragrafen stelle eine sachgerechte und praxisorientierte Korrektur dar.

Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, erklärte, eine separate Einstufung von sicheren Herkunftsländern im Sinne des Grundgesetzes und des Unionsrechts in verschiedenen Verfahren sei möglich, weil zwei unterscheidbare Rechtskreise betroffen seien. Mit den Vorgaben des Unionsrechts sei die Neuregelung inhaltlich im Wesentlichen vereinbar, weise jedoch einzelne Defizite auf, die nur in Form einer unionsrechtskonformen Auslegung oder der unmittelbaren Anwendung des Unionsrechts kompensiert werden könnten. Hier bestehe ergänzender Regelungsbedarf.