16.02.2022 Gesundheit — Anhörung — hib 64/2022

Expertenstreit über Freigabe von Impfstoff-Patenten

Berlin: (hib/PK) Die mögliche Freigabe von Patenten im globalen Kampf gegen das Coronavirus ist unter Experten umstritten. Unter epidemiologischen und ethischen Gesichtspunkten erachten Mediziner und Hilfsorganisationen die Freigabe von Patenten für Impfstoffe, Therapeutika und Tests im Grundsatz als sinnvoll. Die Herstellerseite gab jedoch in einer Anhörung über einen Antrag (20/201) der Linksfraktion zur Freigabe der Patente zu bedenken, dass die pharmazeutische Industrie dadurch schwer geschädigt werden könnte, ohne dass der Mangel an Impfstoffen in bestimmten Ländern beseitigt würde. Die Sachverständigen äußerten sich am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages und in schriftlichen Stellungnahmen.

Der Branchenverband der Biotechnologie-Industrie warnte in seiner Stellungnahme vor kontraproduktiven Zwangslizenzen oder Benutzungsanordnungen. Der Patentschutz sei bei der globalen Bereitstellung des Impfstoffs kein Hindernis, sondern ermögliche Unternehmen erst, in Forschung zu investieren. Das für die Anwendung der patentierten Technologien erforderliche Know-how mache einen maßgeblichen Wert der Unternehmen aus und dürfe nicht durch eine erzwungene Offenlegung entwertet werden. Die Produktion von Impfstoffen setze ein erhebliches Know-how und Produktionsanlagen voraus.

Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) argumentierte, Grundlage für die in Rekordzeit entwickelten Corona-Impfstoffe sei ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums. Auf freiwilliger Basis seien inzwischen mehr als 340 Produktionspartnerschaften eingegangen worden. Über die Covax-Initiative seien 1,2 Milliarden Impfdosen an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen gegangen. Für niedrige Impfquoten in ärmeren Ländern seien auch Probleme bei der Verteilung, Fachkräftemangel und schwache Gesundheitssysteme verantwortlich. Das Aussetzen von Patentrechten werde die Impfquote in armen Ländern nicht erhöhen.

Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ kritisierte, Impfstoffe würden nicht nach Bedarf verteilt, sondern nach ökonomischer Macht. Nötig seien die globale Ausweitung von Produktionskapazitäten und ein Abbau von Zugangsbarrieren zu Covid-19-Technologien. Durch geistige Eigentumsrechte werde der Zugang zu Schutzmasken, Beatmungsgeräten, Medikamenten, Diagnostika und Impfstoffen stark beschränkt.

Auch der Pharma-Spezialist Andrew Lofts Gray von der Universität KwaZulu-Natal in Südafrika forderte mehr Rücksicht auf ärmere Länder und erinnerte daran, dass die Corona-Pandemie nur auf globaler Ebene nachhaltig eingedämmt werden könne. Derzeit seien neue Technologien für Gesundheitssysteme von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen unerreichbar. Die Hersteller hätten eine Monopolstellung und legten auch die Preise entsprechend fest. Mit Blick auf die ungleiche Verteilung sprach Lofts Gray in der Anhörung von einem Versagen an Solidarität und Fairness.

Eine Vertreterin von „Brot für die Welt“ sagte in der Anhörung, neben der schwierigen Verteilung und der verbreiteten Impfskepsis sei die mangelnde Verfügbarkeit von Impfstoffen das größte Problem in ärmeren Ländern. Mehrere Experten hoben in der Anhörung hervor, dass es bei der Impfstoffversorgung auf einen effektiven Technologietransfer und gezielte Kooperationen mit Ländern des globalen Südens zum Aufbau von Produktionskapazitäten ankomme.

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