11.05.2022 Recht — Gesetzentwurf — hib 219/2022

Unterbringung in Entziehungsanstalten

Berlin: (hib/SCR) Die Unionsfraktion will die Unterbringung in Entziehungsanstalten im Rahmen des Maßregelvollzugs novellieren und einschränken. Die Norm in Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (StGB) sei zu weit gefasst und setze „sachwidrige Anreize“ für Angeklagte. Dies führe dazu, dass der Maßregelvollzug zunehmend an seine Grenzen stoße, führt die Fraktion in einem Gesetzentwurf (20/1723) aus, der am Mittwoch erstmalig auf der Tagesordnung des Bundestages steht. Ziel des Entwurfs sei es, „die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64 StGB wieder stärker auf die verurteilten Personen zu konzentrieren, die aufgrund ihres übermäßigen Rauschmittelkonsums und der daraus resultierenden Gefahr, erhebliche rechtswidrige Taten zu begehen, tatsächlich der Behandlung in einer solchen Einrichtung bedürfen.“

Die vorgeschlagenen Änderungen im Strafgesetzbuch sowie der Strafprozessordnung und die Begründung entsprechen dabei fast vollständig jenen, die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu dem Thema im November 2021 vorgelegt hatte. Die Fraktion verweist zur Begründung auf Zahlen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe: Demnach stieg die Zahl der Patienten zwischen 1995 und 2019 von 1.373 auf 4.300 Personen an, von 2017 bis 2020 von 4.462 auf 5.280. Zudem habe die durchschnittliche Unterbringungsdauer zwischen 1995 und 2016 um sechs Monate zugenommen. Weiter hätten sich auch der „Charakter der Klientel und der Deliktscharakter der begangenen Straftaten“ verändert. 30 Prozent der Einweisungsdelikte entfielen inzwischen auf Betäubungsmitteldelikte, mehr als jeder vierte Einweisungsdelikt entfiele auf Körperverletzungsdelikte. Bemerkenswert sei auch, dass der Anteil der trotz der Einnahme berauschender Mittel voll schuldfähigen Verurteilten mittlerweile bei knapp 60 Prozent liege, während er 1995 noch bei nur 20 Prozent gelegen habe, heißt es in dem Entwurf.

Als „sachwidrigen Anreiz“ macht die Fraktion - wie auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe - die Reihenfolge der Vollstreckung gemäß Paragraf 67 StGB und der damit verbundenen Möglichkeit einer Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt aus. Demnach ist grundsätzlich zunächst die Maßregel, also die Unterbringung in der Entziehungsanstalt, vor der Strafe zu vollziehen. Die Zeit der Maßregel wird dabei auf die Freiheitsstrafe angerechnet. Nach Paragraf 67 Absatz 5 kann ein Gericht die Strafe eines Verurteilten, der die Maßregel vor der eigentlichen Strafe vollzieht, nach der Hälfte der Strafzeit auf Bewährung aussetzen. „Davon profitieren insbesondere Verurteilte, die aufgrund der Schwere des Delikts oder ihres bei der Entscheidung über eine vorzeitige Haftentlassung zu berücksichtigenden strafrechtlichem Vorleben, wenn überhaupt, maximal eine bedingte Entlassung zum sogenannten Zweidrittelzeitpunkt der Strafverbüßung erhalten hätten können und in nicht wenigen Fällen eher eine Verbüßung bis zum Endstrafentermin zu erwarten haben“, heißt es in dem Entwurf.

Konkret schlägt die Unionsfraktion vor, einerseits die Anordnungsvoraussetzungen in Paragraf 64 StGB „maßvoll“ zu beschränken. Voraussetzung soll danach ein Hang in Form einer „Substanzkonsumstörung“ sein, „deren Behandlungsbedürftigkeit sich in einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung der Gesundheit oder des Soziallebens des Angeklagten manifestiert haben muss“, wie es in dem Entwurf heißt. Zudem soll nach Auffassung der Union ein stärkerer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat bestehen. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt soll zudem nur noch für jene Personen möglich sein, „in denen das Erreichen des Behandlungsziels aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“. Aktuell reicht eine „hinreichend konkrete Aussicht“.

Der Paragraf 67 Absatz 5 soll so geändert werden, dass die Strafrestaussetzung zur Bewährung regelmäßig erst zum Zweidrittelzeitpunkt möglich sein soll. Gleiches soll auch für die Berechnung des Vorwegvollzugs bei Freiheitsstrafen über drei Jahren gelten.

Zudem will die Union den Gerichten mehr Spielraum bei der Anhörung von Sachverständigen geben. „Die Anhörung soll nur noch dann verpflichtend sein, wenn nach Einschätzung des Tatgerichts die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 'konkret' zu erwägen ist“, heißt es im Entwurf.

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