Expertenstreit um geplante Erhöhung der Lkw-Maut-Sätze
Berlin: (hib/HAU) Die Güterkraftverkehrsbranche lehnt die zum 1. Januar 2023 geplante Erhöhung der Lkw-Maut-Sätze ab. Eine solche Erhöhung komme zur Unzeit. Während auf der einen Seite händeringend nach Entlastungsmöglichkeiten gesucht werde, dürfe die Maut nicht noch eine zusätzliche Belastung für die Unternehmen und die Verbraucher darstellen, sagte Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschuss zum Entwurf der Bundesregierung für eine fünfte Novelle des Bundesfernstraßenmautgesetzes (20/3171) am Mittwoch.
Kritik an der in der Novelle weiterhin festgelegten Verwendung der Maut-Einnahmen ausschließlich für Bundesfernstraßen, übte Dirk Flege, Geschäftsführer des Vereins Allianz pro Schiene, während Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe die in den erhöhten Mautsätzen enthaltene Anlastung von Luftverschmutzungskosten und Lärmbelastungskosten begrüßte. Gerhard Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung des mit der Erhebung der Maut beauftragten Unternehmens Toll Collect GmbH, machte indes deutlich, dass eine Anpassung zum 1. Januar 2023 zwingend notwendig sei, um die Rechtssicherheit der Maut zu wahren.
Mit der Gesetzesnovelle sollen die Mautgebühren ab dem 1. Januar 2023 basierend auf dem aktuellen Wegekostengutachten angepasst werden. Zudem sollen einer entsprechenden EU-Richtlinie folgend die tatsächlichen externen Kosten den Nutzern der mautpflichtigen Strecken angelastet werden. Innerhalb der kommenden zwei Jahre soll auch eine CO2-Differenzierung bei der Lkw-Maut vorgenommen, der gewerbliche Güterkraftverkehr ab 3,5 Tonnen einbezogen und ein CO2-Zuschlag eingeführt werden.
Die Transportwirtschaft stehe angesichts extrem gestiegener Treibstoffkosten und deutlich erhöhter Lohnforderungen als Folge der Inflation vor nie dagewesenen Herausforderungen, sagte BWVL-Hauptgeschäftsführer Olligschläger. Mit einer Mauterhöhung dürfe nun nicht noch Öl ins Feuer gegossen werden, warnte er und forderte eine Aussetzung der Mauterhöhung zu Beginn des kommenden Jahres. Statt der angekündigten Salamitaktik bei der Mautanpassung sprach er sich dafür aus, die geplanten Schritte zusammenzulegen und zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen.
Eigentlich müsse über eine Entlastung statt über eine Mauthöhung gesprochen werden, befand Jens Pawlowski vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Viele Unternehmen stünden schon jetzt vor dem Aus - insbesondere jene, die Anreizen der Bundesregierung gefolgt sind und auf LNG-Lkw gesetzt haben. „Niemand hilft diesen Unternehmen“, beklagte Pawlowski. Er kritisierte auch den viel zu geringen Vorlauf für die Änderung der Mautkosten. Die Preisverhandlungen für das kommende Jahr seien inzwischen gelaufen. Von Planungs- und Investitionssicherheit könne daher keine Rede sein.
Der Speditionsunternehmer Christopher Schuldes verwies darauf, dass schon die erste zum Anfang des kommenden Jahres geplante „kleine Erhöhung“ den Gewinn kleinerer und mittelständischer Unternehmen (KMU) halbiere. Das zeige die prekäre Situation, in der sich die Betriebe befänden. „Wir haben hier eine ernst zu nehmende schleichende Gefahr der Insolvenzen im KMU-Bereich“, sagte Schuldes, der sich „ein Stück weit verzweifelt“ zeigte.
Michael Korn von der Alfen Consult GmbH, die im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums das für die Höhe der Mautgebühren maßgebliche Wegekostengutachten erstellt hat, sagte, das aktuelle Gutachten ergebe angesichts der gestiegenen Zahl an Fahrzeugen bei insgesamt in etwa gleich gebliebenen Kosten geringere Mautsätze für das einzelnen Fahrzeug. Dass sich dennoch die Mautkosten erhöhen, sei eine Folge der EU-Richtlinie, wonach die tatsächlichen externen Kosten für Luft- und Lärmbelastung dem Lkw-Verkehr angelastet werden dürfen.
Toll Collect-Geschäftsführer Schulz betonte das Argument der Rechtssicherheit. Da wie erwähnt der Infrastrukturanteil der Mautsätze laut aktuellem Wegekostengutachten sinke, müsse dies der Gesetzgeber auch weitergeben. Ansonsten seien im kommenden Jahr tausende Rückerstattungsforderungen zu erwarten.
Nach wie vor gebe es die Klimakrise, betonte Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe. Daher gebe es Klimaziele, zu deren Erreichung sich die Bundesregierung verpflichtet habe. Die Lkw-Maut sei nicht das einzige, „aber ein wichtiges Instrument, um diesen Zielen ein bisschen näher zu kommen“. Die Reform müsse unbedingt so zügig wie möglich auch um eine CO2-Spreizung der Infrastrukturabgabe erweitert werden, verlangte sie. Zusätzlich müsse noch ein CO2-Aufschlag eingeführt werden. Wichtig sei eine Verlagerung des Verkehrs, wozu es auch ein leistungsstarkes Schienennetz brauche, dessen Ausbau zu langsam vorankomme.
Dirk Flege vom Verein Allianz pro Schiene forderte eine Abkehr vom Prinzip „Straße finanziert Straße“. Obwohl im Koalitionsvertrag angekündigt, sei dies in der Novelle nicht gestrichen worden. Der 2011 in das Bundesfernstraßenmautgesetz eingefügte Passus, dass die Mauteinnahmen „in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur für die Bundesfernstraßen zu verwenden“ seien, müsse herausgenommen werden, damit die Gelder auch den Bundesschienenwegen und den Bundeswasserstraßen zur Verfügung stehen können.
Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), verwies auf positive Erfahrungen aus der Schweiz, „die hierzulande leider nicht in der politischen Diskussion aufgegriffen wurden“. In der Schweiz sei die „etwa fünffach höhere Maut für schwere Lkw“ von Anfang an auf allen Straßen erhoben worden - in Deutschland nur auf sechs Prozent des Straßennetzes. Die in der Schweiz über die Maut vereinnahmten Mittel gingen zudem komplett in einen Topf beim Bund, aus dem wiederum 80 Prozent dem Bahninfrastrukturfonds zur Verfügung gestellt würden. Ziel sei es gewesen, der Transportwirtschaft eine Alternative zur Straße zur Verfügung zu stellen, sagte Westenberger.