Parlament

Bundestag trauert um früh­eren Bundestags­vize­präsi­denten Hans-Ulrich Klose

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben sich am Freitag, 8. September 2023, in Gedenken an den ehemaligen Bundestagsvizepräsidenten Hans-Ulrich Klose zu einer Schweigeminute erhoben. Klose ist am Mittwoch, 6. September, im Alter von 86 Jahren gestorben. Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz würdigte ihren Amtsvorgänger als einen sehr „erfahren und herausragenden Parlamentarier, Außenpolitik und Transatlantiker“. Er habe sich mit Anstand und Würde den politischen Herausforderungen gestellt. Die Erfahrungen der Vertreibung und der Nachkriegszeit hatten nicht nur seine Kindheit geprägt. „Er gehörte sein ganzes Leben lang zu der Generation in unserem Land, die sehr genau um die schlimmen Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft wusste“, sagte die Vizepräsidentin. „Und auch deshalb setzte er sich beharrlich für die Aussöhnung mit der jüdischen Gemeinschaft ein.“ 

Als Hamburgs Erster Bürgermeister war Hans-Ulrich Klose Deutschlands jüngster Regierungschef. 30 Jahre gehörte er dem Bundestag an, war Bundestagsvizepräsident, Fraktionsvorsitzender der SPD und lange einer ihrer profiliertesten Außenpolitiker. Intellektuell gewitzt, rhetorisch versiert und über Parteigrenzen hinweg gut vernetzt und geschätzt, galt der gebürtige Breslauer stets als unabhängiger Geist, ein Querdenker, der seine Meinung vertrat – auch öffentlich entgegen der gängigen Partei- oder Fraktionslinie. „Ich war nie ein hundertprozentiger Sozialdemokrat“, sagte er einmal über sich. Dafür war der studierte Jurist und vierfache Vater ein überzeugter Transatlantiker, der selbst in Krisen Ausgleich und Verständigung im Verhältnis zu den USA anmahnte. 

Erster Regierender Bürgermeister in der Hansestadt

1937 als Sohn eines Schulrektors in Breslau geboren, erlebte Klose Hunger und Vertreibung: 1946 wurde er zusammen mit seinen Eltern aus Schlesien ausgewiesen und fand schließlich in Bielefeld eine neue Heimat, wo er das Gymnasium besuchte. Als prägende Erfahrung seiner Jugend beschrieb Klose vor allem das Jahr 1954/55, das er als Austauschschüler in Clinton/Iowa verbrachte – der Beginn seiner lebenslangen Verbundenheit mit den USA. „Amerika ist meine gefühlte zweite Heimat. Wenn man mir damals erlaubt hätte zu bleiben, wäre ich wohl dort geblieben“, sagte Klose rückblickend in einem Interview mit der „Welt“.

Nach dem Abitur studierte Klose zunächst in Freiburg, dann in Hamburg Rechtswissenschaften, wo er 1961 das Erste, 1965 das Zweite Juristische Staatsexamen ablegte. Politisch aktiv wurde Klose bereits als Referendar. 1964 trat er der SPD bei und machte rasch Karriere: Nur vier Jahre später avancierte Klose, inzwischen Jugendstaatsanwalt, zum stellvertretenden Landesvorsitzenden. 1970 folgte der Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft, 1972 wurde er zum Fraktionschef und nur ein Jahr später schon zum Innensenator gewählt. Mit nur 37 Jahren wurde Klose dann im November 1974, als sein Vorgänger im Amt zurücktrat, Erster Bürgermeister – und damit der jüngste Regierungschef in einem deutschen Bundesland. Jung, smart und bisweilen auch nachdenklich, galt er bald als „Hoffnungsträger einer Neuen Politik“ und wurde von manchem gar mit Willy Brandt verglichen.

Parteiinterne Konflikte und Rücktritt

Im Juni 1978 gewann die SPD mit dem populären Klose an der Spitze die absolute Mehrheit in der Hansestadt zurück, doch parteiintern wuchs die Kritik. Zum offenen Streit kam es auch mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), als sich Klose öffentlich für eine Liberalisierung des 1972 von Willy Brandt unterzeichneten sogenannten „Radikalenerlasses“ aussprach und erklärte: „Sie können mich prügeln, aber das Ergebnis meines Nachdenkens lautet: Ich stelle lieber 20 Kommunisten ein, als dass ich 200.000 junge Leute verunsichere.“

In schwieriges politisches Fahrwasser geriet Klose auch durch den Gift-Skandal um die Firma Stolzenberg, der erhebliche Behördenversäumnisse zu Tage beförderte. Als Klose nach Massenprotesten gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf 1981 seinen Kurs in der Kernenergiefrage änderte, aber in Landesvorstand und Fraktionsführung keine Unterstützung findet, trat er im Mai 1981 vom Amt des Ersten Bürgermeisters zurück.

Fraktionsvorsitz der SPD im Bundestag

Bei den Bundestagswahlen im März 1983 zog Klose erstmalig in den Bundestag ein, dem er bis zu seinem Ausscheiden im 2013 ununterbrochen 30 Jahre lang angehörte. Hier gehörte Klose wenig später dem Fraktionsvorstand an, ab 1984 auch dem Parteivorstand und von 1987 bis 1991 war er Schatzmeister der SPD. 1991 wählte ihn die SPD-Fraktion im Bundestag zum Vorsitzenden.

In dieser Funktion war er unter anderem als Chefunterhändler an der Aushandlung des auch in der SPD heftig umstrittenen Asylkompromisses 1992 mit der Union beteiligt. In der Diskussion um Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr im Rahmen von UN-Missionen vertrat Klose die Meinung, die deutsche Soldaten solle grundsätzlich an allen UN-Einsätzen und nicht nur friedenssichernden Blauhelm-Aktionen teilnehmen können.

Bundestagsvizepräsident und Ausschussvorsitzender

Nach der Bundestagswahl 1994 kandidierte Klose nicht mehr für den Fraktionsvorsitz, stattdessen wurde er am 10. November 1994 zu einem der Vizepräsidenten des Bundestages und Stellvertreter von Rita Süßmuth (CDU) gewählt. Als dieser unterstützte er eine Parlamentsreform. Unter seinem Vorsitz arbeitete die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates Vorschläge zu Verkleinerung des Bundestages sowie zur Neuregelung der Abgeordneten-Diäten.

Nach der Bundestagswahl 1998 übernahm Klose für die Dauer der Legislaturperiode den Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses. Stellvertretender Ausschussvorsitzender blieb Klose bis zum Ausscheiden aus dem Bundestag 2013. Im Januar 2003 wurde Klose auch Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe.

Kritik am Kanzler

Für Aufmerksamkeit sorgte wenige Wochen später seine harsche Kritik am „Nein“ Bundeskanzler Gerhard Schröders zum Irak-Krieg der USA und dem Bruch mit der Regierung unter Präsident George W. Bush. In einem Interview mit der tageszeitung hatte Klose der Bundesregierung ein „hohes Maß an handwerklicher Fehlerhaftigkeit in der Außenpolitik“ attestiert. Später stellte er klar, er habe aber nicht Schröders „Entscheidung gegen eine Beteiligung kritisiert, sondern seine Tonalität“.

Gute Beziehungen zu den USA – die hatte Klose auch als Koordinator für die transatlantischen Beziehungen der Bundesregierung im Blick. Zu diesem hatte überraschend Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) den SPD-Politiker im März 2010 berufen. Im Januar 2011 jedoch musste Klose das Amt bereits wieder aufgeben. Aufgrund der schweren Erkrankung seiner Stieftochter trat er fortan kürzer und kündigte das Ende seiner Karriere 2012 an. Klose war in dritter Ehe mit der Ärztin Anne Steinbeck-Klose verheiratet und lebte in Berlin. Der Sozialdemokrat, der privat malte und Gedichte schrieb, veröffentlichte zahlreiche Zeitungs- und Buchbeiträge. Er war während seiner politischen Laufbahn unter anderem Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Stiftungsrat der Stiftung Wissenschaft und Politik. (sas/08.09.2023)

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