Ausschüsse

Anhörung zum Afghanistan-Einsatz in der Zeit von 2002 bis 2008

Zeit: Montag, 23. Januar 2023, 13 Uhr bis 15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900

Wie es um die Koordinierung zwischen den am Afghanistan-Einsatz beteiligten Akteuren in der ersten Phase des internationalen Engagements 2002 bis 2008 bestellt war, und was für Fehler künftig vermieden werden sollten, interessierte die Mitglieder der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ in deren dritter öffentlicher Anhörung am Montag, 23. Januar 2023.

Vermutlich weitaus größer als die internen Koordinierungsprobleme Deutschlands seien die der Vereinten Nationen gewesen, sagte Lakhdar Brahimi, UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan von 2001 bis 2004. Leider seien die meisten internationalen Akteure mit nur geringen Kenntnissen über dieses Land in den Afghanistan-Einsatz gegangen. Die USA, die als Betroffene der Terroranschläge vom 11. September 2001 mit der Operation Enduring Freedom (OEF) weltweit den Terrorismus hätten bekämpfen wollen und auch an der Internationalen Stabilisierungsmission ISAF beteiligt waren, hätten das Ziel ausgegeben, die Taliban zu besiegen und nicht mit diesen zu verhandeln, da sie den Terroristen Unterschlupf gewährt hätten.

Die „Erbsünde“ des Afghanistan-Engagements

Das aber sei die Erbsünde des internationalen Afghanistan-Engagements gewesen. Man hätte die Taliban, als wesentlichen gesellschaftlichen und politischen Faktor in dem ethnisch fragmentierten Land, an den Verhandlungen über den Wiederaufbau des Staates beteiligen müssen, sagte Brahimi. Heute kontrollierten sie wieder das gesamte Land. Als langjähriger UN-Diplomat habe er für sich die Schlussfolgerung gezogen: Wir müssen mit allen reden, das eröffnet Gelegenheiten, wir dürfen niemanden boykottieren. Man hätte auch mit den Taliban sprechen müssen.

Wie sehr von einer militärischen Logik getrieben der internationale Einsatz begann, mit der OEF-Mission der USA und deren Verbündeten, darunter die Bundeswehr, und der Einsatz im Jahr 2003 dann von der Nato als „übergeordnete koordinierende Instanz“ übernommen wurde, daran erinnerte General a. D. Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der Bundeswehr von 2002 bis 2009. „Alles andere kam dann erst dazu.“

„Eine Insel der Stabilität reichte nicht“

Ebenso wie der zivile habe auch der militärische Teil des Einsatzes einen Lernprozess durchlaufen. Von den anfangs nur 1.200 leicht bewaffneten, im Raum Kabul konzentrieren Soldaten habe die internationale Allianz ihre militärische Präsenz nach und nach, dem Konzept der sogenannten „Provincial Reconstruction Teams“ folgend, auf alle Landesteile ausgeweitet. „Es reichte nicht, eine Insel der Stabilität in Kabul zu bilden.“

Die deutsche Afghanistan-Strategie habe als umfassender konzeptioneller Ansatz zivile und militärische Aspekte des Engagements zusammengeführt und deren ressortübergreifende Koordinierung, international synchronisiert, erforderlich gemacht. Man habe die Koordinierung ganz gut hinbekommen, so Schneiderhan. Aber die Kommunikation hätte besser sein müssen. „Es gab keinen Sprecher für alle. Jeder hat aus seiner Ressortperspektive geredet.“ Von der Übernahme des Regionalkommandos Nord durch die deutschen Streitkräfte, in denen diese Führungsverantwortung übernahmen und mit Kräften anderer Länder zusammenarbeiteten, habe die Bundeswehr sehr profitiert.

Ausbildung der afghanischen Polizei

Ihren Eindruck vom Aufbau des internationalen Engagements in Afghanistan in den Anfangsjahren schilderte auch Dr. Almut Wieland-Karimi, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul von 2002 bis 2005. Über die Ziele Terrorbekämpfung, Stabilität und Wirtschaftsaufschwung hinaus habe es an einer Exit-Strategie und auch an einem realistischen Erwartungsmanagement gefehlt. Ein zentraler Fehler am Anfang des Afghanistan-Engagements der Staatengemeinschaft sei die Fokussierung des Wahlsystems auf Einzelpersönlichkeiten und ein Präsidialsystem nach dem Vorbild der USA gewesen, statt politische Parteien teilnehmen zu lassen.

Im Rahmen der internationalen Aufgabenteilung habe Deutschland dann die Ausbildung der afghanischen Polizei übernommen. „Wir lebten damals den vernetzten Ansatz“, so Wieland-Karimi, Stiftungen, Diplomatie und Streitkräfte hätten sich vor Ort miteinander ausgetauscht, während der Begriff der vernetzen Sicherheit erstmals im Weißbuch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik 2006 auftauchte. „Vor Ort haben wir ganz pragmatisch zusammengearbeitet.“ Von Berlin aus sei das weder gefordert noch gefördert worden. Aber die Notwendigkeit eines vernetzen Ansatzes sei damals erkannt und umgesetzt worden.

„Das originäre Interesse an Afghanistan fehlte“

Der internationale Einsatz, auch das Engagement tausender ziviler Kräfte, habe auf der ISAF und dem US-Militär geruht. „Wir waren abhängig vom Militär. Aber die auch von uns“, erzählte Wieland-Karimi und berichtete davon, wie gefragt die regionale Expertise von Nichtregierungsorganisationen wie Stiftungen und Think Tanks gewesen sei. „Aber die Einsicht in einen politischen Aufbau hat sich bis zum Ende nicht richtig durchgesetzt.“ Es sei auch keine brauchbare Evaluierung der Errungenschaften beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur erfolgt, es habe keine Fehler- und Lernkultur in Bezug auf den Einsatz gegeben.

Rückwirkend betrachtet habe in Deutschland ein originäres Interesse an Afghanistan gefehlt. „Wir sind dorthin, weil die USA den Beistandsartikel 5 der Nato aktiviert hatten.“ Man habe sich dort als guter Alliierter der USA gezeigt und seine Bündnissolidarität in der Nato unter Beweis gestellt. „Niemand in Deutschland hatte über die jahrelange Entwicklungspolitik hinaus einen Plan, warum man in dieses Land gehen sollte.“ Es habe allerdings während des zwei Jahrzehnte dauernden Engagements vor allem in der Anfangsphase hohe Aufmerksamkeit für diesen Einsatz gegeben und zahlreiche enthusiastische Helfer dorthin gezogen. (ll/24.01.2023)

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