Kinderkommission

„In den besten Fällen merkt die Szene nicht, dass man aussteigt“

Acht sechs schwarze Flyer mit schwarz-weißen Bildern und weißer Schrift mit dem Satz Ausstieg jetzt und zwei runde weiße Flyer mit schwarzen Schmetterlingen liegen auf einem Buch.

Mit Fragen zur Prävention und dem Ausstieg aus dem Rechtsextremismus beschäftigte sich die Kinderkommission. (dpa)

Warum nähern sich Jugendliche der rechtsextremen Szene an? Welche Rolle spielen Eltern und Pädagogen? Und wie steigt man aus? Über diese Themen informierten Experten in einem öffentlichen Fachgespräch der Kinderkommission des Deutschen Bundestages am Mittwoch, 8. März 2017 unter der Leitung von Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/Die Grünen).

Rechtsextremismus als Jugendphänomen

„Die rechtsextreme Szene hat in den letzten Jahren eine Lernphase durchschritten, wie man an Jugendliche herantritt“, erläuterte Dr. Thomas Pfeiffer, Mitarbeiter der Abteilung Verfassungsschutz, Referat Prävention und Aussteigerprogramme des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen. Ideologie und Inhalte würden zusammen mit Aktivitäten und reizvollen Projekten wie Konzerten oder Sommercamps angeboten. Neben einer Nähe zur Jugendkultur zeichne sich dabei eine Breite der Formen in der Szene selbst ab.

Auch wenn der Rechtsextremismus als Einstellung selbst bei Kinder und Jugendlichen nicht so verbreitet sei, könne man ihn durch die Zielgruppenorientierung durchaus als Jugendphänomen bezeichnen. Die Szene verspreche den jungen Menschen vor allem Gemeinschaft, reale und mediale Aktivitäten und Anerkennung – „eine Mischung aus Selbstwert, Selbstwirksamkeit, Integration und Identität“, so Pfeiffer.

„Ich greife die anderen an, weil sie mich angreifen“

Diese Erfahrungen konnte auch Felix Benneckenstein bestätigen. Der Mitarbeiter der Aussteigerhilfe Bayern e.V. Exit-Deutschland, verließ selbst vor ein paar Jahren die rechtsextreme Szene in Bayern. „Man verstehe sich als politischer Soldat“, so Benneckenstein. Das eigene Leben werde einer Ideologie komplett untergeordnet. Angriffe von außen, zum Beispiel durch linke Gruppen, bestätigten dann nur das eigene Weltbild: „Ich greife die anderen an, weil sie mich angreifen.“

Exit Deutschland hat etwa 650 Menschen beim Austritt aus der rechtsextremen Szene begleitet. Die Organisatoren warten jedoch in den meisten Fällen, bis Mitglieder der Parteien selbst an sie herantreten. „Dass man sich bei einem sogenannten Verräter meldet, um über sein Problem zu reden, setzt viel Reflexion im Vorfeld voraus“, so der Experte. Jeder Ausstieg müsse dann ganz individuell unterstützt werden. In den besten Fällen merke die Szene selbst gar nicht, dass jemand aussteigt, „damit sich kein Hass entwickeln kann“.

Gründe im familiären Umfeld

Seit einigen Monaten finde der Zulauf in die rechte Szene jedoch auf einer neuen Ebene statt, so Benneckenstein. Ursache sei vor allem die „Rassen-Thematik“, die im Zuge der Flüchtlingskrise neuen Aufwind bekomme. Gründe für den Einstieg in den Rechtsextremismus seien jedoch vielfältiger.

Oftmals lägen die Anfänge schon im familiären Umfeld. Ob als eine Art „Stammtisch-Rassismus“, der Jugendlichen zu Hause vermittelt werde oder der direkte, forcierte Einstieg in die rechte Szene durch Jugendorganisationen. Jedoch gebe es auch die provokative Abgrenzung von besonders linksliberalen Familienhintergründen.

Diskriminierung in der Kita

Über den Umgang mit Eltern und rassistischen oder sogar rechtsextremen Einstellungen von pädagogischer Seite, berichtete abschließend Eva Prausner vom Projekt ElternStärken. „Was mache ich mit Eltern, die sich über die Puppe mit einer anderen Hautfarbe im Puppenregal der Kita aufregen?“, fragte die Expertin.

Wie könne man mit Eltern kommunizieren, ohne ihre Haltung zu verharmlosen? „Fachkräfte arbeiten auf der Grundlage des Rechtsstaates und müssen sich klar gegen rechtsextreme Stimmungen wenden“, so Prausner. Handlungsrahmen dafür seien die Menschen- und Kinderrechte.

Wohl der Kinder in den Vordergrund stellen

„Kinder orientieren sich sehr schnell an den Diskriminierungsregeln ihrer Eltern.“ Dieses Verhalten müsse daher ausgeschlossen werden, ohne die Kinder  in eine Außenseiterrolle zu drängen. Pädagogen müssten dazu die Rolle der Eltern anerkennen, menschenverachtende Inhalte aber zurückweisen. Gerade im Zuge der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sehe man zunehmend Sorge bei den Eltern um die eigenen Kinder.

„Mittlerweile werden viele Ressentiments jedoch als Sorge getarnt“, sagte Eva Prausner. Die gemeinsame Handlungsebene zwischen Eltern und Pädagogen sollte jedoch immer sein: Was ist das Beste für das Kind? Um dies zu leisten, müssten Fachkräfte vor allem erfahren sein und Einstellungen und Erscheinungsformen der rechtsextremen Szene kennen. (lau/09.03.2017)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Felix Benneckenstein, Aussteigerhilfe Bayern e.V. Exit-Deutschland
  • Dr. Thomas Pfeiffer, Ministerium für Inneres und Kommunales NRW – Abteilung Verfassungsschutz – Referat Prävention, Aussteigerprogramme
  • Eva Prausner, Projekt ElternStärken – Beratung, Vernetzung, Fortbildung zum Thema Familie & Rechtsextremismus

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